Maskierte Hypertonie

Bei jedem Achten trügt die Praxismessung

Ein normaler Blutdruck in der Praxis kann in falscher Sicherheit wiegen. Nach den Ergebnissen einer US-Studie leidet jeder achte Patient, bei dem in der Praxis normotone Werte gemessen werden, an einer maskierten Hypertonie.

Von Dr. Dagmar Kraus Veröffentlicht:
Bei hochnormalen Blutdruckwerten ist das Risiko für eine maskierte Hypertonie am höchsten.

Bei hochnormalen Blutdruckwerten ist das Risiko für eine maskierte Hypertonie am höchsten.

© Lisa F. Young / Fotolia

NEW YORK. Das Phänomen der maskierten Hypertonie mit all seinen Risiken ist hinlänglich bekannt. Dennoch gibt es kaum Erhebungen zur Frage, wie viele Menschen betroffen sind. US-amerikanische Kardiologen haben das zum Anlass genommen zu berechnen, bei wie vielen Patienten die Blutdruckmessung in der Praxis falsch-niedrige Werte ergibt und eine bestehende Hypertonie nicht erkannt wird (Am J Epidemiol 2017; 185: 194).

Für ihre Auswertung herangezogen haben die Ärzte die Daten dreier Studien: neben der Masked Hypertension-Studie (MHTS) den National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) sowie die Improving the Detection of Hypertension (IDH)-Studie. Im Rahmen der MHT-Studie wurde der Blutdruck zunächst dreimal in Folge in der Praxis gemessen und anschließend im Rahmen einer ambulanten Langzeitmessung über 24 Stunden bestimmt. Außerdem wurden die Teilnehmer zu Alter, Ethnienzugehörigkeit, Geschlecht, Größe, Gewicht, Rauchstatus und vorbestehendem Diabetes befragt.

Mittelwert berechnet

Bei den Teilnehmern der großen bevölkerungsbezogenen Querschnittstudie NHANES wurde ebenfalls der Praxisblutdruck ermittelt, der sich aus dem Mittelwert dreier Messungen berechnete. Eine Langzeitblutdruckmessung wie in der MHT-Studie fand jedoch nicht statt. Neben demografischen Charakteristika der Teilnehmer standen auch Informationen zum Body-Mass-Index und einer eventuellen Diabeteserkrankung zur Verfügung. Auf einer ähnlichen Vorgehensweise basierte auch die IDH-Studie.

Schließlich erfüllten 811 Teilnehmer der MHT-Studie, 9316 Teilnehmer der NHANE-Studie und 347 Probanden der IDH-Studie die Einschlusskriterien: Sie waren älter als 21 Jahre und laut Praxismessung normoton. Sie hatten keine chronischen Vorerkrankungen speziell des Herz-Kreislaufsystems, nahmen keine Blutdruckmedikamente oder Statine ein und waren nicht schwanger.

Die in der NHANE- und IDH-Studie fehlenden Daten zum ambulant mittels Langzeitmessung erhobenen Blutdruckstatus ermittelten die Mediziner über die multiple Imputation und rechneten hoch, wie viele der 139 Millionen US-Amerikaner an einer maskierten Hypertonie leiden. Demnach leben in den USA mehr als 17 Millionen Erwachsene (= 21 Jahre), also 12,3 Prozent, mit einem nicht erkannten, weil mit der Praxismessung nicht zu diagnostizierenden Bluthochdruck. Anders ausgedrückt: Einer von acht Patienten, die beim Arzt normale Blutdruckwerte haben und keine Antihypertensiva einnehmen, sind hyperton.

Das Risiko einer maskierten Hypertonie (MHT) stieg dabei mit den in der Praxis gemessenen Werten und war mit 29,7 Prozent am höchsten, wenn der Blutdruck zwischen =130/85 mmHg und < 140/90 mmHg lag und somit als prähyperton einzustufen war. Bei optimalen Blutdruckwerten (< 120/80 mmHg) fiel die Prävalenz auf 6,6 Prozent. Bei Männern wiederum lag die Prävalenz doppelt so hoch wie bei Frauen (18,1 vs. 7,0 Prozent), ebenso bei Personen über 45 Jahre im Vergleich zu Jüngeren (17,2 vs. 8,2 Prozent). Mit einer Diabeteserkrankung stieg ebenfalls die Prävalenz (16,6 Prozent), wobei es das weite Konfidenzintervall (95%-KI 7,0-26,2) zu beachten gilt.

Diagnosestrategien überdenken

Angesichts der Tatsache, dass in den USA schätzungsweise 17,1 Millionen Erwachsene an einer maskierten Hypertonie leiden, fordern die Studienautoren, die dort geltenden Empfehlungen für die Hypertoniediagnostik zu überarbeiten. Mit alleiniger Messung in der Praxis werde ein hoher Anteil der Hypertoniker nicht erkannt und laufe Gefahr, kardiovaskuläre Folgeerkrankungen zu entwickeln oder gar frühzeitig zu sterben.

Keinesfalls zielführend sei es, nun bei allen Patienten eine Langzeitblutdruckmessung durchzuführen, nicht zuletzt aufgrund der enormen Kosten, so die Kardiologen. Vielmehr brauche es eine geeignete Risikostratifizierung. Laut der aktuellen Berechnung war die MHT-Prävalenz bei Über-45-Jährigen, Männern, Diabetikern und speziell bei Menschen mit prähypertensiven Blutdruckwerten in der Praxis am höchsten. Jetzt müsse in Studien überprüft werden, so die Forderung der US-amerikanischen Kardiologen, bei welchen Personen eine Langzeitblutdruckmessung trotz normaler Blutdruckwerte angezeigt ist.

Maskierte Hypertonie sehr häufig

Ähnliche gesamtbevölkerungsbezogene Zahlen zur Prävalenz gibt es für Deutschland bislang nicht. In der deutschen Pharao-Studie allerdings hat man in einem Kollektiv von 1008 Patienten mit hochnormalem Blutdruck den Anteil der Patienten mit maskierter Hypertonie oder Praxishypertonie evaluiert. Demnach litten mehr als doppelt so viele Teilnehmer an einer maskierten Hypertonie (35 Prozent) im Vergleich zur Praxishypertonie (16 Prozent). Und auch die US-amerikanischen Kardiologen schätzen den Anteil der Patienten mit MHT deutlich höher ein als den mit Praxishypertonie.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf Seite 2

12%

der Erwachsenen in den USA haben einen nicht erkannten, weil mit der Praxismessung nicht zu diagnostizierenden Bluthochdruck.

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Kommentare
Thomas Georg Schätzler 10.03.201718:17 Uhr

Widersprüche und Ungereimtheiten!

Im Abstract der Publikation: "Prevalence of Masked Hypertension Among US Adults With Nonelevated Clinic Blood Pressure" von Y. Claire Wang et al. findet sich kein Hinweis auf eine evtl. inkludierte "Improving the Detection of Hypertension (IDH)"-Studie. ["After pooling data from the Masked Hypertension Study (n = 811), a cross-sectional clinical investigation of systematic differences between clinic BP and ambulatory BP (ABP) in a community sample of employed adults in the New York City metropolitan area (2005–2012), and the National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES; 2005–2010; n = 9,316), an ongoing nationally representative US survey, we used multiple imputation to impute ABP-defined hypertension status for NHANES participants and estimate MHT prevalence among the 139 million US adults with nonelevated clinic BP, no history of overt cardiovascular disease, and no use of antihypertensive medication"].

Die von dem Autorenteam besonders hervorgehobene Veröffentlichung mit dem Titel: "Clinic Blood Pressure Underestimates Ambulatory Blood Pressure in an Untreated Employer-Based US Population - Results From the Masked Hypertension Study [MHTS]" des klinischen Epidemiologen und Psychiaters Joseph E. Schwartz et al.
http://circ.ahajournals.org/content/134/23/1794
war geschickt vormanipuliert.

888 angeblich gesunde Individuen ohne Blutdruck-Medikation hatten einen "Screening-Blutdruck" kleiner als 160/105 mm Hg. Damit wurden offenkundig Patienten mit einer Hypertonie 1. Grades inkludiert ["Methods: Between 2005 and 2012, 888 healthy, employed, middle-aged (mean±SD age, 45±10.4 years) individuals (59% female, 7.4% black, 12% Hispanic) with screening BP <160/105 mm?Hg and not taking antihypertensive medication..."].

Kein Wunder, dass diese Studienpopulation einen höheren Blutdruck beim Aufwachen gemessen hatte, als bei häufigen klinischen Kontrollen tagsüber. Insofern ist es eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ("self fulfilling prophecy") dass bei vielen Probanden eine letztlich durch 24-Stunden-RR-Messung bestätige maskierte Hypertonie vorlag ["Demonstrated CBP-aABP gradients, if confirmed in representative samples (eg, NHANES [National Health and Nutrition Examination Survey]), could provide guidance for primary care physicians as to when, for a given CBP, 24-hour ABP would be useful to identify or rule out masked hypertension"].

Diese hätte aber bereits bei den Einschlusskriterien ohne weitere Tests diagnostiziert werden können. Die Essenz der Masked Hypertension Study [MHTS] war äußerst dürftig und klinisch-praktisch völlig irrelevant:
"Studienergebnisse - Der mittlere ABPM-Wert lag bei den Probanden mit 123,0/77,4 mmHg signifikant höher als die mittleren aus den drei Praxisbesuchen gepoolten Werte (116,0/75,4 mmHg). Bei mehr als einem Drittel der Teilnehmer überstieg der systolische ambulante Wert den Praxis-Wert um mehr als 10 mmHg. Der umgekehrte Fall kam nur bei 2,5 Prozent der Teilnehmer vor."
http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/herzkreislauf/bluthochdruck/article/925993/blutdruck-messung-maskierte-hypertonie-bleibt-oft-unerkannt.html

Auf die widersprüchlichen hypertensiologischen Ausgangsbefunde mit wesentlich höheren Praxis-Einschlusskriterien: "Es nahmen Personen teil, deren Blutdruck beim ersten Praxisbesuch unter 160/105 mmHg gelegen hatte" wurde in der Ergebnisdiskussion gar nicht genauer eingegangen.

Die Frage nach der Anzahl von "dippern/non-dippern", also mit/ohne RR-Nachtabsenkung, blieb ebenfalls unbeantwortet!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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