Medizinethik

Müssen, dürfen, können – Ärzte in der ethischen Zwickmühle

Jenseits ihres Heilauftrags werden an Ärzte Erwartungen gestellt, die sie in Konflikte stürzen. Stichworte: Pränatalmedizin, Sterbehilfe oder kosmetische Op.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Was geht und was nicht? Ärzte brauchen manchmal viel Geduld im Gespräch mit Patienten.

Was geht und was nicht? Ärzte brauchen manchmal viel Geduld im Gespräch mit Patienten.

© rogerphoto/stock.adobe.com

BERLIN. Die mit wissenschaftlich-technischem Fortschritt wachsenden Möglichkeiten der Medizin und eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft haben zu Erwartungen an Ärzte geführt, die weit über ihren eigentlichen Heilauftrag hinausgehen: Krankheiten zu heilen oder zumindest das damit verbundene Leid zu lindern.

Deutlich wird dies an den Möglichkeiten, Frauen oder Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen, oder auch am Lebensende Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid zu leisten. Ein anderes Beispiel ist der Wunsch nach operativen Korrekturen am gesunden Körper, die sich nach einem – vermeintlichen – Schönheitsideal richten. Nicht selten offenbar auch von sehr jungen Frauen oder Mädchen an Ärzte herangetragen.

Das 47. Symposion für Juristen und Ärzte der Kaiserin-Friedrich-Stiftung hat sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt, ohne darauf jedoch einfache Antworten zu finden. Um Ärzte quasi gegen "unmoralische" Erwartungen von Politik und Gesellschaft zu schützen, wurde über die Erneuerung des ärztliches Eides diskutiert. Allerdings, so der Theologe und Philosoph Professor Jean-Pierre Wils (Universität Nijmegen), sollten keine falschen Hoffnungen geweckt werden, was ein solcher Eid leisten könne. Die ethische Einordnung des großen Panoramas strittiger medizinischer Leistungen von der Pränatalmedizin bis zur Sterbehilfe lasse sich nicht in einen Eid fassen.

Nach dem Eindruck des Philosophie-Professors – er bezieht sich dabei aus Auskünfte aus der Ärzteschaft – wachsen vor allem die Spannungen zwischen der moralischen Kernkompetenz der Ärzte, primär ihren Heilauftrag zu erfüllen, und einer zunehmenden Ökonomisierung, die diesen Heilauftrag dominiert.

Der Jurist Professor Jochen Taupitz wies auf Konfliktlinien zwischen allgemein gültigem und speziellem Berufsrecht der Ärzte hin: Soll etwa der ärztlichen Selbstverwaltung in ihrem Berufsrecht erlaubt sein, In-vitro-Fertisilationen auf verheiratete Paare zu beschränken, gleichgeschlechtliche Partner somit von der Erfüllung ihres Kinderwunschs auszuschließen und sich damit das Recht anzumaßen, Familienpolitik zu betreiben? Oder darf das Berufsrecht, wie in einigen Ärztekammern kodifiziert, die Beihilfe zum Suizid explizit ausschließen – was als Übergriff auf eine staatliche zu gestaltende Gesellschaftspolitik verstanden werden könnte? Weil sich auch der Gesetzgeber in dieser Frage bedeckt hält, hat das Bundesverwaltungsgerichts, Rechtspolitik geschrieben und so das Bundesinstitut für Arzneimittel verpflichtet, zum Suizid geeignete Arzneimittel verfügbar zu machen.

Auf andere reale Phänomene verwies der Berliner Gynäkologe Professor Andreas Ebert: etwa der unreflektierte Wunsch von 16-jährigen Mädchen, sich die Schamlippen verkleinern zu lassen. Oder die Forderung einer jungen Frau, bei der soeben eine Schwangerschaft festgestellt worden ist, nach Ausstellung eines Beschäftigungsverbots, weil die betroffene Frau für sich oder ihr Kind ein gesundheitliches Risiko vermutet. Wie explizit, detailliert und verbindlich muss ärztliches Berufsrecht sein, damit alle Mitglieder des Berufsstands nach einem einheitlichen ethischen Maßstab handeln oder wie groß darf der Spielraum für eigenverantwortliche Erwägungen im Einzelfall sein? Darauf gibt es offenbar keine einfachen, schlüssigen Antworten, nur eine selbstkritische Erkenntnis: "Wir sind als Ärzte durchaus prostituierbar. Und wir werden auch nicht die Welt retten", so das eher bittere Fazit von Ebert.

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