Klinik Elliniko in Athen

Letzte Hoffnung für sozial Gestrandete

Jeder dritte Grieche hat heute keine Krankenversicherung mehr - und fällt damit durch das Netz der staatlichen Gesundheitsversorgung. Die Athener Sozialklinik Elliniko ist für viele die letzte Anlaufstelle.

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Aus Griechenland berichtet Jana Kötter

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Veröffentlicht: 24.07.2015 © Springer Medizin

ATHEN. Es gibt eine Geschichte, die Christos Sideris besonders gerne erzählt. Seine Augen leuchten dann, und der junge Grieche, der sonst so ernst spricht, lächelt sogar.

Es ist die Geschichte des 24-Jährigen, der an Leukämie erkrankt ist - und der kurz davor stand, aus der staatlichen Krankenversicherung zu fallen. Ein Monat blieb ihm noch, als seine Großmutter einen emotionalen Hilferuf startete.

Und zwei andere Patienten tageweise ihre Medikamente absetzten, um den Jungen so lange zu unterstützen, bis Sideris und sein Team das passende Medikament auftreiben konnten.

Die Geschichte ist ein Symbol für die Solidarität, die sich seit dem Ausbruch der Krise vor über fünf Jahren ganz langsam, aber deutlich spürbar neben die Verzweiflung in die Bevölkerung Griechenlands gesellt hat.

Auch die Klinik, die Christos Sideris 2011 gemeinsam mit Freunden gegründet hat, ist ein Zeichen dieser Solidarität.

Im Athener Stadtteil Elliniko ist die gleichnamige soziale Klinik Anlaufstelle für alle, die sich keine private Gesundheitsversorgung leisten können und - etwa aufgrund andauernder Arbeitslosigkeit - aus der staatlichen Einheitsversicherung EOPYY ausgeschieden sind.

Wartezimmer oft überfüllt

Sozialklinik Elliniko

Die Metropolitan Community Clinic Hellenikou befindet sich im Athener Stadtteil Hellenikou (Elliniko).

Gegründet wurde sie 2011 von zehn Freunden, unter ihnen Christos Sideris, heute kaufmännischer Leiter der Klinik, und Dr. George Vichas. Er sah damals täglich das Leid im staatlichen Gesundheitssystem und beschloss zu helfen.

2012 zählte die Klinik 4000 Patientenkontakte, 2013 waren es bereits 18 000. Nach 35 000 Besuchen in 2014 sind die Zahlen für das erste Halbjahr 2015 nun erstmals rückläufig.

Patienten erhalten in der Sozialklinik kostenfreien Zugang zu Behandlung, Arzneimitteln und — wenn nötig — Babynahrung.

Drei Grundsätze vertritt die Klinik in ihrer Spendenpolitik: Es werden nur Arzneimittel- und Sachspenden, keine Geldspenden akzeptiert; in den Klinikräumen sind keine politischen Personen oder Institutionen erlaubt; und keine Privatpersonen oder Unternehmen, die spenden, dürfen damit werben.

Christina flüstert, als sie sich im Wartezimmer anmeldet. Die wartenden Patienten sitzen direkt neben der 43-Jährigen, als sie am Empfangstresen ihr Problem schildert.

An einigen Tagen ist es so voll, dass der große Raum regelrecht überfüllt ist und die Patienten vor der Tür des unscheinbaren Gebäudes etwas außerhalb der Athener Innenstadt stehen. Die beiden ehrenamtlichen Helferinnen im Vorzimmer, eine davon ist Sideris‘ Mutter, haben dann alle Hände voll zu tun.

"Jeder Patient hat eine eigene Akte", erklärt Sideris. Die Abläufe glichen denen in einer gewöhnlichen Arztpraxis. Patienten müssen sich anmelden, ein Formular ausfüllen, und warten dann, bis sie an der Reihe sind.

"Viele kommen regelmäßig, wir sehen immer öfter auch chronische Erkrankungen." Besonders die Versorgung von Patienten mit Diabetes sei ein tägliches Problem.

Für Sideris ist das Thema ein rotes Tuch. Wenn er über die Probleme seines Landes spricht, wird der sonst so beherrschte Mann wütend, seine Stimme wird laut.

"Gerade Diabetes zeigt doch, dass sich hier niemand ernsthafte Gedanken macht. Wir haben Untersuchungen durchgeführt, nach denen allein eine korrekte Versorgung der Diabetiker 200 Millionen Euro jährlich an Kosten für Spätfolgen sparen könnte. Doch in der Politik redet man nur über Milliarden für die Wirtschaft - aber was ist denn wichtiger: die Finanzmärkte oder Menschenleben?"

Arzneien für Krankenhäuser

Als Sideris die klinikeigene Apotheke betritt, hat er seine Wut zur Seite geschoben. "Wir müssen die Stimmung oben behalten", sagt er immer. Den rund 300 ehrenamtlichen Helfern - rund die Hälfte von ihnen sind Ärzte und Apotheker - helfe es nicht, wenn die Stimmung auch in der Klinik schlecht sei.

In der Apotheke, bestehend aus zwei kleinen Räumen, türmen sich die Insulin-Spritzen in zwei Kühlschränken. Von einfachen Schmerzmitteln über Impfstoffe bis hin zu hochpreisigen Medikamenten finden sich hier Arzneien aus allen Bereichen, sie sind sauber aufgetürmt in den deckenhohen Regalen, eine alphabetische Sortierung hilft bei der Orientierung. Vor vielen Schachteln liegen einzelne Blister, angebrochene Packungen, Päckchen, in denen der Beipackzettel fehlt.

Es handele sich zu 98 Prozent um Spenden, die Privatpersonen bei ihnen einreichen, erzählt eine Apothekerin. Gemeinsam mit einer Kollegin hat sie die Verantwortung über das Team, dem auch fachfremde Ehrenamtliche angehören.

Unter der Aufsicht der Apotheker sichten sie die eingegangenen Spenden, oft zusammengewürfelte Sammelsurien in kleinen Plastiktüten, prüft die Haltbarkeit, setzt neue, vollständige Päckchen zusammen.

"Wir erhalten so viele Spenden, dass wir Arzneien über unseren eigenen Gebrauch hinaus sogar an die staatlichen Krankenhäuser spenden können", sagt Sideris. "Dort ist der Mangel ebenso groß, und unser Bedarf ist gedeckt." In einem dicken Ordner wird jede einzelne Spende vermerkt.

Yannis Tsaras plagen Schmerzen

Griechenland - Innenansichten einer Krise

"Ärzte Zeitungs"-Redakteurin Jana Kötter berichtet aus Athen über die Situation im krisengeplagten Griechenland und konzentriert sich dabei auf die medizinische Versorgung.

In der Serie "Griechenland - Innenansichten einer Krise" fassen wir ihre Berichte zusammen. Schon erschienen sind folgende Artikel:

- Großbaustelle Gesundheitssystem

- Poliklinik in Athen: Lichtblick im Olympia-Dorf

- Die Probleme der Apotheker in Athen

Auch Yannis Tsaras kommt in die Praxis, um neue Medikamente zu erhalten. Der 34-Jährige sitzt lesend im Wartezimmer. Er hat gelernt, geduldig zu sein: Seit 2009 ist er arbeitslos.

Der gelernte Tontechniker, der lange bei einem Radiosender in Athen gearbeitet hat, kommt regelmäßig her, mindestens einmal im Monat. "Ich bin dankbar für das Angebot. Es ist meine einzige Möglichkeit, einen Arzt zu konsultieren." Er habe öfter Schmerzen, woher sie kommen, wisse er nicht.

Nicht selten sind es psychologische Probleme, die hinter den Krankheiten stehen, weiß Sideris. "Unsere Idee war nicht nur, Menschen ohne Versicherung hier eine kostenfreie Gesundheitsversorgung zu bieten, sondern auch psychologischen Beistand. Lange Arbeitslosigkeit ist sehr belastend, sie kann Menschen zerstören."

Damals wusste er noch nicht, dass er das am eigenen Leib erfahren würde. Seit April ist der junge Athener, der zuvor 14 Jahre bei einer Spedition gearbeitet und Waren rund um den Globus verschifft hat, selber arbeitslos.

Auch eine Therapie für Kinder sowie Familiensitzungen würden angeboten, denn nicht selten zerstöre das Problem die gesamte Familie.

Vasiliki Koukouni sieht die Probleme jeden Tag. Seit Monaten werde der Zustand des Landes noch schlimmer - obwohl das doch kaum mehr ginge, findet sie.

Die Ärztin sieht müde aus, als sie am Abend ihren Schreibtisch aufräumt und das kleine, einfach eingerichtete Behandlungszimmer verlässt. Am nächsten Morgen wird die Neurologin wieder ihren Dienst in einem staatlichen Krankenhaus antreten.

"Seit zweieinhalb Jahren helfe ich ehrenamtlich hier aus", sagt Koukouni. Seither arbeitet sie sieben Stunden am Tag im Krankenhaus, zwei weitere Stunden am Nachmittag in der Sozialklinik.

Auch sie setzt damit ein Zeichen für die Solidarität, die das Gesundheitssystem auf den Beinen hält.

"Viele Kollegen sehen die Probleme, und für uns ist das ein guter Weg, den Menschen direkt zu helfen", sagt die Neurologin. Die Situation im Krankenhaus sei "schlimmer als je zuvor", sagt sie: "An manchen Tagen haben wir nicht einmal Desinfektionsmittel, es fehlt an den einfachsten Sachen."

"Unterernährung wie in Afrika"

Vor Vasilikis Behandlungszimmer türmen sich in einigen Schränken Milchpulver-Dosen. Die einfachen Möbel sind gefüllt mit Babynahrung, Windeln, alles, was junge Familien brauchen könnten. Zum ursprünglichen Angebot der Sozialklinik hat das nicht gehört.

Mit der Aufnahme von Babynahrung in die Hilfeleistung hätte die Klinik auf die "schockierenden" Zustände einiger Kinder reagiert, sagt Sideris. Drei Pädiater kümmern sich jeden Monat um bis zu 100 Unter-Dreijährige. "Anfangs waren sie geschockt", erzählt Sideris.

"Sie haben hier Fälle gesehen, die man sonst nur aus dem Fernsehen aus Afrika kennt." Die Kinder hätten so starkes Untergewicht gehabt, dass die Klinik beschloss, auch Babynahrung in das Angebot aufzunehmen.

Christos Sideris ist sich sicher, dass die Hilfe im Stadtteil Elliniko noch lange gebraucht wird. Trotzdem sieht er Hoffnung: In diesem Jahr seien die Patientenzahlen erstmals rückläufig - nachdem vergangenes Jahr 35.000 Patientenkontakte gezählt wurden. "Es gibt mehr Sozialkliniken mittlerweile", erklärt er.

"Das ist zwar nicht deutlich besser, aber zumindest verteilt sich die Last auf viele Schultern."

Am Abend, als er und seine Mutter die Klinik gemeinsam verlassen, hält er eine Plastiktüte in der Hand. Mit Gummischnüren sind darin neue Arznei-Päckchen zusammengehalten, die die beiden auf dem Heimweg an ein Krankenhaus liefern.

Auch er ist in den vergangenen Jahren damit zum Zeichen geworden für die griechische Solidarität, die die Gesundheitsversorgung weiter aufrecht erhält.

Hilfe kommt direkt vor Ort an

Die Arbeit der Sozialklinik Elliniko basiert auf Spenden - aus Griechenland selbst, aber auch aus Deutschland.

Ärzte Zeitung: Herr Stechmann, wie genau helfen Sie aus Deutschland der Sozialklinik in Athen?

Hinrich Stechmann: Wir als Förder- und Freundeskreis Elliniko e.V. sammeln Spenden, veranstalten etwa Benefizkonzerte und bringen dieses Geld hauptsächlich nach Athen.

Inzwischen konnten wir weit über 150.000 Euro sowie medizinisches Gerät im Wert von 100.000 Euro zur Verfügung stellen. Außerdem bekommen wir Medikamentenlisten, die wir in Apotheken abarbeiten und dann in die soziale Klinik Elliniko bringen. So kommt die Hilfe direkt vor Ort an.

Wie hat die Krise in Griechenland damit auch Ihr Leben beeinflusst?

Die Arbeitsbelastung für meine Vorstandskollegin Kalliopi Brandstäter und mich ist inzwischen sehr hoch. Sie lebt und arbeitet für ihr Restaurant Kalliopea an der Neuen Wöhr in Hamburg und ich bin selbstständig als Unternehmensberater tätig.

Die ehrenamtliche Tätigkeit, die durch Kallis Auftritt vor einigen Wochen bei Günther Jauch auch einem breiteren Publikum bekannt geworden ist, führt vermehrt zu Nachtschichten bei uns. Wir versuchen deshalb auch, durch andere Vereinsmitglieder Unterstützung zu finden. Die Resonanz durch Spenden und Hilfsangebote ist überwältigend.

Wie sehen Sie die Zukunft Griechenlands? Könnte es in absehbarer Zeit zu einem Ende des Einsatzes aus Hamburg kommen?

Stechmann: Unabhängig davon, wie es politisch weitergeht: Bis es zum Geldfluss und damit auch einer Verbesserung des staatlichen Gesundheitssektors kommt, wird in jedem Fall noch Zeit vergehen. Wir sind mit unserem Engagement weiter extrem in der Pflicht.

Das Interview führte Jana Kötter

Informationen zum Verein und der Möglichkeit zu spenden gibt es unter www.engagement-ohne-grenzen.de.

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