Recht

Wirrwarr um die "Krankengeldfalle"

Weil Patienten ihren Arzt einen Tag zu spät aufgesucht haben, geht ihr Anspruch auf Krankengeld und damit gleich auch der ganze Krankenversicherungsschutz verloren. Die "Krankengeldfalle" beschäftigt Medien - und nun auch den Gesetzgeber.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Beim Krankengeld gibt es einige Fallstricke.

Beim Krankengeld gibt es einige Fallstricke.

© nmann77 / fotolia.com

KASSEL. Obwohl er nicht mehr arbeiten kann, bekommt er kein Krankengeld. Ein kleiner Fehler bei der Krankmeldung wurde ihm zum Verhängnis." So hatte das ARD-Magazin Report Mainz seinen Beitrag für seine Sendung am Dienstagabend angekündigt.

Der in Report geschilderte Fall ist kein Einzelfall, denn der Fehler kann leicht passieren. Der Grund: Von der Lohnfortzahlung sind kranke Menschen es gewohnt, dass eine Krankschreibung nahtlos für alle Werktage ausreicht. Beim Krankengeld ist dies anders.

Der ärztliche Auszahlschein gilt hier immer erst für den Folgetag des Arztbesuchs. Um nahtlos Krankengeld zu bekommen, müssen Versicherte daher immer schon vor Ablauf ihrer aktuellen Bescheinigung erneut in die Praxis kommen.

Weil dies häufig übersehen wird, auch von Ärzten, sprechen Kritiker von einer "Krankengeldfalle". Nach aktuellen Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel müssen die Krankenkassen weder eine geschlossene Praxis noch eine falsche Auskunft des Arztes als Ausrede akzeptieren.

Ärzte sollten daher die Wiedereinbestellung von Patienten mit Krankengeldbezug entsprechend planen und ihre Patienten über die Regelung informieren.

Dabei sind die Folgen eines Fehlers für Arbeitnehmer noch verkraftbar. Ihr Krankengeldanspruch kommt gegebenenfalls nur zum Ruhen und lebt ab Gültigkeit der Folgebescheinigung wieder auf.

Gravierende Folgen bei Arbeitsplatzverlust

Besonders gravierend wirkt sich die "Krankengeldfalle" dagegen für Menschen aus, die ihren Arbeitsplatz verloren haben - vielleicht gerade wegen ihrer lang andauernden Krankheit. Ohne Beschäftigung sind sie eigentlich nicht mehr pflichtversichert.

Hat spätestens am letzten Beschäftigungstag ein Arzt die Krankheit bescheinigt, besteht aber ein "nachwirkender" Versicherungsschutz für die Dauer des Krankengeldbezugs.

Eine Bescheinigungslücke auch nur von einem Tag hat so schwer wiegende Folgen: Mit dem Krankengeldanspruch läuft auch das nachwirkende Versicherungsverhältnis aus.

Anders als bei Arbeitnehmern ist dadurch dann auch ein Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs nicht mehr möglich. Versicherungsschutz samt Krankengeld sind dauerhaft verloren.

Dass der Auszahlschein für Krankengeld immer erst für den Folgetag gilt, ist im Gesetz ausdrücklich nur für die Erstbescheinigung geregelt.

Erst im Dezember hatte aber das BSG seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, dass dies dann auch für die Folgebescheinigungen gelten muss.

BSG Schuld an der Falle?

Mit mehreren Urteilen hob das BSG damit Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen auf. Denn die Essener Richter verweigern dem BSG hier die Gefolgschaft.

Die Kasseler Rechtsprechung hält das LSG "nicht für überzeugend". Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, Missbrauch zu verhindern. Dafür sei es nicht erforderlich, die Folgetags-Regel auch auf alle Nachfolgebescheinigung anzuwenden.

Einige Kritiker schieben die Schuld an der "Krankengeldfalle" daher dem BSG zu. Die Kasseler Richter wiederum verteidigen sich mit dem Hinweis, der Gesetzgeber kenne ihre Rechtsprechung und habe dennoch bislang nicht reagiert.

Tatsächlich hatte es 2013 und 2014 schon Änderungsbestrebungen gegeben, die dann aber letztlich nicht umgesetzt wurden.

Gerade deshalb war der zuständige erste Senat des Bundessozialgerichts in seiner jüngsten Sitzung am 16. Dezember auch davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber eine Änderung letztlich nicht will.

Einen Tag nach der Kasseler Urteilsverkündung hat die Bundesregierung das "GKV-Versorgungsstärkungsgesetz" auf den Weg gebracht. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde inzwischen veröffentlicht.

Ziel ist es vorrangig, "auch künftig eine flächendeckende und gut erreichbare medizinische Versorgung sicherzustellen".

Erst nachträglich und nur als Nebenthema wurde auch das Krankengeld mit in den Entwurf aufgenommen.

Danach soll der Anspruch auf Krankengeld bereits "von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an" bestehen, nicht wie bisher erst vom Folgetag an.

Zudem soll eine Ergänzung den nachwirkenden Versicherungsschutz besser absichern.

Wörtlich: "Der Anspruch auf Krankengeld bleibt bestehen, wenn nach dem Ende der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit deren Fortdauer wegen derselben Krankheit am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, ärztlich festgestellt wird."

Gesetzentwurf wird im Bundesrat beraten

Mit dieser Formulierung ist nicht eindeutig, ob im Fall einer Wochenend-Lücke der Bescheinigungen das Krankengeld trotzdem durchgehend zu zahlen ist, oder ob der Anspruch dann ruht.

So oder so bliebe mit dem Krankengeldanspruch aber auch der nachwirkende Versicherungsschutz bestehen.

Der Gesetzentwurf wird derzeit im Bundesrat beraten. Dabei ist zu wünschen, dass die Änderungspläne diesmal umgesetzt werden. Die Regeln für den Krankengeldbezug würden so eine klare, auch für die Versicherten einsichtige Logik bekommen.

Die "Krankengeldfalle" wäre jedenfalls in ihrer drastischen Form für Nicht-Arbeitnehmer beendet.

Überzogen scheint demgegenüber die Forderung des LSG Essen, nach seiner erstmaligen Feststellung müsse der Krankengeldanspruch "so lange bestehen, wie die durch dieselbe Krankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit objektiv vorliegt".

Regelmäßiger Streit über Nachweispflichten und Bescheinigungslücken wäre dann unvermeidbar.

BSG, Az.: B1 KR 31/14 und weitere

LSG Essen, Az.: L 16 KR 429/13 und weitere

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