Schattenseiten der Pilzsaison
Ärzte und Strahlenforscher warnen vor Giftpilzen und Radioaktivität
Das feuchte Wetter begünstigt das Pilzwachstum und lockt Sammler in den Wald. In Hannover wurden sechs schwere Vergiftungen registriert, in Süddeutschland sorgt man sich um Strahlenschutz.
Veröffentlicht:München / Hannover. Auch 37 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl können Waldpilze immer noch radioaktiv belastet sein, berichtet das Umweltinstitut München in einer Mitteilung. „Während Caesium-137 auf landwirtschaftlichen Flächen bereits in tiefere Bodenschichten ausgewaschen wurde oder an Minerale gebunden ist, hält sich im Wald der radioaktive Stoff länger und wird vom weit verflochtenen Myzel einiger Pilzsorten stark aufgenommen“, erklärt Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität am Umweltinstitut. „Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in den letzten Jahren bei einigen Waldpilzsorten bis zu 4000 Becquerel pro Kilogramm Frischmasse festgestellt. Im Handel sind 600 Becquerel pro Kilo erlaubt.“
Besonders radioaktiv belastet, seien zum Beispiel Maronenröhrlinge oder der Semmel-Stoppelpilz. Steinpilze und Pfifferlinge wiesen dagegen weniger Radioaktivität auf. Allerdings: „Solange jemand Waldpilze nicht in riesigen Mengen isst, dürfte die zusätzliche Strahlendosis innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung liegen“, so Doerk in der Mitteilung.
„Risikogruppen sollten Strahlenbelastungen vermeiden“
Da es aber keinen Schwellenwert gebe, unterhalb dessen Radioaktivität unschädlich sei, empfiehlt das Institut vor allem gesundheitlich gefährdeten Menschen sowie Schwangeren und stillenden Müttern zusätzliche Strahlenbelastungen zu vermeiden. „Diese Risikogruppen sollten auf Zuchtpilze zurückgreifen“, heißt es in der Mitteilung.
Das Institut in München bietet von August bis Oktober für Privatpersonen kostenlose Messungen von Pilzen, Waldbeeren und Wild an. Für eine Messung werden mindestens 150-250 Gramm pro Pilz-, Beeren- oder Wildfleischsorte benötigt. Die Proben müssen sortenrein sein und sollen möglichst genaue Angaben über Herkunft und Funddatum enthalten. Auf einer interaktiven Karte finden Interessierte die Messergebnisse der letzten Jahre.
Medizinische Hochschule Hannover warnt vor Knollenblätterpilz
Unterdessen warnt die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) vor Giftpilzen: „In den vergangenen Tagen wurden vermehrt Menschen mit Pilzvergiftungen eingeliefert. Seit Anfang August wurden in der MHH bereits sechs Personen auf der Intensivstation behandelt, eine davon ist inzwischen gestorben, bei einer weiteren muss eventuell die Leber transplantiert werden“, so die MHH in einer Mitteilung.
Die meisten Betroffenen stammten aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Mittleren Ostens. Für die Vergiftungsfälle verantwortlich ist vor allem der Knollenblätterpilz. „In den Heimatländern der betroffenen Personen ist der Knollenblätterpilz vermutlich weniger verbreitet. Hier in Deutschland wird aufgrund von Unkenntnis die Gefahr des Pilzesammelns oft nicht ausreichend ernst genommen“, erklärt Professor Dr. Markus Cornberg, stellvertretender Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie.
„Auf App-Bestimmungshilfen ist kein Verlass!“
Wegen der großen Gefahr sollten Sammlerinnen und Sammler gefundenen Pilze vor dem Verzehr von einer oder einem Pilzsachverständigen bestimmen lassen. Das Giftinformationszentrum-Nord rät darüber hinaus, Schulungen der Deutschen Gesellschaft für Mykologie zu besuchen, bevor es ans Pilzesuchen geht. Auf Apps, die bei der Bestimmung von Pilzen helfen, solle man sich nicht verlassen, betont die MHH.
Pilzfreunden ist zudem einzuschärfen bei Verdacht auf eine Vergiftung dringend den Notarzt anzurufen, so die MHH. Zur Erleichterung der Diagnose sollten Pilzreste und Erbrochenes aufgehoben werden. (eb)