Ära geht zu Ende
Stabwechsel an der Charité
Elf Jahre hat Professor Karl Max Einhäupl die Geschicke der Berliner Charité geleitet. Nun hat er den Vorstandsvorsitz offiziell an seinen Nachfolger Professor Heyo Kroemer übergeben.
Veröffentlicht:BERLIN. Berlin im September 2008: Professor Detlef Ganten verlässt die Uniklinik Charité nach vier unruhigen Jahren.
Die Charité hatte vor Beginn seiner Amtszeit mit dem Campus Benjamin Franklin einen Standort mehr erhalten. Zugleich war der Landeszuschuss für Forschung und Lehre um 98 Millionen Euro jährlich gekürzt worden.
Der Investitionsbedarf für das Sorgenkind Charité schien fast unbezifferbar hoch und schwarze Zahlen im Jahresabschluss unerreichbar.
Die Charité sieht aus wie ihr Vorstandschef Ganten: blass und abgemagert. An Gantens Stelle tritt Professor Karl Max Einhäupl mit der forschen Aussage, er wisse, was auf ihn zukomme. Man sagt dem Neurologen, der aus Hamburg nach Berlin kommt, gute Kontakte in die SPD-Regierungsriege der Hauptstadt nach.
Seit 2011 schwarze Zahlen
Berlin im September 2019: Einhäupl verlässt die Charité fast auf den Tag genau elf Jahre später. Sein Nachfolger Professor Heyo Kroemer attestiert dem 72-Jährigen, dass er damit einer der am längsten im Amt befindlichen Uniklinikvorstände in Deutschland ist. „Allein die Dauer ist eine Leistung“, sagt der 59-jährige Kroemer über Einhäupls Amtszeit.
Doch Einhäupl hat noch mehr geleistet: Die Berliner Uniklinik schreibt nicht nur seit 2011 schwarze Zahlen, sondern seit März 2017 auch Fernsehgeschichte mit der nicht unumstrittenen historischen ARD-Serie „Die Charité“.
Das Bettenhochhaus in Mitte ist saniert. Auch am zwischenzeitlich mehrfach totgesagten Campus Benjamin Franklin laufen umfangreiche Renovierungsmaßnahmen. Die Investitionszusagen des Landes Berlin für ihr „Flaggschiff“, als das die Charité nun gilt, stehen unumstößlich.
Der Charité wird das Berlin Institute of Health (BIH) als neuer Unternehmens-Bestandteil zugesprochen, der mit Bundesmitteln gefördert wird – ein Novum in der deutschen Wissenschaftslandschaft seit der Föderalismusreform.
Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), hat selbst die Ressorthoheit für die Wissenschaftspolitik der Stadt und damit für die Charité übernommen.
Ära geht zu Ende
Müller und Kroemer sind sich einig: Mit dem Weggang von Einhäupl gehe eine außergewöhnlich erfolgreiche Ära zu Ende. Er habe – „mit Augenmaß und kühlem Kopf“ – stets dafür gekämpft, dass das Berlin der Wissenschaft und Forschung ein Anziehungspunkt wird, attestiert ihm der Regierungschef. „Jetzt ist dieser Punkt erreicht“, sagt Müller.
Kann sich der Pharmakologe Kroemer, der Führungserfahrung aus der Universitätsmedizin Greifswald und Göttingen mitbringt und dem Medizinischen Fakultätentag als Präsident vorsaß, nun also auf den Lorbeeren seines Vorgängers ausruhen?
Müller lässt keinen Zweifel daran, dass die Charité weiter große Veränderungen durchlaufen muss. „Wir haben viel vor mit dem Herzzentrum.“ „Es geht weiter mit der Digitalisierung.“
Und: „Wir können noch mehr erreichen in der Kooperation mit Vivantes“, sagt er. „Der Anspruch muss sein, über Berlin hinaus, den Takt vorzugeben und Impulse zu setzen“, so Müller.
Dazu scheint Kroemer durchaus bereit, wie seine Rede zur Amtsübergabe durchblicken lässt. Er spricht von den großen Herausforderungen. Dem Fachkräftemangel will er mit neuen Wegen in der Personalentwicklung und einer Neubestimmung des Verhältnisses von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen begegnen.
Für die wachsenden Finanzierungsprobleme der Unikliniken im DRG-System fordert er „zeitnahe politische Entscheidungen“. Digitalisierung betrachtet er als Chance.
Nachfolger mit großen Ambitionen
Kroemer blickt aber auch auf die Rolle der Charité innerhalb der Berliner biomedizinischen Forschungslandschaft. Zu „Visionen“ verleitet ihn der einzigartige Erfolg des Verbundantrags der drei Berliner Unis und der Charité bei der Exzellenzinitiative des Bundes.
Gemeinsam mit dem BIH und dem Max-Delbrück-Centrum will er „eine wissenschaftlich-intellektuelle Wertschöpfungskette entwickeln“. Er kündigt einen Strategieprozess an.
Doch mit dem angestrebten Universitären Herzzentrum Berlin übernimmt Kroemer auch eine offene Baustelle: Trotz mehrfacher politischer Vermittlungsversuche ist eine Einigung über die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen Charité und der Stiftung Deutsches Herzzentrum Berlin bisher nicht gelungen.
„Wir sollten uns diese Chance nicht entgehen lassen und mit den Kollegen der Stiftung an einer Lösung arbeiten“, appelliert der neue Charité-Chef. Ihm bleibt zu wünschen, dass die großen Visionen nicht im täglichen Klein-Klein zerrieben werden.