Ärzte in Weiterbildung

Tag der Allgemeinmedizin: Vom „Praxisschock“ und von weiteren Herausforderungen

Wie sich Weiterbildung in der Arztpraxis strukturiert und attraktiv gestalten lässt, erfuhren Ärzte und Ärztinnen beim Würzburger „Tag der Allgemeinmedizin“ in einem Workshop.

Michaela SchneiderVon Michaela Schneider Veröffentlicht:

Würzburg. „Sie haben Medizin studiert, nicht Pädagogik. Doch de facto werden sie zu Pädagogen“, wendet sich Dr. Bettina Engel an eine Handvoll Teilnehmerinnen. „How to Weiterbildung?“ ist der Workshop überschrieben, den die Fachärztin für Allgemeinmedizin beim „6. Tag der Allgemeinmedizin“ am Universitätsklinikum Würzburg hält. Das Schnuppertraining ist ein Angebot des Kompetenzzentrums Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB).

Mit dem Fortbildungsprogramm „Train The Trainer“ (TTT) will das KWAB in praxisorientierten Seminaren weiterbildungsbefugten Ärztinnen und Ärzte Hilfen an die Hand geben, um die Weiterbildung strukturiert zu gestalten. Als Senior Scientist leitet Bettina Engel am Universitätsklinikum Erlangen die Abteilung Lehre.

Herausforderungen: Wie viele Betreuung im Praxisalltag möglich, wie viel nötig sei; wie Gespräche mit dem Arzt oder der Ärztin in Weiterbildung gestaltet sein sollten; wie sich Vertrauen aufbauen lässt zwischen Ausbilder und Auszubildendem: Fragen haben die Ärztinnen viele. Auch geht es etwa um Ängste, eigene Verantwortung in der Arztpraxis, zu übernehmen. Sie habe das Gefühl, hakt Engel ein, dass Verantwortungsängste zugenommen hätten. Gleichzeitig sind die Ansprüche der Weiterbildung mit der neuen Weiterbildungsbefugnis gestiegen. Die Trainerin gibt im Folgenden eine Reihe Grundlagen und praktische Tipps an die Hand.

Kompetenzen statt Richtzahlen: 2018 hatte der Deutsche Ärztetag grünes Licht gegeben für die novellierte Musterweiterbildungsordnung (MWBO). Im Herbst 2021 entschieden auch die Delegierten des Bayerischen Ärztetags, diese auf Landesebene umzusetzen. Die neue Verordnung setzt nicht mehr auf Richtzahlen und -zeiten – davon gebe es nur noch sehr wenige, etwa bei Hausbesuchen. Maßgeblich sind heute Kompetenzen. „Der Weiterbilder bescheinigt, dass der Assistent es kann“, fasst dies Engel in eigene Worte. Es geht um Lerninhalte, um Haltungen, um Arztrollen.

Weiterbildungsinhalte: Lange diskutiert und 2019 von den Delegierten des Ärztetages beschlossen wurde das elektronische Logbuch zur Dokumentation der Weiterbildungsinhalte und -fortschritte. Doch wie sieht dieses aus? Die Weiterzubildenden legen das Konto ihres webbasierten Logbuchs ans und können dann Inhalte für die Weiterbildungsbefugten freischalten. Ein leeres Logbuch, etwa als PDF, stellt die Ärztekammer nicht zur Verfügung. Wo kann man sich stattdessen als Weiterbilder einen Überblick verschaffen? Engel rät zum Blick ins Kompetenzbasierte Curriculum Allgemeinmedizin der DEGAM. Auf diesem basiert das eLogBuch.

Die Arztrolle: „Seien Sie sich bewusst: Sie sind als Weiterbilder Role-Models“, sagt Engel. Der Umgang mit den Patienten, der Spaß an der Arbeit, die ärztliche Motivation – all dies sind Bereiche, in denen das Verhalten des Weiterbilders prägend wirken kann auf den Assistenzarzt.

Neues Setting, neue Erfahrungen: Zeit- und Terminmanagement, Teamplay in der Praxis, Investitionen und Finanzplanung: Plötzlich geht es um völlig andere Themen als an der Universität. Es gibt kein Labor mehr um die Ecke. Um dem Assistenzarzt einen „Praxisschock“ zu ersparen, rät Engel, diesen Übergang gleich zu Beginn zu thematisieren. Das gänzliche Umdenken, sagt sie, sei einer der wichtigsten Punkte: Das Setting sei, nicht nur bezogen auf Möglichkeiten, sondern auch bezogen auf Prävalenzen ein völlig anderes. Das Risiko eines Herzinfarkts etwa sei in der Praxis deutlich niedriger als in der Klinik. „Und sprechen Sie mit dem Assistenzarzt darüber, wie häufig sie Antibiotika verschreiben, verweisen sie auf die Leitlinie Halsschmerzen. Adressieren sie solche Punkte direkt, der Weiterbildungsassistent ist durch das Krankenhaus unter Umständen ganz anders konditioniert.“

Eigene Werte und Vorstellungen: Die Trainerin empfiehlt, eigene Werte und Vorstellungen zum Umgang mit Patienten, aber auch mit Mitarbeiterin gleich zu Beginn zu kommunizieren. Das beginnt mit der Frage, ob sich das Personal in der Praxis duzt oder siezt. „Stellen Sie die Rahmenbedingungen klar“, sagt Engel. Und weil nicht erfüllte Erwartungen einer der häufigsten Gründe für schlechte Laune seien, sollte auch über Erwartungen des Assistenzarztes gesprochen werden.

Lernziele: In einem ersten Gespräch sollte abgeklärt werden, was der Arzt schon kann und weiß. Dann sollten gemeinsame Lernziele definiert, festgesteckt werden und regelmäßig gemeinsam überprüft werden. Doch woran orientieren? Dr. Bettina Engel verweist zum Beispiel auf das DEGAM-Dokument „Praxis als Lernort: Die Meilensteine“. De facto sei es ein Weiterbildungsplan.

Geschützter Rahmen: Aufgabe des Weiterbilders ist es, dem Assistenzarzt einen geschützten Rahmen zu bieten. Um Ängste vor Verantwortung zu nehmen, lässt Bettina Engel im eigenen Ausbilderalltag Assistenzärzte anfangs zum Beispiel gern engmaschig Liste führen zu allen Unsicherheiten des Tages und geht diese am Arbeitstagende gemeinsam durch. „Oft schon nach einer Woche lasse ich dies dann lockerer laufen. Mein subjektiver Eindruck ist: Das gibt Sicherheit.“

Reflexion: Feedback und Wertschätzung durch den Weiterbilder bezeichnet Engel als „ größte Trigger“. Sie selbst fragt ihr Gegenüber gern vorneweg, was aus dessen Sicht gut gelaufen sei, und gibt dann eigenes Feedback. Stelle Sie die Frage, was schlecht gelaufen sei, sei hier im Anschluss kaum mehr eigenes Feedback notwendig.

Dass sich die Ärztinnen trotz aller Herausforderungen im Praxisalltag als Weiterbilderinnen engagieren wollen und müssen, steht für die Workshop-Teilnehmerinnen außer Frage: Sie habe eine Landpraxis und große Sorge, dass die Region in Sachen medizinische Grundversorgung abgehängt werde. „Wir brauchen Weiterbildungsassistenten, um über die Runden zu kommen.“

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