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Wo ist Deutschlands Digital-Dirigent?

Gut ein Jahr, bevor GKV-Patienten ein Anrecht auf elektronische Patientenakten erhalten sollen, wächst die Kritik an der Digitalisierungspolitik. Koordination? Fehlanzeige. Oder ändert sich gerade alles?

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Dirigent für Digitales gesucht: Manche Digitalisierungs-Profis kritisieren, dass es keine Steuerung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland gibt.

Dirigent für Digitales gesucht: Manche Digitalisierungs-Profis kritisieren, dass es keine Steuerung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland gibt.

© ipopba / stock.adobe.com

Berlin. Der Bundesgesundheitsminister lässt sich gerne mit Start-ups fotografieren – zuletzt Anfang der Woche in Berlin bei der Vorstellung eines Gründermanifests, das 47 Vertreter junger Digital Health Unternehmen unterzeichnet haben, um bessere Rahmenbedingungen für ihre Innovationen zu erreichen. Das Gesundheitswesen lässt sich aber nicht mit Start-ups allein digitalisieren. Diejenigen, denen das klar ist, trafen sich jetzt beim 4. Deutschen Interoperabilitätstag, ebenfalls in Berlin. Und dort war weniger Enthusiasmus.

Zu viel Aktionismus, zu wenig Koordination, auf diesen Nenner lässt sich die Stimmung im digitalen Gesundheitsdeutschland jenseits der Start-up-Szene aktuell bringen. Ein die derzeitigen Lesungen für das Digitale-Versorgung-Gesetz im Deutschen Bundestag begleitender Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat die von vielen beklagten Defizite auf den Punkt gebracht: Es reicht nicht, gesetzlich ein paar Zügel zu lockern, ein paar Termine zu setzen und ein paar Incentives zu definieren. Es müssen auch echte Entscheidungen getroffen werden.

gematik soll sich von den politischen Akteuren emanzipieren

Das fängt an bei der digitalen Kommunikation zwischen Leistungserbringern – eine Basistechnologie für fast alles im digitalen Gesundheitswesen. Seit Monaten eiern die Verantwortlichen herum und produzieren enorme Verzögerungen. Das Einzige, was aktuell zur Verfügung steht, ist KV-Connect, bei rund 12 000 Ärzten.

Es soll (vielleicht) ersetzt werden durch das breiter aufsetzende KOM-LE, das aber erst (irgendwann) 2020 in die Tests geht. Derweil starten dank politischen Drucks landauf, landab E-Rezepte und E-AU, die KV-Connect nutzen (müssen), obwohl das (vielleicht) ein Auslaufmodell ist. Das Ganze ist genau der Krampf, nach dem es klingt.

Das KOM-LE-Theater geht zurück auf Zeiten, in denen jeder Akteur der Selbstverwaltung für einzelne Anwendungen hauptverantwortlich war. Das war das so genannte Projektleitermodell, das letztlich Sektoren digital zementierte. Dieses Projektleitermodell wird aktuell im Zuge der Neustrukturierung der gematik unter dem neuen Mehrheitsgesellschafter Bundesgesundheitsministerium abgeschafft. Die gematik soll mehr selbst entwickeln und damit mehr integrierende Macht bekommen.

Interoperabilitätsverzeichnis ein zahnloser Tiger

KOM-LE ist bei Weitem nicht der einzige Standard, bei dem es ein Entscheidungsproblem gibt. Das Interoperabilitätsverzeichnis, das die Defizite beheben sollte, ist zwei Jahre nach seinem Start ein zahnloser Tiger. Als wahrscheinlich einziges Gesundheitswesen der Welt hat das deutsche keine Instanz, die die Autorität besäße, technische und inhaltliche Standards vorzugeben. Eine komplett durchregulierte Branche leistet sich ausgerechnet bei diesem Punkt den blinden Glauben an einen sich selbst regulierenden Markt.

Zumindest bei der gematik scheint man sich der Schwierigkeiten zunehmend bewusster zu werden. Gematik-Experte Steffen Hennecke erstaunte die Zuhörer mit dem Satz, dass vielleicht ein Dirigent fehle, der das digitale deutsche Gesundheitswesen in die richtige Richtung lenken könne. Noch mehr erstaunte er damit, dass er eine im Jahr 2013 politisch beauftragte Interoperabilitätsstudie aus dem Hut zog, die schon damals eine „E-Health-Rat“ genannte Koordinierungsinstanz empfohlen hatte.

Koordinierungsinstanz gesucht

Daran will man sechs Jahre später offenbar anknüpfen. Am 10. Dezember sollen alle bei der Standardisierung engagierten Akteure an einen Tisch. Fernziel ist eine Koordinierungsinstanz, die genau jene Entscheidungen treffen soll, die bisher niemand trifft. Problem erkannt also? Alexander Ihls von der Organisation IHE signalisierte Bereitschaft zur Mitarbeit. Er sagte aber auch, dass es am Ende nicht einen Workshop, sondern ein Entscheidungsgremium mit hoheitlichen Aufgaben brauche.

Der im Sommer inthronisierte gematik-Geschäftsführer Markus Leyck-Dieken fand zumindest klare Worte: „Wir wollen endlich Verbindlichkeit. Für Unternehmens- oder Krankenkassenbiotope werde ich wenig Verständnis haben. Wir werden Deutschland nicht durch Kurfürstenprojekte digitalisiert bekommen, auch dann nicht, wenn sie ein ganzes Bundesland betreffen.“ Bei solch markigen Worten war dem ehemaligen Arzt und Pharmamanager Beifall sicher. Allein: Werden Taten folgen?

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