Einfach gut drauf

Psychologen singen gegen den eigenen Stress an

Einen Sonntagsblues kennen sie nicht, denn montags ist Chorprobe: In Berlin singen Psychiater, Psychologen und Neurologen seit fast 20 Jahren gemeinsam in einem außergewöhnlichen Chor.

Von Anja Sokolow Veröffentlicht:
Mitglieder der "Singing Shrinks" proben in der Hörsaalruine der Berliner Charité.

Mitglieder der "Singing Shrinks" proben in der Hörsaalruine der Berliner Charité.

© Christoph Soeder/dpa

Die „Singing Shrinks“ oder auch Singende Seelenklempner treten zwar regelmäßig auf, aber der Chor bedeutet für die Sänger weitaus mehr als nur Musik. Die Proben helfen ihnen auch bei der Stressbewältigung und Burnout-Prophylaxe. „Singen ist gesund für Körper und Seele. Es entspannt und macht die Muskeln lockerer, die Stresshormone pegeln sich ein und positive Emotionen werden aktiviert“, sagt Stressforscher und Mitbegründer Mazda Adli.

„Wir sind weltweit der einzige Chor, der nur aus Psychiatern, Psychologen und Neurologen besteht“, sagt Adli am Rande der Probe in einer alten Hörsaalruine auf dem Charité-Gelände. Ganz sicher?

„Mir hat zumindest noch nie jemand widersprochen“, versichert der 49-jährige Psychiater. Es gebe zwar zahlreiche Mediziner-Ensembles – wie etwa das World Doctors Orchestra - aber ein Chor aus Leuten, die „das Gehirn behandeln“ - das sei einzigartig.

Auftritte auf Feiern und Kongressen

Seit 18 Jahren singen die Seelenklempner bereits gemeinsam, angeleitet von drei Profis. Die Gruppe tritt bei Jubiläumsfeiern auf oder auch bei Kongressen. Das Repertoire: ein Genre-Mix mit Liedern aus der Weimarer Republik bis hin zu Popsongs von Coldplay.

Die Truppe tritt meist in der Region Berlin-Brandenburg auf. Denn: „Wenn wir verreisen, fehlen schließlich auch in vielen Berliner Kliniken Chefärzte“, sagt Adli.

Um die großen Tourneen geht es den Hobbysängern auch gar nicht. Für viele ist das Singen vor allem eines: Stressbewältigung.

Denn sie haben es mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun. Mit Patienten, die unter Schizophrenie, Depressionen oder Angststörungen leiden. Oder Menschen, die in schweren psychischen Krisen stecken. Hinzu kommen Forschung, Verwaltungsaufgaben und Gespräche mit Angehörigen, Ämtern, Polizei und Kollegen.

Singen lockert mehr als nur Muskeln

Der Berliner Stressforscher Mazda Adli ist Mitbegründer und Sänger der «Singing Shrinks», einem Chor aus Psychiatern, Neurologen und Psychologen.

Der Berliner Stressforscher Mazda Adli ist Mitbegründer und Sänger der «Singing Shrinks», einem Chor aus Psychiatern, Neurologen und Psychologen.

© Christoph Soeder/dpa

„Ich muss in meinem Beruf viele seelische Feuer löschen. Es ist wichtig, dass man weiß, wie man für wirksame Erholung sorgen kann“, sagt Stressforscher Adli. „Singen ist gesund für Körper und Seele. Es entspannt und macht die Muskeln lockerer, die Stresshormone pegeln sich ein und positive Emotionen werden aktiviert“. Er könne noch so belastet und gestresst sein: „Sobald ich im Chor singe, ist alles vergessen“, sagt er.

Forscher haben herausgefunden, dass beim Singen im Chor Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon, sowie die klassischen Glückshormone, Endorphine, ausgeschüttet werden. Außerdem wird beim Singen Immunglobulin gebildet – das heißt: Singen stärkt die Abwehrkräfte.

Für Tom Bschor, einen der führenden deutschen Depressionsforscher, ist das Singen im Chor „Burnout-Prohylaxe“. „Man findet seine Mitte. Wenn für mich einmal ein Termin ausfällt, fehlt mir etwas“, sagt der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung in der Schlosspark-Klinik Charlottenburg.

Gemeinsam Singen ist wie Meditieren

Der Chor sei zudem eine tolle Gemeinschaft. „Wir sind Freunde und tauschen uns auch beruflich aus“, so Bschor, der von Anfang an dabei ist.

Der Musikwissenschaftler und Autor Gunter Kreutz („Warum singen glücklich macht“) bestätigt diese Erfahrungen. „Singen tut psychisch sehr gut. Es gibt unendlich viele Berichte darüber, dass sich Sänger nach einer Chorprobe erfrischt, gestärkt und entspannt fühlen“, so der Professor an der Universität Oldenburg.

Seit etwa 20 Jahren stünden Laienchöre zunehmend im Interesse der Wissenschaft. Untersuchungen hätten zudem gezeigt, dass das Singen im Chor auch ein meditatives Erlebnis sei. „Man kommt zu sich und wird achtsamer im Umgang mit sich und der Umwelt“, so Kreutz.

Genaue Zahlen darüber, wie viele Menschen in Chören singen, gibt es laut Deutschem Chorverband nicht. Die Zahl der verbandlich organisierten Chöre liege bei etwa 60 000. Hinzu kämen Betriebschöre, Schulchöre und Chöre der freien Szene, deren Zahlen nirgendwo systematisch erfasst würden, sagt Sprecherin Nicole Eisinger.

Mitsingformate boomen

„Aus unseren Erfahrungen und Beobachtungen heraus ist gerade dies aber ein Bereich, der verstärkt Zulauf erfährt“, so Eisinger mit Blick auf letztere. „Daneben boomen auch die völlig zwanglosen Mitsingformate wie zum Beispiel der „Ich-kann-nicht-singen-Chor“ aus Berlin, das Rudelsingen oder große Mitsing-Stadionevents“, ergänzt sie.

Der Berliner Chorleiter Sven Ratzel betreut sechs Ensembles, darunter auch die Seelenklempner. „Jeder Chor ist speziell, wenn eine Gruppe so etwas Identitätsstiftendes hat, ist das etwas Feines“, sagt er mit Blick auf den gemeinsamen beruflichen Hintergrund der Singing Shrinks.

Ihre Ursprünge hat der Psychiaterchor bei der Verabschiedung eines Klinikdirektors, für den Adli und Kollegen vor 18 Jahren ein Ständchen sangen. „Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir weitergemacht haben“, so Adli. Der Probentermin sei nicht zufällig gewählt. „Die Montage sind im Klinikalltag besonders belastend. Jetzt hat man keinen Sonntagsblues mehr, denn am Montag ist ja Chorprobe.“ (dpa)

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