Abgespeckte Zellen sollen Biotechnologie revolutionieren
Ob ein Synthese-Roboter für maßgeschneiderte Arzneien oder ein künstliches Pankreas - Forscher sollen die Biotechnik künftig schneller vom Labor in die Praxis bringen. Eine neues BMBF-Programm will sie dabei unterstützen
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So könnte die Zukunft der Medizin aussehen: Ein kleiner 3D-Biochip im Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum der Universität Leipzig.
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BERLIN. Als der US-Forscher Dr. Craig Venter es kürzlich mit einem synthetisch hergestellten Bakterium auf die Titelseite der Fachzeitschrift "Science" schaffte, redete sogar das Feuilleton über die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der synthetischen Biologie. In der Historie der Biotechnik war Venters Coup aber nur ein weiterer Zwischenschritt auf dem Weg nach - ja wohin eigentlich? Zu einem Bio-Baukasten für Lebewesen? Davor zumindest warnen Skeptiker - Stichwort: Biowaffensynthese am Küchentisch.
Deutlich prosaischer ist die Anwendung der synthetischen Biotechnik in anderen Bereichen, bei der Bereitstellung regenerativer Energien, beim Recycling und - last but not least - auch in der Medizin. "Bei der synthetischen Biologie kann es nicht um die Schaffung künstlichen Lebens gehen. Vielmehr kann man sie als Baustein auf dem Weg zu neuen Produktionsverfahren sehen", sagte der Arzt Dr. Helge Braun, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium (BMBF) auf einer Veranstaltung des Ministeriums in Berlin.
Ein Syntheseroboter, der in der Apotheke steht und für Patienten maßgeschneiderte Medikamente anfertigt, das könnte eines der neuartigen Produktionsverfahren sein, von denen Braun sprach. Wer so etwas verwirklichen will, ob nun in der Apotheke oder anderswo, dem helfen die derzeitigen Möglichkeiten der Biotechnik nicht weiter. Zu ineffizient ist die biotechnische Produktion von Arzneimitteln mithilfe lebender Organismen, zu aufwendig, zu teuer.
Einen Ausweg und einen der Schwerpunkte in dem jetzt vom BMBF geförderten Strategieprozess "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren" bildet die zellfreie Synthese. "Lebende Zellen sind aufgrund ihrer komplexen Regulationsmechanismen einfach nicht dafür gemacht, einzelne Proteine in großer Zahl zu produzieren", sagte Dr. Stefan Kubick vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik. Die Forscher haben deswegen eine Methode entwickelt, Zellmembran und Zellkern zu beseitigen, ohne dass Ribosomen und endoplasmatisches Retikulum gleich mit verschwinden. Damit kann die Eiweißsynthesemaschine der Zellen wesentlich direkter angesprochen werden.
"Auch posttranslationale Veränderungen sind bei unserem Ansatz möglich, also zum Beispiel eine Glykosylierung", so Kubick zur "Ärzte Zeitung". Posttranslational bedeutet nach der Synthese der Eiweißmoleküle. Damit eröffnet sich ein breites Spektrum denkbarer medizinischer Einsatzmöglichkeiten. Eine kostengünstige Synthese von Medikamenten ist eine davon. Eine andere wäre die zellfreie Synthese größerer Strukturen, etwa kompletter Kalziumkanäle, die therapeutisch etwa bei Mukoviszidose genutzt werden könnten. Dass neuartige Synthesewege auch den biotechnischen Organersatz voranbringen können, liegt auf der Hand. Eine künstliche Bauspeicheldrüse etwa wird deutlich kleiner, wenn es gelingt, die Insulinsynthese effektiver zu gestalten. Trivial ist das alles freilich nicht. Außer biomedizinischem Knowhow ist dabei auch sehr viel technisches Fachwissen gefragt. Aus diesem Grund wollen sich die großen Forschungseinrichtungen Helmholtz Gemeinschaft, Fraunhofer, Max Planck Gesellschaft und Leibniz Gesellschaft künftig bei der Biotechnik stärker vernetzen - mit Blick auf die Medizin, aber auch auf die Ökonomie: Die Bündelung der Kräfte soll eine starke ökonomische Dynamik erzeugen, heißt es in einem gemeinsamen Memorandum.
Über die nächsten 10 bis 15 Jahre fördert das Bundesforschungsministerium die Biotechnik in Deutschland zusätzlich mit 200 Millionen Euro. Vorgesehen ist ein langfristig angelegter Strategieprozess, bei dem sich Biotechnik-Experten aus allen Forschungsorganisationen und aus der universitären Forschung im Herbst 2010 zusammensetzen, um gemeinsam sinnvolle Ausschreibungen für die Projektförderung zu entwickeln. Die Schwerpunkte sollen bei der synthetischen Biologie und bei der zellfreien Biotechnik liegen. Außer der Projektförderung soll das Geld auch für die Nachwuchsförderung investiert werden. (gvg)