Hauptstadtkongress
Lange unterschätzt: ÖGD ist kein Mauerblümchen!
Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist die dritte Säule der Gesundheitsversorgung, sie wird aber auch in der Pandemie nur bedingt als solche wahrgenommen. Könnte eine Dachorganisation helfen?
Veröffentlicht:Berlin. Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) mussten schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit Blick auf ihre gesellschaftliche Wertschätzung hart im Nehmen sein. Sie fristeten ein Mauerblümchendasein, hieß es, sie versuchten als permanent stänkernde Hygiene-Kontrolleure mehr schlecht als recht ihre Bedeutung aufzuwerten.
Das war gestern, doch der Hauptstadtkongress richtete den Blick nach vorn: Welche Perspektiven haben Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst, und wie sieht generell die Zukunft der Gesundheitsämter aus?
Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, erläuterte bei einer Videodiskussion, warum Ärzte im ÖGD aus ihrer Sicht ein spannendes Tätigkeitsprofil haben: „Sie sind nicht spartengebunden, sondern medizinisch breit aufgestellt“, sagte sie, „sie beschäftigt die Frage, wie Erkrankungen verhindert, und nicht, wie Menschen geheilt werden.“
Zu wenig Weiterbildungsbefugte
Realität ist allerdings, dass im ÖGD viel zu viele Ärzte fehlen. Dr. Ellen Lundershausen, Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), ist überzeugt, dass bereits im Medizinstudium nicht genügend getrommelt wird für den ÖGD. „Wir haben zwar die fünfjährige Facharztweiterbildung“, sagte sie, „aber das reicht nicht, es gibt leider viel zu wenig Befugte für die Weiterbildung.“
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Teichert wies darauf hin, dass der ÖGD viele Aufgaben hat, die kaum bekannt sind: Infektionsschutz, Schuleingangs- und Reihenuntersuchungen, Impfangebote, Beratung zu Kindergesundheit oder Suchtprävention.
Der ÖGD, darüber gab es bei der Diskussion Konsens, steht bei der Vielfalt seiner Aufgaben letztlich für Public Health und ist die dritte Säule der Gesundheitsversorgung – bisher allerdings ohne Dachorganisation, die alles zusammenhält. Wäre sie erstrebenswert? Ob Zentrum für öffentliche Gesundheit, Bundesagentur für Public Health oder wie auch immer der Name dieser Einrichtung heißen könnte, sie müsste auf Bundesebene koordinieren, ergänzen und Serviceleistungen anbieten, hieß es.
Bei der Verbesserung von ÖGD-Versorgungsstrukturen würden allerdings von oben vorgegebene Planungen in die Sackgasse führen. Davor warnte Falko Liecke (CDU), Vizebürgermeister und langjähriger Stadtrat für Gesundheit und Jugend in Berlin-Neukölln. „Was in einer Großstadt wie Berlin passt, kann in einer Kleinstadt etwa in Thüringen völlig unangemessen sein“, sagte er.
Ran an die Finanzierungsstruktur?
Wenn Public Health neben stationärer und ambulanter Versorgung die dritte Säule des Gesundheitswesens ist, was spricht dann gegen eine Vergütung entsprechender Leistungen auf Basis des SGB V? Diese Überlegung von Denis Nößler, Moderator der Veranstaltung und designierter Chefredakteur der „Ärzte Zeitung“, schien selbst ÖGD-Verbandsarztchefin Ute Teichert reichlich verwegen zu sein. „Das wäre die Revolution“, prophezeite sie begeistert.Ellen Lundershausen widersprach: „Man kann nicht die derzeitigen GKV-Honorargrößen als Basis nehmen und sagen: das stecken wir jetzt in den ÖGD. Das funktioniert nicht.“ Falko Liecke berichtete von krassen Widersprüchen bei der ÖGD-Finanzierung. Berlins Bezirke müssen sich an städtischen Einsparungen als Folge der Pandemie beteiligen, erläuterte er. Für Neuköllns Gesundheitsämter würden den Plänen zufolge voraussichtlich 460.000 Euro weniger für ihre Arbeit zur Verfügung stehen. „Dieses Geld benötigen wir doch eigentlich für Menschen, die von der Pandemie geschädigt wurden“, kritisierte Liecke: „Das ist absurd, so kann man nicht arbeiten!“
Dennoch gab es am Ende der Diskussion Konsens, dass es sich lohnt, den ÖGD fit zu machen für künftige Herausforderungen. „Wir benötigen eine personelle und finanzielle Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes“, sagte BÄK-Vize Lundershausen, „dazu gehört die Bereitschaft zur Vernetzung und eine ständige Kommunikation der Akteure untereinander“. Nur so könne es gelingen, alte Strukturen aufzubrechen.