Flucht über das Mittelmeer

Seenotrettung: „Ärzte ohne Grenzen“ reicht EU-Beschwerde ein

Ein neues italienisches Gesetz erlaubt Hilfsorganisationen nur eine Rettungsaktion pro Einsatz. „Ärzte ohne Grenzen“ sieht darin eine Behinderung der Seenotrettung - und reicht Beschwerde ein.

Veröffentlicht:
Ein voll besetztes Flüchtlingsboot auf dem Meer.

Migranten aus Afrika steuern über das Mittelmeer auf das italienische Lampedusa zu. „Ärzte ohne Grenzen“ fürchtet durch eine italienisches Gesetz in seinen Rettungsbemühungen behindert zu werden.

© Oliver Weiken/picture alliance

Brüssel/Berlin. „Ärzte ohne Grenzen“ hat gemeinsam mit vier weiteren Nichtregierungsorganisationen Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht. Es geht um die Praxis der italienischen Behörden und das dazugehörende Gesetz, Häfen für die Ausschiffung zuzuweisen, die weit von dem Gebiet entfernt sind, in dem die Menschen gerettet wurden.

Laut einer Mitteilung von Donnerstag bezweifeln die Organisationen, dass das Gesetz mit dem einschlägigen EU-Recht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf Such- und Rettungsmaßnahmen auf See vereinbar ist.

Flüchtlinge zahlen den Preis

„Jeder Tag, den wir nicht in der Such- und Rettungsregion verbringen, weil wir festsitzen oder auf dem Weg zu einem weit entfernten Hafen sind, gefährdet Leben“, sagt Djoen Besselink, Einsatzleiter von „Ärzte ohne Grenzen“. „Das Gesetz zielt auf Nichtregierungsorganisationen ab, aber den wahren Preis zahlen die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen und sich in einem Boot in Seenot befinden.“

Das entsprechende Dekret hatte Italien im Januar 2023 eingeführt, Gesetz wurde es im März (15/2023). Es verbietet Such- und Rettungsschiffen, mehr als eine Rettungsaktion pro Einsatz durchzuführen, da sie nach einer Rettung unverzüglich den zugewiesenen Hafen ansteuern sollten. Das bedeutet, dass die Schiffe keine Hilfe für andere Boote in Not leisten dürften.

Das Gesetz verpflichtet zudem die Kapitäne, italienischen Behörden nicht näher spezifizierte Informationen über durchgeführte Rettungsaktionen zu übermitteln, was in der Praxis dazu geführt hat, dass extrem viele Daten angefordert wurden.

Erste Rettungsschiffe saßen fest

Am 23. Februar 2023 wurde das Rettungsschiff von „Ärzte ohne Grenzen“ zum ersten Mal für 20 Tage festgesetzt. Außerdem wurde eine Geldstrafe verhängt, weil spezielle Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, nach denen nie zuvor gefragt wurde. Seitdem haben die italienischen Behörden vier weitere Such- und Rettungsschiffe für jeweils 20 Tage festgesetzt. Damit haben sie insgesamt 100 Tage verloren, während die gefährlichen Überfahrten und Schiffbrüche weitergingen.

Verschärft werde das Gesetz durch die Praxis der italienischen Behörden, weit entfernte Häfen in Norditalien für die Ausschiffung von Überlebenden nach Rettungsaktionen zuzuweisen. Das sei eine Zumutung für die geretteten Menschen, die häufig in einem schlechten physischen und psychischen Zustand seien, heißt es. Negativ wirkten sich auch die größeren Entfernungen, da die Organisation die erhöhten Treibstoffkosten tragen müssten.

„Die Bundesregierung muss gegenüber Italien auf die Einhaltung von europäischem Recht drängen”, sagt Felix Braunsdorf, politischer Referent von „Ärzte ohne Grenzen Deutschland“. „Das italienische Gesetz behindert Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer und kostet Menschenleben. Es verstößt aus unserer Sicht klar gegen EU-Recht.” (kaha)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Außergerichtliche Streitschlichtung

Die PKV-Schlichtungsstelle hatte 2024 mehr zu tun

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Schlecht für die Augen?

„Gutes" HDL-Cholesterin mit erhöhtem Glaukomrisiko assoziiert

Ernährung

Salzersatz senkt offenbar Risiko für Schlaganfall-Rezidive

REDUCE-AMI und ABYSS

Betablocker nach Herzinfarkt – so steht es um die Evidenz

Lesetipps
Personen greifen nach einer Angel mit Geldscheinen.

© mitay20 / stock.adobe.com

FAQ zum Zuschuss für angehende Ärzte

Weiterbildung: So kommen Sie an die Facharzt-Förderung

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung