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Von wegen „Dr. med. Dünnbrett-Bohrer“

Den Vorwurf an Studenten, die medizinische Promotion sei auf Schmalspur ausgerichtet, will unser Blogger Marcel Schwinger so nicht stehen lassen. Der Medizinstudent, der selbst neben dem Studium forscht, räumt mit Plattitüden wie „Dr. med. von und zu Leichtgemacht“ auf.

Von Marcel Schwinger Veröffentlicht:
Rund zwei Drittel der angehenden Mediziner erstellen ihre Dissertation während des Studiums, betont Marcel Schwinger. Das gebe es tatsächlich in keinem anderen Fach.

Rund zwei Drittel der angehenden Mediziner erstellen ihre Dissertation während des Studiums, betont Marcel Schwinger. Das gebe es tatsächlich in keinem anderen Fach.

© amazing studio / stock.adobe.com

Obwohl ich mich intensiv vorbereitet hatte, war ich aufgeregt. Ich trat ans Mikrofon und begann mit Puls 150 meine Präsentation. Den Stand meiner Forschungsarbeit vorzustellen, das war nicht das eigentliche Problem.

Aber was, wenn hinterher jemand aus dem Auditorium kritisch nachbohren würde? Wenn ich ins Stolpern käme, wo doch in diesem erlauchten Kreis medizinische Erfahrung versammelt war, die über meine Kenntnisse als Studierender im 8. Semester um Lichtjahre hinausgeht?

Ich gebe zu: Es ist vielleicht nicht die Regel, dass ein Student das Zwischenergebnis einer Dissertation, die es formal noch gar nicht gibt, auf einem Ärztekongress vorstellen darf.

Die Hürden, die davor standen, waren hoch: Daten erheben und herausfiltern, zu Ergebnissen gelangen und diese analysieren, Schlussfolgerungen ableiten, Abstract schreiben und einreichen – ein mühsames Geschäft.

Seit knapp zwei Jahren arbeite ich an einem Vergleich verschiedener Operationstechniken bei der Entfernung der Harnblase.

Und das neben oder sollte ich sagen inmitten eines Studiums, in dem einem ja auch nichts geschenkt wird. Mein Zwischenfazit wird also kaum überraschen: Studieren und gleichzeitig promovieren, das ist eine ganz besondere Herausforderung.

Anmaßend und falsch

Genau deshalb ist der Dr. med. in der Wissenschaftswelt aber auch ein stückweit in Verruf geraten. Kritiker reden gern mal vom „Dr. med. Dünnbrett-Bohrer“ oder „Dr. med. von und zu Leichtgemacht“. Sogar der Wissenschaftsrat empfiehlt, die Doktorarbeit erst nach Studienabschluss zu schreiben.

Nach seiner Meinung fällt die Qualität medizinischer Dissertationen gegenüber anderen naturwissenschaftlichen Fächern nämlich deutlich ab.

Mit anderen Worten: Promotionen in der Medizin gelten, weil sie überdurchschnittlich oft von Studierenden geschrieben werden, wissenschaftlich als minderwertige Schmalspur-Arbeiten.

Ganz ehrlich: Ich halte dieses Argument nicht nur für anmaßend, sondern auch für falsch. Denn ich bin sicher, dass der Zeitfonds eines Assistenzarztes für das wissenschaftliche Arbeiten noch viel knapper bemessen ist als der eines Studierenden. Wenn es danach geht, ist nie genug Zeit da. Außerdem, finde ich, ist Promovieren auch keine Frage des Alters.

Die Statistik sagt: Rund zwei Drittel der angehenden Mediziner erstellen ihre Dissertation während des Studiums (auch wenn das förmliche Promotionsverfahren erst danach stattfinden darf). Das gibt es tatsächlich in keinem anderen Fach.

Die Gründe für den außerordentlichen Promotionsfleiß sind bunt. Vielleicht sind da auch alte Zöpfe darunter, etwa von der Sorte, dass jeder, der Arzt ist, auch Doktor sein muss, was für den umgekehrten Fall selbstverständlich nicht gilt.

Da spielt Standesdünkel genauso hinein wie Karrieredenken. Das alles will ich gar nicht abstreiten. Aber der medizinischen Dissertation ihren Wert abzusprechen, nur weil sie von Studierenden geschrieben wird, dagegen wehre ich mich.

Die Verantwortung liegt bei den Hochschulen

Und zwar auch aus dem Grund, weil auf diese Weise dem schwächsten Glied in der Kette einfach mal so die Schuld für die Defizite zugeschoben wird, die es wohl gibt. Aber liegt es nicht in der Hand der Hochschulen, ein Thema überhaupt zu vergeben – oder es eben bleiben zu lassen, wenn es wissenschaftlich zu wenig verspricht?

Ist es nicht Sache der Doktorväter, Gutachter und Betreuer, ihren Promovierenden wissenschaftliche Leistung und Qualität abzuverlangen? Und wäre es dann nicht an ihnen, eine Arbeit, die nicht den Standards entspricht, auch mal zurückzuweisen?

Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich von der Urologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg sehr viel Unterstützung erhalte. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe – und manchmal auch eine Portion Druck, ohne die es nun mal nicht geht. Ich merkte zumindest am Anfang aber auch, dass mir entscheidende Voraussetzungen für das wissenschaftliche Arbeiten fehlten.

Wo sollte ich sie auch erworben haben; im Studium jedenfalls nicht. Es schreit zum Himmel, dass Medizinstudenten in Deutschland mit jeder Menge Wissen abgefüllt werden, das höchsten Standards genügt. Nur, wie man wissenschaftlich arbeitet, das wird ihnen nicht beigebracht.

Es gibt in der Vorklinik ein paar Aspekte, es gibt danach noch Berührungspunkte in der Epidemiologie, es gibt diese und jene Versuchsanordnung im Labor… Aber sehr viel mehr gibt es nicht, was das Erlernen der wissenschaftlichen Praxis betrifft.

Forschen sollte Bestandteil des Studiums werden

Wer medizinischen Dissertationen den wissenschaftlichen Gehalt abspricht, der sollte weniger den Autoren den Schwarzen Peter zuschieben, die sich die Kompetenzen im Lauf der klinischen Ausbildung dann eben selbst aneignen müssen, sondern er sollte sich vielleicht mal an die eigene Nase fassen: Wie muss der medizinische Wissenschaftsbetrieb verändert werden, damit Forschen und wissenschaftliches Arbeiten endlich Bestandteile des regulären Studiums werden?

Das ist nämlich in den meisten anderen naturwissenschaftlichen Fächern bereits heute gelebte Praxis, nur in der Medizin nicht. Mit dem Masterplan Medizinstudium 2020 soll sich etwas ändern. Aber bisher steht es nur auf dem Papier.

Ganz am Anfang habe ich mich schon gefragt, ob ich mir das wirklich geben will – studieren und promovieren in einem Atemzug. Ich ahnte schon, was da auf mich zukommt. Auf der anderen Seite: Ich empfinde es als unheimlich spannend, wenn das, woran man lange geforscht hat, auf einmal greifbar wird. Sind die Op-Techniken gleichwertig oder bringt die eine dem Patienten einen Vorteil gegenüber der anderen?

Darauf will ich mit meiner Arbeit Antwort geben. Und ganz ehrlich: Wenn man das Gefühl hat, dass die eigene Forschung tatsächlich mal die medizinische Praxis beeinflussen könnte, dann ist das schon etwas ganz Besonderes.

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