Telemedizin - die große Unbekannte
Können neue Gesundheitskarte und Telemedizin die Lösung für alle Versorgungsprobleme sein? Wissenschaftler blicken in einen blinden Fleck. Ob Telemedizin die ärztliche Versorgung verbessert, weiß im Augenblick niemand.
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Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt ist unersetzlich. Die Telemedizin bleibt dagegen eine Unbekannte, mit der viele fremdeln.
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BERLIN. Informationstechnik wird von vielen Experten als einer der Schlüssel angesehen, um die Produktivität des Gesundheitswesens zu stärken und damit dem Ärztemangel zu begegnen. Diese Zuversicht teilen aber nicht alle.
Zu Zeiten des IT-Hypes an den Börsen erwartete die Branche noch ein Wachstum von 42 Prozent beim Ausbau von Telemonitoring-Dienstleistungen.
Inzwischen gehe sie von gerade noch zwölf Prozent aus, berichtete Professor Carsten Schultz bei einem Fachgespräch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter der Überschrift "Der virtuelle Patient - Nutzen und Risiken der Informationstechnologie im Gesundheitswesen".
Forscher blickten in einen blinden Fleck
Die Gründe vermutet der Inhaber des von der Telekom gestifteten Lehrstuhls für das Management von Dienstleistungsinnovationen und Technologietransfer an der Technischen Universität Berlin im Mangel an Versorgungsforschung.
Es gebe zu wenige Rückmeldungen über Resultate und die Wirkung von IT-Nutzungen auf die Effizienz und die Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen, sagte Schultz.
Die Forscher blicken in einen blinden Fleck: "Die Studienlage sagt nichts über Sinn und Unsinn der Telemedizin."
Im Fokus informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz
Mit ihrer Veranstaltung wollte die grüne Fraktion den Blick auch über die elektronische Gesundheitskarte hinaus lenken - immer im Fokus die informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz.
Es gebe IT-gestützte Selektivverträge und den Datenaustausch innerhalb von Krankenhäusern, sagte Biggi Bender, die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion.
Zusatznutzen nicht belegt
Weiter entwickele sich ein "grauer Markt" von Anwendungen, der nicht den datenschutzrechtlichen Anforderungen des Krankenversicherungsrechtes (SGB V) unterliege, zum Beispiel die Angebote von auf den Servern von Dienstleistungsanbietern hinterlegten Gesundheitsakten.
Ob all das den heutigen Versorgungsstandards einen Zusatznutzen hinzufüge, hielten bei der Veranstaltung Ärzte, Kassen- und Bürgerrechtler für nicht belegt.
Als "Eier legende Wollmilchsau"
Die Telematik gelte in der Politik als "Eier legende Wollmilchsau", sagte Dr. Norbert Butz, der bei der Bundesärztekammer das Dezernat Telematik leitet.
Das "Heilsversprechen", mit ihr die Reichweite ärztlichen Handelns zu erhöhen, erfülle sich aber nur dann, wenn die telematischen Anwendungen aus von den Ärzten in ihrem Alltag abgeleiteten Versorgungsdefiziten entstehen.
Ärzte nicht technologiefeindlich
Folgerichtig hätten die befragten Ärzte laut E-Health-Report des Allensbach-Instituts von 2010 mindestens zur Hälfte das Notfalldatenmanagement, den elektronischen Arztbrief, die Arzneimittelsicherheitsprüfung und die elektronische Patientenakte als die Anwendungen mit dem höchsten Nutzen bezeichnet.
Ärzte seien nicht technologiefeindlich, ergänzte Butz. Sie forderten nur den Bestand der Vertraulichkeit der Arzt-Patient-Beziehung, kein Mehr an Verwaltungsaufwand durch die Telematik und eine Beschränkung der Technologie auf für den Arzt sinnhafte Anwendungen.
Telemedizin dürfe nicht zu "Intensivstation zu Hause" führen
Skepsis äußerte auch Wolfgang Linder vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Telemedizin könne auch dazu dienen, Kosten für Ärzte und Pfleger auf kommerzielle Dienstleister zu verlagern.
Telemedizin dürfe nicht dazu führen, dass Menschen in der "Intensivstation zu Hause" lebten. Das bedeute das Gegenteil von gesteigerter Lebensqualität.