Bürokratieaufwand
Ältere Patienten und Beschäftigungs-Boom treiben die Entwicklung
Der Bürokratieaufwand in den Arztpraxen steigt im dritten Jahr in Folge. Knapp 55 Millionen Stunden im Jahr wenden Ärzte und Psychotherapeuten für den Papierkrieg auf.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Alterung der Gesellschaft und die brummende Wirtschaft werden auch in den kommenden Jahren für mehr Bürokratie in den Arztpraxen sorgen.
Das geht aus einer Untersuchung der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld hervor, mit der alljährlich der Aufwand für Bürokratie in den Praxen der Ärzte und Psychotherapeuten gemessen wird.
Zum dritten Mal in Folge ist die Zahl der Netto-Arbeitsstunden in den Praxen gestiegen – auf inzwischen 54,49 Millionen Stunden. Das waren 323.000 Stunden mehr als im Jahr davor, aber immer noch knapp zwei Millionen Stunden weniger als zum Ausgangszeitpunkt der Messungen im Jahr 2013. Die Kosten für Bürokratie in den Arztpraxen stiegen damit auf 2,47 Milliarden Euro nach 2,38 Milliarden im Jahr zuvor.
„Ältere und mehrfach erkrankte Patienten gehen öfter zum Arzt und brauchen mehr ärztliche Leistungen“, sagte KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel bei der Vorstellung des Bürokratieindex 2018 (BIX).
Das bedeutet mehr Patientendokumentation und Datenaustausch mit Kollegen. Zu Buche schlügen vor allem die Verordnungen für häusliche Krankenpflege, für Heilmittel und zur Krankenbeförderung.
Mehr Krankschreibungen
Die gute Beschäftigungslage bedeutet für die Ärzte mehr Krankschreibungen. Im betrachteten Zeitraum von September 2017 bis September 2018 stellten die Ärzte rund 80 Millionen AU-Bescheinigungen aus, vier Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dadurch stieg der Nettoarbeitsstundenaufwand alleine für diese Informationspflicht um 200.000 Stunden.
Die Gegenrechnung wird von der elektronischen Gesundheitskarte beeinflusst. Die Karten und Lesegeräte erleichtern die Erfassung von Patientendaten zunehmend. Der Wegfall der Überweisung zum Durchgangsarzt und des Behandlungsausweises für Opiatabhängige hat für weniger Bürokratie gesorgt.
395 Informationspflichten, 42 mehr als zwei Jahre zuvor, müssen die Ärzte im Jahr 2018 bedienen. Zeitfresser sind vor allem die 45 Infopflichten im Feld „Verordnungen und Bescheinigungen“, die knapp zwei Fünftel des Zeitaufwands für Bürokratie ausmachen (siehe nachfolgende Grafik).
Für die Bielefelder Wissenschaftler lässt sich der Zuwachs an bürokratischem Aufwand nicht ausschließlich mit dem steigenden Versorgungsbedarf erklären. Mitverantwortlich sei auch die steigende Regulierungsdichte in der Gemeinsamen Selbstverwaltung, dem Gemeinsamen Bundesausschuss.
Diese Tendenz wirkt sich nicht nur auf etablierte Praxen aus, sondern beeinträchtigt auch das Werben um Nachwuchs. „Die Entscheidung für oder gegen eine Niederlassung junger Ärzte wird dadurch massiv beeinflusst“, sagte BIX-Leiter Professor Volker Wittberg.
Kriedel will daher ein verbindliches Bürokratieabbauziel von 25 Prozent für die Selbstverwaltung festlegen, so wie der Bund sich dies bereits vorgenommen hat. Das würde 15 Arbeitstage und rund 13 Millionen Stunden je Praxis bedeuten.
Rechnerisch würde dies die Arbeitszeit von 4000 Ärzten entfesseln, sagte Kriedel. Mittelfristig könne auch die Digitalisierung der Verwaltungsabläufe in den Praxen zur Bürokratieentlastung beitragen.
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