Die genetischen Hintergründe von Adipositas aufdecken
Die Behandlung von adipösen Menschen wird künftig ebenso differenziert aussehen, wie bei vielen anderen Krankheiten. Wissenschaftler am Forschungszentrum Leipzig sind den Pathomechanismen auf der Spur.
Von Thomas Meißner
LEIPZIG. "Iss weniger, beweg dich mehr!"- diese Ansage hilft übergewichtigen und adipösen Menschen erfahrungsgemäß kaum. Warum das so ist, wird zunehmend klarer.
"Es wird nie ein Mittel geben, das für alle Adipositas-Patienten geeignet wäre", sagt Professor Michael Stumvoll, wissenschaftlicher Leiter des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen an der Universität Leipzig.
Denn Übergewicht und Adipositas haben viele unterschiedliche Ursachen. Adipositas sei inzwischen viel mehr als "weniger essen, mehr bewegen", so Stumvoll. "Wer das Thema akademisch aufbohrt, merkt, wie faszinierend es ist!"
Hunger entsteht im Kopf. Deshalb arbeitet das IFB unter anderem mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zusammen, um Hirnfunktions- und Strukturbesonderheiten zu ermitteln, gekoppelt an psychologische Tests bei Menschen mit und ohne Adipositas. Zudem gibt es offenbar deutliche Geschlechtsunterschiede bei der Entstehung der Adipositas.
"Frauen scheinen Bereiche des Gehirns verändert zu haben, die mit erlerntem Verhalten tun haben", erklärt Stumvoll. Kann man dieses Verhalten also auch wieder verlernen?
Gene, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Nahrungsaufnahme beeinflussen
Dieser Hypothese gehen Wissenschaftler in Leipzig ebenso nach wie Effekten der bariatrischen Chirurgie oder genetischen Hintergründen der Adipositas. So finden sich in genomweiten Assoziationsstudien immer mehr für zentrale Hirnfunktionen relevante Gene, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Nahrungsaufnahme beeinflussen und zum Beispiel die Hunger- und Sattregulation stören.
Eine wesentliche Bedeutung scheint dem dopaminergen Belohnungssystem zuzukommen. Dem Potenzial des Neuroimaging, neuen Adipositas-Medikamenten, regulatorischen Faktoren der Fettgewebsentwicklung oder gesundheitsökonomischen Fragen wird am IFB ebenfalls nachgegangen.
Eine Besonderheit des vom Bundesforschungsministerium geförderten IFB in Deutschland liegt darin, dass biomedizinische Grundlagen- und klinische Forschung gekoppelt wird an Fragen der praktischen Medizin.
Die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in den medizinischen Alltag soll auf diese Weise erleichtert werden. Bezogen auf die Adipositas heißt dies, rational begründbare Präventions- und Behandlungsstrategien zu entwickeln.
Professor Michael Stumvoll hält seinen Plenarvortrag zur Adipositas beim Internistenkongress am 15. April um 8.45 Uhr in den Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden; Infos zum Internistenkongress: www.dgim2012.de