Ernährung
Erhöhtes Diabetesrisiko bei Gluten-Verzicht
Gluten ist schädlich, meinen manche Menschen, für einige ist das Klebereiweiß die Quelle aller Zivilisationskrankheiten. Bezogen auf Typ-2-Diabetes könnte jedoch das Gegenteil zutreffen.
Veröffentlicht:SHANGHAI. Glutenfreie Lebensmittel werden immer populärer: Selbst Menschen, die weder an Zöliakie noch an Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität leiden, versprechen sich vom Verzicht auf das in Weizen, Roggen und Gerste enthaltene "Klebereiweiß" positive Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Auf wissenschaftliche Evidenz können sie sich dabei allerdings nicht berufen.
Durch kleinere Interventionsstudien mit hochdosierter Glutenzufuhr werden sogar eher gegenteilige Effekte nahegelegt. In dieselbe Richtung deutet nun eine Analyse von drei prospektiven Kohortenstudien. Danach geht mit sinkender Glutenzufuhr das Diabetesrisiko in die Höhe (Diabetologia, online 3. August).
Glutenkonsum zwischen 2 und 12 g
Die fast 200.000 Teilnehmer der Studien Nurses‘ Health Study (NHS), NHS II und Health Professionals Follow-up Study (HPFS) hatten über einen Zeitraum von 20 bis 28 Jahren alle zwei bis vier Jahre in validierten Fragebögen zu ihrer Ernährung Auskunft gegeben.
Der Glutenkonsum lag bei der großen Mehrheit stabil zwischen 2 und 12 g pro Tag; Hauptquellen waren Nudeln, Vollkornbrot, Müsli, Pizza, Weißbrot und Backerzeugnisse aus Weizen. Dabei ernährten sich Menschen mit höherer Glutenzufuhr insgesamt gesünder, abzulesen etwa am Alternative Healthy Eating Index (AHEI), als Teilnehmer mit glutenreduzierter Diät.
Bei 15.947 Teilnehmern (8 Prozent) wurde im Beobachtungszeitraum ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Wurde das Diabetesrisiko im untersten Quintil (Q1) der Glutenzufuhr (median 2,6–3,6 g/d) als Referenzwert gleich 1 gesetzt, lag das Risiko in Q2 bis Q5 bei 0,89, 0,84, 0,78 und 0,80. Das heißt, die Gruppe mit dem höchsten Glutenkonsum (median 6,8–9,3 g/d) hatte ein um 20 Prozent geringeres Erkrankungsrisiko.
Bei diesen Zahlen war der Einfluss von Alter, Geschlecht und zahlreichen Lebensstilfaktoren bereits berücksichtigt. Wurde zusätzlich nach dem Verzehr von Ballaststoffen aus Getreide abgeglichen, fielen die Risikoreduktionen bei höherem Glutenkonsum etwas geringer aus: Im höchsten Quintil war das Risiko dann nur noch um 13 Prozent geringer als im niedrigsten.
Eine Dosis-Wirkungs-Analyse bestätigte die weitgehend lineare inverse Beziehung zwischen einer Glutenzufuhr bis zu 12 g/d und dem Diabetesrisiko. Diese Assoziation war in allen untersuchten Subgruppen nachzuweisen, besonders deutlich fiel sie aber bei jüngeren, schlanken und körperlich aktiven Teilnehmern aus.
Verminderte Ballaststoffzufuhr
Das höhere Risiko für Typ-2-Diabetes bei geringerem Glutenkonsum lässt sich demnach teilweise auf die verminderte Ballaststoffzufuhr zurückführen. Für einen direkten Effekt von Gluten gibt es den Studienautoren um Geng Zong von der Chinese Academy of Sciences in Shanghai zufolge ebenfalls Erklärungsansätze: So kann eine glutenfreie Diät die Zusammensetzung des Darmmikrobioms nachteilig verändern. Die Zufuhr von Gluten wiederum scheint die Resorption von Kohlenhydraten zu drosseln.
Für das Team um Zong heißt das: "Die Glutenzufuhr auf einem Niveau, wie es für westliche Industrienationen typisch ist, stellt wahrscheinlich keinen Risikofaktor für einen Diabetes dar." Im Umkehrschluss heißt das aber auch: "Den täglichen Glutenkonsum einzuschränken, hilft den meisten Menschen vermutlich nicht, einem Typ-2-Diabetes vorzubeugen."
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