Hintergrund
Beeriger Jungbrunnen
Beeren schmecken nicht nur lecker, sondern sind auch gut fürs Hirn. Der Verzehr der saftigen Früchte kann den Alterungsprozess bremsen, sagen US-Forscher. Aber auf die Beerenfarbe kommt es an.
Veröffentlicht:Ob Heidelbeere, Brombeere, oder Holunderbeere - dunkel muss sie jedenfalls sein, die Beere, oder allenfalls noch kräftig rot, dann könnte sie sich als Jungbrunnen für das alternde Gehirn erweisen.
Denn glaubt man einer wachsenden Schar von Wissenschaftlern, sind es vor allem die dunklen Anthocyan-Farbstoffe in der Beere, die Nervenzellen im Gehirn vor allerlei schädlichen Einflüssen schützen.
Diese Anthocyane gelten als antioxidativ und entzündungshemmend, sie sollen die freien Radikale im Gehirn wieder einfangen und so unser Denkorgan vor dem Untergang durch toxische Alzheimer- oder Parkinsonproteine bewahren.
Was davon zu halten ist, haben die beiden Ernährungswissenschaftler Dr. Marshall Miller und Barbara Shukitt-Hale aus Boston überprüft, indem sie sich Zellkulturexperimente, Tierversuche und klinische Studien mit Beeren und deren Inhaltsstoffen genauer anschauten (J. Agric. Food Chem 2012 Epub Jan 23).
In-vitro-Studien:
Anthocyane und verwandte Substanzen konnten in Zellkulturen sowohl Monoaminoxidase (MAO) A als auch B hemmen. MAO baut die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin ab. Synthetische MAO-Hemmer werden bekanntlich als Antidepressiva oder als Anti-Parkinsonmittel eingesetzt.
Das lässt hoffen, dass ein reichlicher Verzehr von dunklen Beeren sowohl die Stimmung stabilisiert als auch vor Parkinson schützt. Doch auch der bei Alzheimer gestörte Acetylcholin-Stoffwechsel scheint von den Beerenwirkstoffen zu profitieren.
Acetylcholin-sensitive Zellen konnten mit Beerenextrakt vor dem Untergang durch das Alzheimerprotein Beta-Amyloid bewahrt werden. Der Extrakt stabilisierte die zelluläre Kalziumregulation.
Ein Heidelbeerextrakt reduzierte in einer anderen Studie Marker für oxidativen Stress in der Zelle. Beerenwirkstoffe des Gemeinen Bocksdorns (Lycium barbarum) wiederum retten mit Beta-Amyloid malträtierte Nervenzellen vor dem sicheren Tod, indem sie die Apoptose verhinderten und Entzündungsprozesse stoppten.
In Tierexperimenten:
Alternde Ratten zeigten unter eine Diät mit 2% Heidelbeeren und 2% Erdbeeren ein deutlich verbessertes räumliches Gedächtnis, wenn sie sich in einem Labyrinth zurechtfinden mussten; ähnliche Versuche waren auch mit Trauben und Brombeeren erfolgreich.
Nach vier Monaten Heidelbeerdiät konnten alte Ratten zudem Gegenstände besser erkennen als zuvor; auf Mäuse wirkten die Beeren anxiolytisch. In Hirnuntersuchungen sezierter Nager stellten Forscher zudem eine reduzierte Cholinesterase-Aktivität fest, was für einen gewissen antidementiven Effekt der Beerenwirkstoffe spricht.
Dieser ließ sich auch in transgenen Mäusen bestätigen, die übermäßig viel Beta-Amyloid produzieren. Mit einer Heidelbeerdiät blieb der kognitive Funktionsverlust weitgehend aus.
In einem Experiment wurde Mäusen eine Substanz ins Gehirn injiziert, die das glutamaterge System überreizt und dadurch oxidativen Stress und Entzündungen hervorruft. Dies ließ sich mit einer achtwöchigen Heidelbeerdiät verhindern.
Schließlich sprechen Tierexperimente auch für eine günstige Wirkung auf die Motorik. Bekamen alte Ratten reichlich Heidelbeeren, Cranberries oder Traubensaft zu futtern, zeigten sie ein besseres Balance- und Koordinationsvermögen als mit der Standardnahrung. Erdbeeren brachten hier allerdings kaum Vorteile.
Und wurde Mäusen ein Neurotoxin injiziert, das die Zellen in der Substantia nigra schädigt, so ließen sich die zu erwartenden motorischen Ausfälle mit Maulbeerextrakt verhindern. Untersuchte man die Tiere nach einer Beerendiät, so fand man bei Neuronen im Striatum und Kortex eine erhöhte Dichte sowie eine stärkere Verzweigung der Dendriten.
In bestimmten Hirnbereichen wie dem Gyrus dentatus ließ sich eine erhöhte Zellproliferation nachweisen, was darauf deutet, dass Beeren die Neurogenese ankurbeln.
In klinischen Studien:
Noch gibt es recht wenige Erkenntnisse, inwiefern sich die Ergebnisse aus den Tiermodellen auf Menschen übertragen lassen. In zwei Studien bekamen Patienten mit leichten kognitiven Einschränkungen zwölf Wochen lang Heidelbeersaft oder Traubensaft zu trinken (jeweils 6-9 ml/kg/d).
Dabei zeigte sich in verschiedenen Kognitionstests ein Trend zu einer besseren Leistung als bei Patienten mit Getränken ohne Fruchtsaft. Blutuntersuchungen nach Beerenmahlzeiten ergaben zudem erhöhte Serumwerte von Antioxidanzien. Schließlich liefern auch epidemiologische Untersuchungen einige Hinweise: Eine Analyse der Daten von knapp 130.000 Teilnehmern einer Langzeitstudie ergab, dass die Parkinsonrate bei Beeren-Liebhabern um etwa 40% erniedrigt war.
Dabei schien vor allem der Konsum stark anthocyanhaltiger Beeren mit einem niedrigen Parkinsonrisiko einherzugehen.
Das Fazit von Miller und Shukitt-Hale: Inzwischen gibt es jede Menge präklinische Hinweise, dass Beerenwirkstoffe die kognitiven und motorischen Hirnfunktionen verbessern und erhalten. Ob sich damit bei Menschen neurodegenerative Prozesse bremsen lassen, bleibt aber unklar.
Schwer zu sagen ist auch, wie viel Beerenprodukte wie lange gegessen und getrunken werden müssten, um einen spürbaren Nutzen zu zeigen. Trösten kann man sich damit, dass die Beerendiät einen Versuch wert ist: Hinweise zu schädlichen Wirkungen lieferten die Studien nicht.