Letal wirkende Mittel

Suizid per Arznei? Gutachter sieht jetzt Karlsruhe am Zug

Selbsttötung durch ein Medikament, das mit Billigung des Staates gekauft wurde: Der Verfassungsrechtler Udo di Fabio kritisiert ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts harsch, das diese Option eröffnet hat.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Der Witwer Ulrich Koch im Jahr 2012: Der Fall seiner gestorbenen Frau war Anlass für das Urteil.

Der Witwer Ulrich Koch im Jahr 2012: Der Fall seiner gestorbenen Frau war Anlass für das Urteil.

© Peter Steffe / dpa

BERLIN/BONN. Es ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gezwungen wird, einem Sterbewilligen den Kauf eines tödlich wirkenden Medikaments zu erlauben. Das schreibt der Verfassungsrechtler Professor Udo Di Fabio in einem Gutachten für das Bundesinstitut.

Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mai 2017. Darin entschieden die Richter, dass Schwerkranke in extremen Ausnahmesituationen die Erlaubnis zum Kauf tödlicher Arzneimittel bekommen können. Das BfArM hatte der hochgradig querschnittsgelähmten Frau den Kauf einer tödlichen Dosis von Natrium-Pentobarbital verweigert. Die Frau nahm sich im Februar 2005 mit Hilfe des Vereins Dignitas in der Schweiz das Leben. Ihr Witwer klagte anschließend gegen die Entscheidung des BfArM durch alle Instanzen. 83 Anträge von Personen, die ein tödlich wirkendes Medikament kaufen möchten, sind seit dem Urteil bei der Behörde eingegangen.

In Reaktion auf das Gutachten erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der Bundestag solle klarstellen, dass das Betäubungsmittelgesetz auf Lebenserhaltung und -förderung gerichtet ist. "Eine staatliche Behörde darf niemals Helfershelfer einer Selbsttötung werden", sagte Gröhe der "FAZ". Hingegen forderte die Deutsche Stiftung Patientenschutz die Bundesregierung auf, das Urteil durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Denn Di Fabio wirft dem Leipziger Gericht vor, es habe "an die Stelle des Willens des Gesetzgebers seinen eigenen rechtspolitischen Willen" gesetzt. Kommt ein Fachgericht zu der Auffassung, dass ein Bundes- oder Landesgesetz gegen Verfassungsrecht verstößt, dann dürfe es nicht diese Norm selbst verwerfen. Damit greife das Gericht "in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ein". Di Fabio beschreibt einen möglichen Ausweg: Die Bundesregierung könne zur Klärung einen Antrag auf Normbestätigung beim Bundesverfassungsgericht stellen, um so die Auslegung durch die Leipziger Richter zu überprüfen.

Ausführlich setzt sich der Verfassungsrechtler mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Würdebegriff auseinander. Zwar sei das Grundgesetz eine "Entfaltungsordnung für das Individuum", doch diese Rechtsordnung "muss und kann nicht ihre Grundwerte allein in die Disposition des Einzelnen stellen". Entsprechend könne es auch keine Pflicht zur Beteiligung des Staates an einer höchstpersönlichen Entscheidung geben – hier dem Kauf eines tödlich wirkenden Medikaments.

Di Fabio stellt aber auch klar, es könne bei einer existenziellen Notlage eines Antragsstellers "vertretbar" sein, dass das BfArM nach sorgfältiger Prüfung die Kauferlaubnis für ein tödliches Medikament erteilt. Um hier kein Präjudiz für eine noch ausstehende Entscheidung des Bundestags zu schaffen, schlägt Di Fabio vor, das BMG solle einen "Nichtanwendungserlass" herausgeben, wie er im Steuerrecht etabliert ist. Damit würde das BMG sicherstellen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht getroffene Entscheidung nicht über den Einzelfall hinaus angewendet wird.

Definition einer "Notlage"

Das Bundesverwaltungsgericht nimmt eine extreme Notlage bei Vorliegen dieser Kriterien an:

  • Schwere und unheilbare Erkrankung, starke Schmerzen, unerträglicher Leidensdruck, der nicht ausreichend gelindert werden kann.
  • Entscheidungsfähiger Betroffener, der sich frei entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen.
  • Keine andere zumutbare Möglichkeit existiert, um den Sterbewunsch zu verwirklichen.
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