Modellprojekt
Westküstenklinikum will Sektorengrenzen sprengen
Über Sektoren übergreifendes Arbeiten wird seit Jahren geredet - in Brunsbüttel soll das Realität werden. Ärzte am Westküstenklinikum sollen ambulante Sprechstunden anbieten.
Veröffentlicht:BRUNSBÜTTEL. Im Süden Dithmarschens soll in den kommenden zehn Jahren ein Versorgungsmodell entstehen, das als Vorbild für die künftige medizinische Versorgung in ganz Deutschland dienen könnte.
Die Barrieren zwischen dem stationären und ambulanten Bereich sollen fallen, Mittel zwischen den Sektoren fließen. Ob am Ende gar ein regionales Versorgungsbudget stehen könnte, ließen die Verantwortlichen noch offen.
Zentrum des Modells ist der defizitäre Brunsbütteler Standort des Westküstenklinikums (WKK), zu dem auch ein größeres und wirtschaftlich arbeitendes Krankenhaus in Heide gehört.
Der Brunsbütteler Standort ist nach Ansicht der Klinikleitung wegen der hohen Vorhaltekosten nicht wirtschaftlich zu betreiben.
Streit auf Eis gelegt
Deshalb streiten sich Klinik und Kassen seit Jahren um einen Sicherstellungszuschlag für Brunsbüttel, der für 2012 mit 1,5 Millionen Euro veranschlagt ist.
Statt sich weiterhin zu streiten und Gerichte zu bemühen, wollen die Beteiligten nun ein innovatives Modell entwickeln, bei dem die Trennung zwischen den Sektoren aufgehoben wird.
Der Streit um den Sicherstellungszuschlag wird dafür bis Ende März 2014 auf Eis gelegt. Klinik, Kassen, KV, Ärztegenossenschaft und regionales Praxisnetz werden an einen Tisch geholt, um die Rahmenbedingungen abzustecken.
Aus dem WKK Brunsbüttel soll ein Facharztzentrum werden, in dem Klinikärzte stationär arbeiten und zugleich Sprechstunden für die ambulante Versorgung anbieten.
Die KV ist laut Klinikmanager Harald Stender bereit, dafür zusätzliche Kassenarztsitze für die Region über die Bedarfsplanung hinaus auszuweisen.
Anstellung soll Ärzte locken
Träger der Sitze könnte eine gemeinsame Tochtergesellschaft von WKK und Ärztegenossenschaft Nord werden. An dieser schon vor Jahren gegründeten WestDoc GmbH halten beide Partner Anteile.
Die WestDoc ist derzeit Träger von MVZ mit vielen Arztsitzen in Dithmarschen. Über eine Anstellung, die eine Tätigkeit im ambulanten und stationären Bereich bietet, glaubt Stender neue Ärzte nach Dithmarschen holen zu können. Interessenten für Einzelpraxen sind dagegen rar.
Parallel zum Ausbau der ambulanten Strukturen ist Stender bereit, Abstriche bei den stationären Kapazitäten zu machen. Derzeit verursachen diese Kapazitäten hohe Vorhaltekosten - bei gerade mal 5100 stationär behandelten Patienten im vergangenen Jahr. Die Zahl der ambulant behandelten Patienten im WKK betrug dagegen 57.000.
"Es wird weiterhin stationäre Versorgung geben", stellt Stender klar. Bleiben soll auf jeden Fall eine rund um die Uhr besetzte Notfallbehandlungseinheit. Ein Abbau etwa in der Intensivmedizin sei denkbar.
Derzeit hält das WKK noch 140 Betten hauptsächlich für Innere, Chirurgie und Geriatrie vor. Die rund 330 Mitarbeiter, darunter 180 Vollzeitkräfte, müssten wegen des langen Übergangszeitraums nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Zur Finanzierung: Die durch den Kapazitätsabbau frei werdenden Mittel könnten zum Teil in die ambulante Versorgung investiert werden. Auch der umstrittene Sicherstellungszuschlag könnte dann umgewidmet werden.
Als größte Hürde hat Stender das "hochregulierte Gesundheitssystem" ausgemacht. Er hält deshalb einen Modellversuch für am wahrscheinlichsten. Beim Träger stoßen die Pläne auf volle Zustimmung. Dr. Jörn Klimant, als Landrat Chef des WKK-Aufsichtsrates, sprach von einem "beispielhaften Weg, der als Vorbild für Deutschland dienen könnte".
Kassen begrüßen das Vorhaben
AOK Nordwest, vdek und Betriebskrankenkassen begrüßten die Bemühungen. "Wenn dieses Modell so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, profitieren davon alle", sagte Dr. Dirk Janssen vom BKK-Landesverband Nordwest.
Auch aus der Politik gibt es bereits positive Resonanz. Karsten Jasper, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, sieht darin ein "zukunftsträchtiges Modell, wenn alle Beteiligten auf Augenhöhe eingebunden werden".
In der Stadt Brunsbüttel selbst hofft Bürgermeister Stefan Mohrdieck auf ein innovatives Modell, weil zuletzt nicht mehr alle Praxen nachbesetzt werden konnten.
Stender selbst ist überzeugt, dass die Einigung gelingt: "Wenn es hier nicht gelingt, gelingt es nirgendwo."
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