Organspende

Kanzlerin Merkel für Widerspruchslösung

Angesichts Tausender Patienten auf den Wartelisten ist die Debatte über Organspenden neu entbrannt – und soll im Bundestag beraten werden. Jetzt bezieht auch Regierungschefin Angela Merkel für sich Position.

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BERLIN. Kanzlerin Angela Merkel befürwortet eine Neuregelung, um zu mehr Organspenden in Deutschland zu kommen.

"Ich persönlich habe große Sympathie für die doppelte Widerspruchslösung. Weil ich dann doch aktiv einmal im Leben darüber nachdenken muss, ob ich das möchte oder nicht", sagte die CDU-Chefin am Donnerstag im RTL-Sommerinterview.

"Das beraubt mich keiner Freiheit, aber ich muss mich mit dieser Frage auseinandersetzen und tue damit, glaube ich, für andere Menschen etwas sehr Wichtiges."

Es sei richtig, dass es dazu eine Debatte ohne Fraktionszwang im Bundestag geben solle.

Neuregelung soll kommen

Merkel unterstützt damit einen Vorstoß von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der angesichts niedriger Organspendezahlen für eine Umstellung auf die doppelte Widerspruchslösung wirbt.

Das bedeutet, dass automatisch jeder als Spender gilt. Dann soll man dazu aber zu Lebzeiten ausdrücklich Nein sagen können, ansonsten sind - als doppelte Schranke - auch noch die Angehörigen zu fragen.

Bisher gilt das umgekehrte Prinzip, wonach Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt sind. Organspendeausweise, in denen man Ja oder Nein ankreuzen kann, haben laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung inzwischen 36 Prozent.

Viele schieben die Entscheidung jedoch vor sich her. In Deutschland warten laut Gesundheitsministerium mehr als 10.000 Menschen auf Spenderorgane (siehe nachfolgende Grafik). Die Zahl der Spender erreichte 2017 einen Tiefpunkt von 797. Merkel sagte, die Zahl sei "viel, viel zu gering". Sie selbst hat nach eigenen Worten einen Organspendeausweis.

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Spahn: "Keine Organabgabepflicht"

Spahn verteidigte sein Eintreten für eine Neuregelung, die keine "Organabgabepflicht" bedeute.

"Eine Pflicht, zu der man konsequenzlos "Nein" sagen kann, ist keine Pflicht", schrieb er in einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag). "Ich finde, das "Nein" aussprechen zu müssen, ist angesichts der bedrückenden Lage auch in einer freien Gesellschaft zumutbar."

Diese Haltung werde er als Abgeordneter vertreten und fraktionsübergreifend mit anderen einen Antrag zur doppelten Widerspruchslösung im Parlament vorlegen.

"Transplantationssystem eine intransparente Black-Box"

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz mahnte an, vor allem das Vertrauen der Menschen in das Organspendesystem zu gewinnen. Nötig seien klare, einheitliche Regeln für die Verteilung der Organe, für Organisation und Kontrolle.

"Dafür ist der Staat verantwortlich. Er muss das Transplantationssystem endlich in seine Hände nehmen", sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur.

"Andernfalls werden auch die Rechte der Menschen auf der Warteliste durch eine Widerspruchsregelung nicht gestärkt. Denn für sie bleibt das Transplantationssystem eine intransparente Black-Box." (dpa)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 06.09.201820:08 Uhr

Alternativlose Widerspruchslösung?

Der (doppelten) Widerspruchslösung gehen die Argumente aus: Angesichts Tausender potenzieller Organempfänger-Patientinnen und -Patienten auf den Wartelisten eine Debatte über die derzeit rechtsgültige individuelle Entscheidungslösung bei schwindender Organspende-Bereitschaft neu entfachen zu wollen, bedeutet, dass sich sogar unsere Regierungschefin, Frau Dr. Angela Merkel alternativlos für die Position des Utilitarismus entscheiden möchte, um damit einem vermeintlichen Druck der Straße nachzugeben.

In vielen Ländern der EU mit Widerspruchslösungen wird es dann nicht mehr lange dauern, bis sich das noch mehr an Kosten/Nutzen-Gedanken und rein medizin-ökonomischen Erwägungen orientierende "Non-Heart-Beating-Donor" Konzept durchsetzen wird: Damit sollen die Organentnahmen früher, d.h. mit dem letzten Herzschlag ohne authentische Reanimations-Bemühungen, stattfinden können.

Der populistische Vorstoß von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), nur angesichts niedriger Organspendezahlen für eine Umstellung auf die doppelte Widerspruchslösung zu plädieren, ist und bleibt zweifelhaft. Und dubios obendrein, wenn mit Paralogismen behauptet wird, diese Neuregelung sei angeblich keine "Organabgabepflicht".

Wenn dann die Organspendezahlen nicht sofort ansteigen würden, aber doch!

Und weiter O-Ton Jens Spahn: "Eine Pflicht, zu der man konsequenzlos "Nein" sagen kann, ist keine Pflicht", schrieb er in einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag). "Ich finde, das "Nein" aussprechen zu müssen, ist angesichts der bedrückenden Lage auch in einer freien Gesellschaft zumutbar" ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten.

Denn die Widerspruchslösung würde unterschiedslos jeden erfassen, der vergessen hatte, zu widersprechen oder es schlicht und ergreifend nicht kann: Säuglinge, Kleinkinder, Kinder, bio-psycho-sozial Benachteiligte oder Menschen mit geringem Bildungshorizont oder Teilhabeverlust. Das widerspricht dem verfassungsmäßigen Auftrag von Benachteiligungsverbot und Chancengleichheit bzw. informationeller Selbstbestimmung.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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