Leitartikel zur Adhärenz

Wie autonom dürfen Patienten bei der Behandlung sein?

Das aktuelle Compliance-Verständnis dreht sich darum, die Patienten in den Behandlungsverlauf aktiv einzubinden - als Mitentscheider. Doch viele Ärzte stehen damit auf Kriegsfuß. Warum eigentlich?

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Schwieriger Fall? Die Körpersprache des Patienten signalisiert dem behandelnden Arzt eine große Portion Skepsis. Dennoch kann der Patient hoch compliant werden.

Schwieriger Fall? Die Körpersprache des Patienten signalisiert dem behandelnden Arzt eine große Portion Skepsis. Dennoch kann der Patient hoch compliant werden.

© StockLite/shutterstock.com

Viele Patienten informieren sich ausführlich im Internet über ihre Krankheit und oft auch über den Arzt, bevor sie überhaupt eine Praxis aufsuchen. Sie wissen dann eine Menge über ihr Leiden und mögliche Behandlungen. So präsentieren sie dann in der Praxis ihrem Arzt eine fertige Diagnose, manche fordern sogar eine bestimmte Therapie von ihm. Und das wird zunehmen, vermuten Experten.

Verschiebt sich hier die Beziehung zwischen Arzt und Patient? Verlieren Ärzte ihren Wissensvorsprung? Werden sie mehr und mehr zu ausführenden Organen, dem Patientenwillen unterworfen? Kann man das ganze Gerede um Empathie und Compliance vergessen? Wird es nur noch darum gehen, das zu tun, was der Patient erwartet - schon, damit die Praxis nicht heftig kritisiert wird in Arztbewertungsportalen? Ist das die Zukunft?

Der ein oder andere Arzt mag das wirklich befürchten. Doch natürlich ist das Unsinn. Auch wenn überinformierte Patienten mit ihrem medizinischen Halbwissen aus dem Internet ganz schön nerven können. Hand aufs Herz, man kann vielen Patienten eine echte Fachkompetenz nicht grundsätzlich absprechen. Gerade chronisch Kranke sind die wahren Experten für ihre Krankheit.

Paternalismus gehört zur Vergangenheit

Es hat sich jedoch wirklich etwas geändert in der Arzt-Patienten-Beziehung. "Compliance" bedeutet nicht mehr das reine "Befolgen" von Therapieregeln. Compliance ist nicht mehr eine Leistung, die der Arzt vom Patienten fordert. Im Sinne von: Der Patient hat sich gefälligst an das zu halten, was der Arzt diktiert.

"Wenn Sie das nicht tun, dann wird das und das geschehen." "Drohmedizin" nennt der Dermatologe und Kommunikationstrainer Dr. Thomas M.H. Bergner diese Art der Kommunikation. Das paternalistische Kommunikationsmodell, das dahinter steht, verschwindet zunehmend aus den deutschen Praxen. Und das ist auch gut so.

Partizipationsgrad des Patienten variiert

Inzwischen werden Patienten als Partner gesehen, und es wird das Konzept des Shared Decision-Making propagiert: Der Patient soll an der Therapieentscheidung beteiligt werden.

Die Umstellung auf die partizipative Entscheidungsfindung falle vor dem Hintergrund der Gewöhnung an das traditionell hierarchische Arzt-Patienten-Gefälle nicht leicht, so Bergner.

Kommunikationsexperten raten Ärzten, Patienten zu fragen, wie weit sie an der Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen. Die meisten werden es gerne dem Arzt überlassen und bitten höchstens um Information.

Im partizipativen Kommunikationsmodell ist Compliance - oder Adhärenz, wie man heute gerne sagt, weil es nicht ganz so paternalistisch klingt - keine rein fremdbestimmte Leistung mehr. Der Patient steht selbst hinter den Empfehlungen zur Therapie.

Es ist auch sein Interesse, sich daran zu halten. Er trägt die Verantwortung mit und kann sie nicht einfach an den Arzt abschieben. Also die beste Voraussetzung für einen Therapieerfolg.

Alles schön und gut. Doch wie geht man nun mit den immer mehr besonders informierten, oft überinformierten Patienten um, die sowieso schon alles besser wissen?

Nun, hier gilt es umzudenken - auch, wenn das nicht leicht fallen mag. Natürlich sind diese Patienten zunächst schwierig. Und es kostet viel Geduld und Zeit, die man nicht wirklich zur Verfügung hat, zuzuhören, Vorurteile abzubauen und sie von einer anderen Therapie zu überzeugen als der, die sie sich vorstellen und vielleicht sogar erwarten, gar fordern.

Doch informierte Patienten sind kein Fluch, sondern eher ein Segen. Man sollte das Wissen oder Halbwissen von Patienten und ihre Bereitschaft, sich zu informieren, als Chance verstehen, auf der gemeinsam weitergearbeitet wird.

Loben und bestätigen

Man kommt sicher weiter, wenn man das Vorwissen von Patienten nicht einfach als lästig oder völlig falsch abtut, sondern herausfindet, was sie wissen und wie sie ihre Informationen bewerten. Dann ist es einfach, sie gezielt in die Therapieentscheidungen einzubeziehen.

Man sollte sie bestätigen und loben, dass sie sich kundig machen und über ihre Krankheit informieren. Man sollte sie sogar auffordern, das zu intensivieren, eventuell Websites empfehlen.

So werden aus zunächst lästigen, weil halb-informierten Patienten besonders motivierte Patienten, die stark compliant sind. Ist das nicht ein Einsatz, der sich lohnt? Und dann gibt es sicher auch keine schlechten Bewertungen für die Praxis im Internet.

Dennoch gibt es natürlich Patienten, die auf die dritte mögliche Spielart der Arzt-Patienten-Kommunikation drängen, nämlich das autonome Modell, nach dem die Patienten sich zwar anhören, was der Arzt zu sagen hat, aber dann völlig autonom für sich entscheiden, was sie machen wollen. Was dann?

Dieses Verhalten ist eher selten. Wichtig für den Arzt: Hält ein Patient aber an einer Behandlungsidee fest, von der man als Mediziner abrät, sollte man das unbedingt dokumentieren.

Doch sonst gilt, sich klar zu machen, dass auch solche Patienten Kranke sind, die Hilfe suchen. Hier ist wie immer Empathie gefragt - und extra viel Geduld. Und vor allem auch Gelassenheit. Schon, um nicht die Burn-out-Falle zu geraten.

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Kommentare
Dr. Richard Barabasch 22.08.201310:06 Uhr

Sie machens''S sich zu einfach Herr Thill

Herr Thill spricht von "Unfähigkeit im Ursinn des Wortes", doch das ist nicht die Wurzel der Pflanze. Ärzte - reden wir lieber von der Realität, nämlich von Krankenkassenpflichtversicherte betreuenden Vertragsärzten -
sind eine Population von ca 25 bis 75 jährigen Menschen und der Hauptanteil sind die 45 bis 75 Jährigen mit einem Gipfel bei "nach-50". Diese haben ihr Examen vor ca 35 Jahren gemacht. Damals war der ß_blocker nicht nur verboten bei Herzinsuffizienz, sondern die "Moral" des Arztsein''s war eine ganz andere! Herr Thill hat gut reden - aber "die Natur" (der Sache) hat eben "nur" die Chance gut zu WERDEN. Sorry: der immer wieder vergessene Grundsatzt heist: es hat ALLES Seine Zeit. Warten wir ''mal ab, wie das (sich doch permanent wandelnde) Arztbild (schon bereits) in 5 Jahren aussieht, mit all den Folgen der baldigen Bundestagswahl, dem Generationenproblem, dem Hausarztproblem, dem Facharztbroblem, dem Klinikproblem . . . hab'' ich was vergessen ?
Ein Gesichtspunkt ist nie einer, sondern EINER VON VIELEN und eben der, den sich einer gerade ausgeguckt hat. Das neudeutsche Informed-Consent hat''s immer gegeben und kein(e) ArztIn, die/der sich als solche(r) je verstand, hat sich je dagegen ausgesprochen, oder gewehrt, aber nie gab''s so viele, die von wenig wenig Ahnung haben, aber bei allem mitschwätzen wollen - eben auch Patienten. 40 Jahre eigenverantwortliche Arzttätigkeit im Krankenkassenpflichtversicherten-Bereich geben mir nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Verpflichtung, eine Diskussion auf den realen Boden (der Tat-Sachen) zurückzuführen und den vielen "Sollten-Hätte-Wäre-Müsste-Wenn-Aktivisten" den Rat zu einer korrekten und wahrheitsgemäßen Diskussion zu geben. Der letzte Rest der Vertragsärzteschaft wird, wie alles auf dieser polaren Welt, langsam, aber sicher auch "breitgewalzt = flächendeckend den "infromed-consent beherzigt haben - aber unter welchen Bedingungen und wann . . . das braucht eben Seine Zeit,
meint,
Richard Barabasch

Klaus-Dieter Thill 22.08.201307:21 Uhr

Der Grund für die bislang gering ausgeprägte Adhärenz-Förderung durch niedergelassene Ärzte ist banal

Trotz der Vorteile, die eine Adhärenz-zentrierte Patientenbetreuung Praxisinhabern bietet (Praxis-Strategie 2013), kommt die konkrete Umsetzung nur sehr schleppend in Gang. Der Grund hierfür ist jedoch nicht mangelnde Bereitschaft oder fehlendes Wissen, sondern – ganz banal – Unfähigkeit im Ursinn der Wortbedeutung: Ärzte können Adhärenz-Förderung zum einen nicht betreiben, weil sie ihre Praxisorganisation hierzu nicht befähigt. Praxisteams ersticken in einer ungeregelten Patientenflut oder stehen sich durch fehlende interne Kommunikation selbst im Weg. Eine Adhärenz-gerichtete Patientenversorgung bedarf aber spezifischer Regelungen und vor allem einer Planung, um sachgerecht umgesetzt zu werden. Zum zweiten sind Ärzte nicht in der Lage, Patienten einfach und verständlich medizinische Zusammenhänge oder Arzneimittel-spezfische Wirkungen und Nebenwirkungen zu erläutern, z. T. müssen die Medizinischen Fachangestellten diese Aufgabe übernehmen. Ebenso stellt die Entwicklung von Therapie-Vereinbarungen viele Praxisinhaber vor eine unlösbare Aufgabe. Wer ein ein Adhärenz-zentriertes Praxismanagement in seiner Praxis etablieren will, muss sich hierzu befähigen, indem er die Voraussetzungen im Sinne eines Best Practice-orientierten Praxismanagements schafft und seine Patienteninformationen verständlich simplifiziert (http://bit.ly/Wg94SS)

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