Pharmaskandal Brandenburg
Seit März 2017 alles zu Lunapharm bekannt?
Im Skandal um mutmaßlich gestohlene und möglicherweise wirkungslose Krebsmedikamente wächst der Druck auf Brandenburgs Gesundheitsministerin sowie den Präsidenten der Kontrollbehörde.
Veröffentlicht:POTSDAM. Waren das Brandenburgische Gesundheitsministerium und der Präsident des Landesamts für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) Dr. Detlev Mohr früher über den Verdacht des Handels mit gestohlenen und möglicherweise wirkungslosen Medikamenten durch den Arzneimittelimporteur Lunapharm informiert, als sie bislang zugeben? Diesen Eindruck äußert der Gesundheitsexperte der CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag Raik Nowka nach der Akteneinsichtnahme im Ministerium am Freitag.
"Man hätte die Firma Lunapharm viel früher vom Markt nehmen können. Die Hinweise hat es gegeben, sie waren sowohl im Ministerium als auch im Landesamt bekannt, und zwar nicht nur auf der Referentenebene, und nicht nur, wie es zu Beginn der Affäre behauptet wurde, wenigen Mitarbeitern, sondern das Wissen war im Grunde genommen in den betreffenden Arbeitsbereichen bis hoch zum Präsidenten des Landesamtes gestreut", sagt Nowka der "Ärzte Zeitung".
"Versagen der Arzneimittelaufsicht"
Nowka wirft Mohr vor, dieser habe in der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses am 25. Juli diesbezüglich die Unwahrheit gesagt. Mohr wird nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Protokollentwurf dieser Sitzung mit den Worten zitiert: "Es wurden Ermittlungsergebnisse verschwiegen. Es wurde mehrfach gegen Regeln verstoßen. Der Präsident ist von der Kommunikation völlig ausgeschlossen gewesen."
Dagegen erklärt Nowka nach der Akteneinsichtnahme: "Spätestens seit März 2017 wusste der Präsident über die Vorgänge um Lunapharm Bescheid.". Es gebe eine E-Mail vom 23. März 2017, die unter anderem an den LAVG-Präsidenten gegangen sei. Darin berichte der zuständige Referent über den illegalen Handel mit Arzneimitteln durch die Firma Lunapharm. "Das Ministerium war von Anfang an über jeden einzelnen dieser Entwicklungsschritte informiert", so Nowka weiter.
Scharfe Kritik übt die CDU-Fraktion auch an Arbeits- und Sozialministerin Diana Golze (Linke). "Wir müssen feststellen, dass die Aufklärungsarbeit, die durch die Ministerin angeblich geleistet wird, auf der Stelle tritt", so Nowka weiter. Eines sei ganz klar. "Es geht nicht darum, dass einzelne Mitarbeiter entschieden haben, dass sie die Firma Lunapharm schonen. Sondern es liegt wirklich ein Versagen der Arzneimittelaufsicht vor", so der CDU-Gesundheitsexperte.
Zwischen den Zeilen sei aus den Akten deutlich eine fachliche und juristische Überforderung herauszulesen. "Knackpunkt ist mit Sicherheit der März 2017, als die griechischen Behörden sich zurückgemeldet haben und gesagt haben: ‚Lunapharm handelt mit Medikamenten, die auf illegalen Wegen in den Besitz dieser Apotheke gelangt sind‘. Dieser Sachverhalt wurde bis an den Präsidenten herangetragen. An dieser Stelle hätte eine Hausleitung eingreifen müssen", so Nowka.
Korruptionsverdacht ausgeräumt
Als krasse Fehleinschätzung bewertet der CDU-Politiker die Korruptionsvorwürfe gegen einzelne Mitarbeiter des LAVG seitens der politischen Führungsebene des Ministeriums. Diese könne man in den Akten an überhaupt keiner Stelle nachvollziehen. Das sieht auch die zuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin so. Sie hat auf Strafanzeigen aus dem Ministerium hin keine Ermittlungen aufgenommen. "Es gab keinen Anfangsverdacht", so Oberstaatsanwalt Frank Winter zur "Ärzte Zeitung".
Damit wächst der Druck auf Brandenburgs Sozialministerin Diana Golze im Vorfeld der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses an diesem Dienstag weiter. Dann soll die von ihr eingesetzte Task-Force ihren Bericht vorlegen. "Ich erwarte, dass die Task-Force schonungslos klarmacht, wer die Verantwortung trägt. Darüber hinaus gibt es in solchen Fällen immer eine politische Verantwortung", weiß Nowka. Wie die CDU hat auch die AfD ihre Rücktrittsforderung gegen Golze erneuert.
Selbst die gesundheitspolitische Fraktionssprecherin der an der Regierung beteiligten SPD, Britta Müller, fordert nach den Entwicklungen der vergangenen Woche am Freitag Konsequenzen. Denn der Skandal geht längst weit über die Grenzen Brandenburgs hinaus. Vergangenen Mittwoch hatte die Potsdamer Staatsanwaltschaft Räume von fünf Verdächtigen in Hessen durchsuchen lassen. Am Donnerstag berichteten die Magazine "Kontraste" und "Spiegel", dass die verdächtige griechische Apotheke auch in die Schweiz und nach Italien Geschäftsbeziehungen unterhielt.
Die Ausweitung der Ermittlungen auf mehr Verdächtige und andere Länder und Staaten zeige, wie hoch die kriminelle Energie gewesen sein muss, meint die SPD-Gesundheitsexpertin Müller. "Zur Wahrheit gehört auch, dass die staatliche Arzneimittelkontrolle solche Vorgänge verhindern muss. Das hat in Brandenburg und womöglich andernorts nicht funktioniert, und das muss Konsequenzen haben", so Müller auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".
Wie weiter mit Arzneiimporten?
Kritik an Aufsicht und Ministerium übt unterdessen auch die Gesundheitsexpertin der Brandenburger Grünen Ursula Nonnemacher. Es sei falsch und nicht konsequent genug reagiert worden. "Ich erwarte, dass am Dienstag gesagt wird, was umstrukturiert wird." Nonnemacher sieht aber auch weitergehenden, prinzipiellen Handlungsbedarf. "Das System von Re- und Parallelimporten gehört auf den Prüfstand", so Nonnemacher zur "Ärzte Zeitung".
Zugleich begrüßt sie, dass in absehbarer Zeit mit der Einführung einer europaweiten Serienkennzeichnungen von Arzneimittelpackungen begonnen wird, bemängelt aber, dass Griechenland und Italien hinsichtlich der Teilnahme daran Aufschub gewährt werden solle.
Der Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands (VAD) und der Bundesverband der Arzneimittelimporteure (BAI) hatten bereits im Juli davor gewarnt, wegen eines schwarzen Schafes eine ganze Branche abzustrafen. Die Branche sei verärgert, "dass ein schwarzes Schaf, das ein unbedeutender Marktteilnehmer ist, offensichtlich mit krimineller Energie unterwegs war und dabei auf eine nicht handlungsfähige Aufsicht getroffen ist", so ein Sprecher.
Die Importeure wenden sich insbesondere gegen Forderungen nach Änderung oder Abschaffung der Importquote – das ist die Verpflichtung der Apotheken, mindestens fünf Prozent ihres Verordnungsumsatzes durch Re- und Parallelimporte zu bestreiten. Der Fall Lunapharm habe "mit dem langjährig bewährten Einspar- und Wettbewerbsinstrument der Importquote nichts zu tun", heißt es.
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