Neue Daten
ASS enttäuscht in der Primärprävention
Die Hoffnung, Menschen mit einschlägigen Risikofaktoren durch Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) vor kardiovaskulären Erkrankungen zu schützen, hat nach neuen Studiendaten einen Dämpfer erhalten. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Veröffentlicht:CHICAGO. Während die Sekundärprävention mit ASS nach Herzinfarkt seit langem etabliert ist, ist der Stellenwert dieses Thrombozytenhemmers in der Primärprävention bei Personen ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung umstritten.
Die zentrale Frage ist dabei, ob die Verhinderung ischämischer Ereignisse das Risiko für Blutungen aufwiegt.
Studie mit knapp 15.000 Teilnehmern
Neue Daten liefert dazu nun eine große Studie (JPPP: Japanese Primary Prevention Project) aus Japan, deren simultan im Fachblatt JAMA publizierten Ergebnisse Dr. Katsuyuki Shimada aus Tochigi, Japan, beim AHA-Kongress in Chicago vorgestellt hat (JAMA 2014, doi:10.1001/jama.2014.15690, online 17.11.2014).
In die Studie waren 14.658 ältere Männer und Frauen (Durchschnittsalter: 70 Jahre) mit kardiovaskulären Risikofaktoren (etwa Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes) aufgenommen worden.
Sie wurden randomisiert zwei Gruppen zugeteilt und erhielten entweder eine niedrig dosierte Prophylaxe mit ASS (100 mg pro Tag) oder keine entsprechende Behandlung. Die Dauer der Nachbeobachtung betrug im Median rund fünf Jahre.
Kaum Wirkung, mehr Blutungen
Die nach einer Zwischenanalyse gewonnene Einschätzung, dass sich relevante Unterschiede auch bei fortgesetzter Beobachtung wohl nicht aufdecken lassen würden, führte zum vorzeitigen Stopp der Studie. Das schmälert natürlich die Aussagekraft der Studie.
Im verkürzten Studienzeitraum unterschieden sich die Raten für den primären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) im ASS- und Kontrollarm nicht signifikant (2,77 versus 2,96 Prozent).
Einziger kleiner Lichtblick war eine signifikante Abnahme von nicht tödlichen Herzinfarkten, die relativ betrachtet (47 Prozent) beeindruckend, absolut betrachtet aber sehr gering ist (0,30 versus 0,58 Prozent).
Dieser Reduktion stand zudem eine signifikante relative Zunahme von schweren extrakraniellen Blutungen um 85 Prozent gegenüber (0,86 versus 0,51 Prozent).
Metaanalysen deuten in die gleiche Richtung
Die bisherige Datenlage zur Beurteilung des "Netto-Nutzens" von ASS in der Primärprävention ändert sich mit diesen Ergebnissen nicht wesentlich.
Diese Datenlage spiegelt sich inzwischen in mehreren Metaanalysen wider. Eine 2009 publizierte Analyse der Antithrombotic Trialists‘ (ATT) Collaboration, die auf Daten von 95.000 Personen gründet, kommt zu dem Ergebnis, dass eine Primärprävention mit ASS das Risiko für schwerwiegende vaskuläre Ereignisse relativ um 12 Prozent verringerte.
Der absolute Unterschied der Ereignisraten war aber gering (0,51 versus 0,57 pro Jahr). Er resultiert vor allem aus einer Reduktion nicht-tödlicher Herzinfarkte.
Eine solche Wirkung ist auch in der aktuellen JPPP-Studie beobachtet worden.
Ebenso wie in dieser Studie stand dieser Reduktion auch in der Metaanalyse eine Zunahme von Blutungen - darunter gastrointestinale Blutungen und hämorrhagische Schlaganfälle - in nahezu gleicher Größenordnung gegenüber.
Bei Schlaganfällen insgesamt und bei der vaskulär bedingten Mortalität gab es keine relevanten Unterschiede. Auch bestand keine klare Dissoziation zwischen den Risiken für ischämische Ereignisse und für Blutungen - die Risikofaktoren waren jeweils nahezu die gleichen.
Unsicherer Nutzen
Die Autoren der Metaanalyse kamen zu dem Schluss, dass der Nutzen von ASS in der Primärprävention "unsicher" sei, da die Reduktion ischämischer Ereignisse gegen eine Zunahme schwerwiegender Blutungen abzuwägen sei.
Auch drei in den Jahren 2011 und 2012 veröffentlichte Metaanalysen schufen trotz vergrößerter Studienbasis keine solide Grundlage für definitive Empfehlungen - auch nicht bei Patienten mit Diabetes.
Daran werden auch die neuen Daten der japanischen Studie nichts ändern.
Die Forschung geht weiter
Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Derzeit laufen mehrere klinische Studien (ASCEND, ASPREE, ARRIVE), in denen bei unterschiedlichen Populationen in westlichen Ländern ebenfalls das Potenzial von ASS in der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen ausgelotet werden soll.
Und noch immer besteht auch die Hoffnung, dass sich die präventive Wirkung von ASS auch auf kolorektale Karzinome erstrecken könnte. (ob)