Elektronische Patientenakte

Sachverständige sehen Deutschland vor falscher Weichenstellung

In puncto elektronischer Patientenakte wird in Deutschland zu viel über Datenschutz und Datensicherheit diskutiert, aber wenig über die Chancen eines lernenden Gesundheitssystems und einer verantwortlichen Datennutzung für eine bessere Gesundheitsversorgung. Eine gefährliche Entwicklung, warnt der Schverständigenrat Gesundheit.

Veröffentlicht:

Berlin. Zum 1. Januar 2021 sollen alle gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet werden, ihren Versicherten kostenlos eine elektronische Patientenakte (ePA) bereitzustellen. Über die Ausgestaltung der ePA und die an sie zu stellenenden, technischen Anforderungen wird kontrovers diskutiert. Die inhaltliche Debattenführung stößt beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) auf Kopfschütteln.

„Der Rat beobachtet mit Sorge die bundesdeutsche Debatte über die Ausgestaltung der elektronischen Patientenakte. Sie könnte dazu führen, dass Deutschland einen wenig sinnvollen Sonderweg bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens geht“, verdeutlichte der Ratsvorsitzende und Allgemeinarzt Professor Ferdinand Gerlach anlässlich der jüngsten SVR-Sitzung, bei der die Gesundheitsexperten eine Zwischenbilanz der bisherigen Diskussion über die elektronische Patientenakte und die digitale Nutzung medizinischer Daten für bessere Forschung und Versorgung gezogen haben.

Werteabwägung auf Abstellgleis

„Hierzulande wird viel über die wichtigen Themen Datenschutz und Datensicherheit diskutiert, aber wenig über die Chancen eines lernenden Gesundheitssystems und einer verantwortlichen Datennutzung für eine bessere Gesundheitsversorgung“, bringt Gerlach seinen Unmut zum Ausdruck. Das sehe in EU-Mitgliedstaaten wie Dänemark oder Estland, die bei der Digitalisierung ihres Gesundheitswesens wesentlich fortgeschrittener seien, anders aus. „Auch in diesen Ländern gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung. Auch den Bürgerinnen und Bürgern dieser Länder liegt der Schutz ihrer Gesundheitsdaten am Herzen. Zugleich wollen die Menschen, dass ihre und die Gesundheit ihrer Angehörigen erhalten und ihnen im Krankheitsfall bestmöglich geholfen wird“, rät Gerlach zu einem Blick über die Landesgrenzen hinweg.

Wenn in der bundesdeutschen Diskussion von ethischen Bedenken die Rede sei, so unterbleibe nach Eindruck des Rates oft die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Werte, die hier betroffen seien. Würde, Privatheit, Schutz von Leib und Leben, bestmögliche Heilung, Solidarität und Schutz vor Diskriminierung sowie Benachteiligung müssten hier zum Wohle der Menschen, insbesondere der Patienten, in Einklang gebracht werden, mahnt Gerlach.

Wahlfreiheit eingefordert

Der stellvertretende Ratsvorsitzende und Gesundheitsökonom Professor Wolfgang Greiner findet, dass die Patienten bei der ePA nach bisherigem Stand zu kurz kommen. „Jeder und jede Versicherte in Deutschland sollte die Freiheit haben, sich gegen die elektronische Patientenakte zu entscheiden. Aber die ePA kann, verglichen mit dem bisherigen Sammelsurium an Dokumentationen, einen großen Mehrwert bringen. Das setzt voraus, dass die ePA möglichst vollständig ist. Das ist für die qualitativ hochwertige, effiziente Versorgung des jeweiligen Patienten wichtig“, so Greiner. Zugleich müssten die in der ePA von den Leistungserbringern nach einheitlichen Standards eingetragenen Daten auch für gemeinwohldienliche Forschung genutzt werden können, lautet Greiners Plädoyer. Das sei für die Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgung aller Menschen wichtig. Mit Abrechnungsdaten von Krankenkassen sei dies seit nunmehr 15 Jahren unter genau beschriebenen Auflagen möglich. Auch für die Nutzung der Behandlungsdaten ließen sich solche Regelungen denken. „Für leider nie ganz auszuschließende Verstöße eröffnet die Datenschutzgrundverordnung Möglichkeiten der Sanktionierung, die auch ökonomisch wehtun. Die Politik könnte sich zudem vom Gendiagnostikgesetz inspirieren lassen, das zum Beispiel Arbeitgebern und Versicherungen bei Strafe verbietet, persönliche Gendaten zu verlangen, sie sich anderweitig zu beschaffen und sie zu verwenden“, begegnet Greiner möglichen Bedenken von ePA-Gegnern.

Auch für Gerlach muss bei der ePA noch an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. „Jeder mündige Bürger und aufgeklärte Patient sollte eine ePA haben, aber über die Möglichkeit eines zweifachen Opt-outs verfügen: Er sollte die ePA für sich ablehnen können. Und er sollte Inhalte der ePA für einzelne Leistungserbringer verschatten können“, so der SVR-Präsident. (maw)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kritische Stimmen zur ePA

Elektronische Patientenakte: Wo die Schwachstellen sind

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Eine Sanduhr, durch die Geldstücke fall

© fotomek / stock.adobe.com

Tag der Privatmedizin 2024

Outsourcing: Mehr Zeit für Patienten!

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Buch mit sieben Siegeln oder edles Werk? KI-Idee einer in Leder eingebundenen neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

© KI-generiert mit ChatGPT 4o

Exklusiv Entwurf unter der Lupe

Das brächte Ihnen die neue GOÄ

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Ein Medikament unter vielen, das wenigen hilft? 2400 Wirkstoff-Kandidaten in der EU haben den Orphan-Drug-Status.

© artisteer / Getty Images / iStock

Wirkstoff-Kandidaten mit Orphan-Drug-Status

Orphan Drugs – Risiken für ein Modell

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Der Kampf gegen HP-Viren ist ein Schwerpunkt der Initiative Vision Zero.

© Pornpak Khunatorn / Getty Images / iStock

Welt-HPV-Tag

Krebs verhindern: Jugend gegen HPV impfen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Ein junges Mädchen wird geimpft – gegen HPV? (Symbolbild mit Fotomodellen)

© milanmarkovic78 / stock.adobe.com

Vision Zero Onkologie

Die Elimination des Zervixkarzinoms

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Kasuistik

Woher kamen die „tierischen“ Kopfschmerzen der Patientin?

Sie fragen – Experten antworten

Zoster-Impfung bei einer 39-jährigen Patientin mit Morbus Crohn?

Lesetipps
Eine Person hält drei Figuren in den Händen

© Suriyo/stock.adobe.com

Man kann nicht nicht führen

Mitarbeiterführung in der Arztpraxis: Tipps für Praxisinhaber

Blick in ein rundes grünes Treppenhaus. Die Aufnahme ist verwackelt.

© ChiccoDodiFC / stock.adobe.com

Wiederkehrende Schwindelanfälle

Vertigo – wann steckt eine vestibuläre Migräne dahinter?

Darstellung einer DNA.

© SwathiFX / stock.adobe.com

Zu viel in der Hitze gearbeitet?

Der Mann mit der Alzheimermutation, der keine Demenz bekommt