Forscher

Alkohol verursacht Krebs

Oropharynx, Larynx, Ösophagus, Leber, Kolon, Rektum, Brust: An diesen Körperregionen verursacht Alkohol bösartige Tumoren. Für Forscher ist das Fakt - auch ohne strikten Beweis.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Der Krebserkrankung einen Schluck näher? Forscher sehen dies als belegt.

Der Krebserkrankung einen Schluck näher? Forscher sehen dies als belegt.

© donfiore/fotolia.com

Professor Jennie Connor lehrt und forscht am Department of Preventive and Social Medicine der University of Otago, der ältesten Universität Neuseelands in der Stadt Dunedin.

Connor befasst sich seit Jahren mit den schädlichen Folgen des Alkoholkonsums und hat sich wiederholt gegen den laxen Umgang mit einer Substanz gewandt, die sie für toxisch, karzinogen und suchterzeugend hält.

In Connors Augen muss der Kausalzusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebsentstehung als gesichert gelten. Als Beleg führt sie die Ergebnisse von Studien an, die unter anderem vom World Cancer Research Fund, vom American Institute for Research on Cancer, von der International Agency of Research on Cancer und der Global Burden of Disease Alcohol Group vorgelegt worden sind.

"Die Stärke der Assoziation variiert und hängt von der Körperregion ab, wobei sich der Zusammenhang für die Mundhöhle, den Rachen und die Speiseröhre als besonders ausgeprägt erweist", so Connor.

Hier sei das relative Risiko bei einem Tageskonsum von 50 g Alkohol und mehr vier- bis siebenfach höher als bei Abstinenz. Am Kolorektum sowie an Leber und weiblicher Brust sei das Risiko geringer, die Steigerung des Krebsrisikos durch Alkohol betrage ungefähr 50 Prozent.

Insgesamt schreibt sie 5,8 Prozent der weltweiten Krebstoten, die an Tumoren der genannten Regionen sterben, dem Alkohol zu (Addiction 2016, online 21. Juli; doi: 10.1111/add.13477).

Biologisch plausible Erklärungsmuster fehlen

Connor verweist auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung mit linear oder exponentiell höherem Risiko bei zunehmendem Konsum. Einen Schwellenwert sieht sie nicht, auch sogenannte leichte oder mäßige Trinker sind laut ihren Erkenntnissen einem beachtlichen Risiko ausgesetzt.

Werde das Trinken aufgegeben, sinke das Risiko bei einigen Krebsarten wieder, etwa bei Krebs der Speiseröhre oder im Kopf-Hals-Bereich.

Die kausale Verknüpfung sieht die Epidemiologin besonders durch die Dosis-Wirkungs-Beziehung gestärkt. Sie gibt zu, es fehle noch an biologisch plausiblen Mechanismen, die den ursächlichen Zusammenhang erklären würden.

Doch solche Erklärungsmodelle hält sie nicht für nötig. Sie meint, um einen Kausalzusammenhang zu konstatieren, reichten die epidemiologischen Nachweise aus. Zwar beruhten die Belege auf den Ergebnissen von Kohortenstudien, die den bekannten Einschränkungen unterlägen.

Diese könnten aber allenfalls dazu führen, dass die wahren Effekte stärker oder schwächer ausfielen als derzeit geschätzt. Es sei aber unwahrscheinlich, dass ein qualitativer Unterschied bestehe.

Ein häufiger Einwand gegen eine Argumentation, wie Connor sie vorbringt, lautet, dass sich Kausalität mit epidemiologischen Studien prinzipiell nicht beweisen lässt. Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig.

Denn zum einen ist die Alternative zu Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien, nämlich eine randomisierte und kontrollierte Interventionsstudie, im vorliegenden Fall gar nicht denkbar.

Zum anderen lehrt die Medizingeschichte, dass sich auch mit einem retrospektiven epidemiologischen Design eine kausale Verbindung sehr wohl höchst plausibel darstellen lässt. Ein anderes Alltagsgift spielt dabei eine wichtige Rolle - es geht um den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs.

Datenlage ähnlich wie beim Rauchen vor 60 Jahren

Die biologischen Mechanismen, über die Tabakrauch Karzinome auslöst, sind heute gut erforscht. Das war Anfang der 1950er-Jahre noch anders. Damals erschien die Studie "Tobacco smoking as a possible etiologic factor in bronchiogenic carcinoma", vorgelegt von Ernest Wynder und Evarts Graham (JAMA 1950; 143: 329).

Die beiden Chirurgen der Washington University School of Medicine in St. Louis untersuchten darin das Rauchverhalten von 684 Patienten mit nachgewiesenen Bronchialkarzinomen und verglichen es mit jenem von Kontrollpersonen ohne Lungenkrebs.

Was sie fanden, bestätigte in einem größeren Kollektiv, was seit Beginn des 20. Jahrhunderts vermutet und in kleineren Untersuchungen gezeigt worden war: Patienten mit Lungenkrebs haben im Durchschnitt länger und intensiver geraucht als die Kontrollen.

Auch hier war es nicht zuletzt die Dosis-Wirkungs-Beziehung, die Wynder und Graham vom ätiologischen Beitrag des Tabakrauchs zur Karzinomentstehung überzeugte. Dennoch wurden die Ergebnisse von Wynders und Grahams Fall-Kontroll-Studie nach der Publikation kontrovers diskutiert.

Nicht zuletzt lag das am epidemiologischen Design: Assoziationen sind, selbst wenn sie in der für Ursache und Wirkung erforderlichen zeitlichen Reihenfolge auftreten, kein Beweis für Kausalität.

Graham freilich fand die epidemiologischen Indizien dafür, dass Rauchen Lungenkrebs verursacht, überzeugend genug. Selbst starker Raucher, gab er das Rauchen auf. 1957 starb er - an Lungenkrebs.

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 02.09.201618:06 Uhr

Hallo Kollege

wer so entschlossen als Arzt für einem "Schwellwert" von Alkohol kämpft,
sollte doch auch ein Wort für diesen Schwellwert verlieren (können),
da gibt es ja schon Zahlen von vor 1970 und natürlich aktuelle Leitlinien unserer Fachgesellschaften,
die eigentlich immer noch das gleiche wie damals sagen.
Es werden immer 20g für Frauen und 40g ("reiner Alkohol" brr) für Männer angegeben, zugegeben, etwas ungerecht,
gleichzeitig verdammt grob, denn wer kann sich da genau drauf verlassen, nicht nur wegen seiner unterschiedlichen Körpergröße,
die Leber muss ja auch fit sein (Hepatitis? Übergewicht?).
Als junger Assi in der Uni musste ich bei einem unter 60-Jährigen mal ein "wissenschaftliches" Erwerbsunfähigkeitsgutachten wegen einer fortgeschrittenen Lebercirrhose machen.
Dabei konnte ich erstmals die "positive" Alkoholwirkung auf das periphere Gefäßsystem bestaunen.
Die gründliche Anamnese und Untersuchung ergab nämlich eine einseitige U-Schenkel-Amputation wegen AVK vor langer Zeit,
weshalb er dann mit dem Rauchen aufgehört hatte und mit dem Biertrinken begonnen hatte.
Wegen der besseren Verdauung erklärte er mir. Und tatsächlich er hatte keine AVK mehr und konnte mit Prothese gut laufen, ohne eine Pause einlegen zu müssen, das Gangbild war allerdings schon etwas gestört (neurologisch).
Das war sicher nicht (nur) das fehlende Nikotin,
seine Blutgerinnung war fast auf dem 0-Punkt gelandet, Thrombinzeit unendlich u.s.w.(Ausfall der Lebersynthese).
Man könnte nun ja jetzt positiv daraus schließen,
dass in Deutschland noch zu wenig Alkohol getrunken wird ???
Ich sehe die Tumorstatistik wie Sie eher als das geringere Problem bei Alkohol,
trotzdem teile ich persönlich eher die Zweifel der Autorin an der fehlenden Schwelle,
wobei die "gesellige Stimmung" in der Runde mit Freunden natürlich ihren Wert behält,
das wird sicher auch der Psychologe bestätigen.
Man muss nur der Leber immer ein paar Tage zur Erholung gönnen,
sagen auch die Leitlinien.

Thomas Georg Schätzler 02.09.201611:47 Uhr

Angebliche Fakten brauchen harte Kausalitäts-Beweise!

In aller Kürze bei laufender Sprechstunde.
Auch wenn Frau Professor Jennie Connor vom Department of Preventive and Social Medicine der University of Otago, Dunedin NSL, von einer Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Krebserkrankung mit linear oder exponentiell höherem Risiko bei zunehmendem Konsum überzeugt ist:

Es gibt in der gesamten wissenschaftlichen Literatur keinen einzigen Nachweis, dass es dabei k e i n e n Schwellenwert für sogenannte leichte oder mäßige Trinker o h n e Krankheitsfolgen gibt. Dann wäre die Menschheit mit Jahrtausende langem Wein-Anbau und Trinkkultur längst ausgestorben.

Man kann natürlich in der Zeitschrift "Addiction", was für Sucht, Abhängigkeit und diesbezügliche Erkrankungen steht, unter dem Original-Titel "For Debate - Alcohol consumption as a cause of cancer" lange debattieren. Aber Schlussfolgerungen wie "Conclusions - There is strong evidence that alcohol causes cancer at seven sites in the body and probably others. Current estimates suggest that alcohol-attributable cancers at these sites make up 5.8% of all cancer deaths world-wide. Confirmation of specific biological mechanisms by which alcohol increases the incidence of each type of cancer is not required to infer that alcohol is a cause" sind grober Unfug.

Es ist unwissenschaftlich und geradezu grotesk-infantil "nahezulegen", dass "Alkohol-bezogene Krebsfälle bis zu 5,8 aller weltweiten Krebstodesfälle ausmachen würden".

Und pseudowissenschaftlicher "Dummsprech" ist der letzte Satz: "Die Bestätigung spezifischer biologischer Mechanismen, durch welche Alkohol die Inzidenz jeder einzelnen Krebsart steigert, wird nicht benötigt, um darauf zu schließen, dass Alkohol eine Ursache ist".

Dieser Trugschluss ist einfach nur peinlich und entlarvt sich selbst!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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