Über 1300 SARS-CoV-2-Infizierte
NRW-Landeschef: Trotz des Corona-Ausbruchs bei Tönnies kein Lockdown
Corona-Ausbrüche wie beim Schlachtereiunternehmen Tönnies lassen die Fallzahlen in Deutschland gerade merklich steigen. Bisher sieht das Robert Koch-Institut aber derzeit keinen Grund zu Besorgnis. NRW-Landeschef Armin Laschet hat sich vor Ort ein eigenes Bild gemacht.
Veröffentlicht:Berlin/Gütersloh. Innerhalb von 24 Stunden haben die Gesundheitsämter in Deutschland dem Robert Koch-Institut (RKI) 601 neue Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Die Zunahme der Fallzahlen sei insbesondere auf größere Ausbrüche in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Berlin zurückzuführen, hieß es vom RKI am Samstag.
Besonders viel Aufsehen erregt die Infektionswelle im ostwestfälische Kreis Gütersloh beim Fleischverarbeiter Tönnies. Im Zusammenhang mit dem derzeit größten lokalen Ausbruch wurde bei mehr als 1300 Beschäftigten das Virus nachgewiesen - gut 200 Ergebnisse von den insgesamt 6139 getesteten Mitarbeitern standen am Sonntagnachmittag noch aus. Alle Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mussten mitsamt allen Haushaltsangehörigen in Quarantäne.
Damit wurde auch der von Bund und Ländern vereinbarte Grenzwert von 50 Corona-Neuinfektionen binnen einer Woche je 100.000 Einwohner klar überschritten. Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen mit Datenstand 20.6., 0.00 Uhr, bei 1,79 (Vortag: 1,06). Mitursache des deutlichen des Anstiegs sind eben jene Corona-Ausbrüche wie beim Schlachtereiunternehmen Tönnies.
Laschet und Laumann vor Ort in Gütersloh
Wegen des Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik machte sich auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Sonntag vor Ort ein Bild von der Lage. Der Regierungschef äußerte sich anschließend mit Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einer Pressekonferenz.
Dabei bestätigte Laschet, dass die Behörden trotz des Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies keinen Grund für einen Lockdown im Kreis Gütersloh sähen. Es gebe zwar „ein enormes Pandemie-Risiko“. Das Infektionsgeschehen sei aber klar bei der Firma Tönnies lokalisierbar, und es gebe keinen „signifikanten Übersprung“ hinein in die Bevölkerung. Deshalb gelte weiterhin der Satz, „dass wir einen flächendeckenden Lockdown im Moment nicht ausschließen können, aber solang‘ wir alles tun, dass es gelingt, dass es nicht überspringt auf die Bevölkerung, können wir andere bessere zielgerichtetere Maßnahmen ergreifen“, sagte Laschet.
Es gebe auch keinen signifikanten Übergang der Corona-Fällen aus dem Kreis der infizierten Mitarbeiter des Betriebs in die allgemeine Bevölkerung“, sagte auch der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, bei der Pressekonferenz. Von den über 1300 Infizierten zeigten 873 Erkrankungssymptome. Nur bei 16 von ihnen bestehe kein direkter Bezug zur Fleischindustrie.
Laschet warnt Mitarbeiter vor überstürzter Abreise
Laschet warnte wiederum die Arbeiter aus anderen Ländern vor einer überstürzten Abreise in ihre Heimat. Im Fall einer Infizierung bekämen die Arbeiter die „bestmögliche medizinische Behandlung“ in Deutschland, sagte Laschet am Sonntag nach Krisengesprächen im betroffenen Kreis Gütersloh. Das liege auch im eigenen Interesse der Arbeiter. Es würden nun in unbegrenzter Größenordnung so viele Dolmetscher wie möglich in die Unterkünfte der Beschäftigten geschickt. Das Problem sei, dass diese auf 1300 Liegenschaften verteilt seien. Drei Hundertschaften der Polizei unterstützten die Ordnungsämter dabei, die Quarantäne durchzusetzen.
Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte in der Pressekonferenz, dass Schlachthöfe zur Versorgungstruktur eines Landes mit dazu gehörten, „ ob man sie mag oder nicht“. Auch hätten regelmäßig Kontrollen des Betriebes stattgefunden, zuletzt Ende Mai. Man habe dabei keine Beanstandungen nach dem Arbeitsschutzgesetz gefunden. Allerdings, so räumte Laumann ein, „bis unsere Kontrolleure durch alle Schleusen durch sind, die auch im Rahmen des Infektionsschutzes nötig sind, und vor Ort nachschauen können, vergeht Zeit“.
Laumann drohte am Sonntag einen noch schärferen Kurs der Politik gegen die Fleischindustrie an. Mit der Fleischwirtschaft könne es „keine freiwilligen Vereinbarungen geben, sondern nur klare gesetzliche Vorgaben, egal wer der Besitzer ist.“ Er forderte dabei mehr Transparenz der Unternehmen vor allem bei Meldepflichten und der Arbeitszeiterfassung. Tönnies habe bis zuletzt die Einführung einer digitalen Zeiterfassung abgelehnt, kritisierte er. (dpa/run)