Leitartikel

Das Masernproblem wird ausgesessen

In Deutschland erkranken zu viele Menschen an Masern. Das Ziel, die Infektionskrankheit hierzulande bis 2015 auszurotten, wird verfehlt. Eine Kommission deckt auf, warum es nicht klappt.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Masern: Besonders bei Jugendlichen gibt es große Impflücken.

Masern: Besonders bei Jugendlichen gibt es große Impflücken.

© CDC / American Academy of Pediatrics

BERLIN. Die Maserninzidenz in Deutschland ist in diesem Jahr deutlich zurückgegangen: 310 Erkrankungen wurden bis Anfang Dezember beim Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet und damit weniger als ein Fünftel der 1778 Erkrankungen, die im Jahr 2013 beim RKI registriert worden waren.

Somit ist der Ausbruch des Vorjahres offenbar weitgehend abgeklungen. Die Abnahme der Erkrankungen ist trotzdem kein großer Grund zur Freude: Das Ziel, Masern (und Röteln) bis zum Jahr 2015 in Deutschland zu eliminieren, ist erneut in weite Ferne gerückt.

Zu der Elimination hat sich Deutschland immer wieder bekannt. Diese ist aber erst dann erreicht, wenn keinerlei endemische Masern- oder Rötelnfälle über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren aufgetreten sind. Als Indikator dafür gilt eine bundesweite Inzidenz von unter einem Fall pro einer Million Einwohner.

Die Grenze liegt bei 80 Erkrankungen im Jahr. Eine solche niedrige Zahl ist in Deutschland aber noch nie erreicht worden. Das WHO-Ziel für 2015 muss daher erneut verschoben werden.

Ursachen für die Misserfolge sind mangelhafte Impfraten und eine unzureichende Surveillance der Erkrankungen. Zu konkreten bundesweiten Maßnahmen für eine Verbesserung hat man sich in unserem föderalen Gesundheitssystem mit ausgesprochen zersplitterten Zuständigkeiten auch nach drei nationalen Impfkonferenzen und mit einem nationalen Impfplan nicht einigen können.

Vor zwei Jahren hat deshalb das Bundesgesundheitsministerium die Nationale Verifizierungskommission Masern/ Röteln (NAVKO) installiert, um den Eliminationsprozess zu begleiten und unter Berücksichtigung der WHO-Zielkriterien und Indikatoren zu bewerten.

Diese Kommission unter Vorsitz von Professor Oliver Razum von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld hat im September ihren Bericht über Maßnahmen 2013 an die WHO veröffentlicht (www.rki.de).

Impflücken bei Jugendlichen und Erwachsenen

Viele der bisher bereits angesprochenen Schwachstellen werden darin kritisiert. So erfolgt bei Kindern die Masern-Mumps-Röteln (MMR)-Impfung oft zu spät: Bundesweit seien laut KV-Impfsurveillance im Jahr 2012 nur 71 Prozent der Zweijährigen zweimal gegen Masern und Röteln geimpft gewesen, so die Kommission.

Erst bei ABC-Schützen liegt die bundesweite Impfquote bei 92 Prozent und damit immer noch unter den bei den Zweijährigen angestrebten 95 Prozent. Darüber hinaus gibt es große Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Vergangenes Jahr und auch davor gab es aber keine bundes- oder landesweiten Impfaktionen für ungenügend geschützte Bevölkerungsgruppen (Supplemental immunization activities, SIA).

Daten zu Masern sind zudem lückenhaft oder werden nicht erfasst. Je nach Altersgruppe meldeten Ärzte schätzungsweise mehr als 50 Prozent der Masernfälle nicht, kritisiert die NAVKO. Zudem werden Masern-Ausbrüche bundesweit nicht systematisch erfasst, und es wird nicht eruiert, wie viele der zuständigen Behörden - wie gefordert - binnen 48 Stunden adäquat reagieren.

Auch die Maßnahmen bei Ausbrüchen auf regionaler und kommunaler Ebene in einigen Bundesländern haben die Transmission weder schnell unterbrochen noch die Fallzahlen schnell gesenkt.

Zudem fehlen repräsentative Daten zur Immunitätslage von schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen sowie von Beschäftigten im Gesundheitsdienst, insbesondere von niedergelassenen Ärzten.

Einstellung der Ärzte zu Masern unbekannt

Weiter ist die Labordiagnostik verbesserungsbedürftig. So liegt nach Angaben der Kommission der Anteil laborbestätigter Fälle bei den Röteln weit unter 80 Prozent. Nur knapp ein Prozent der Masernfälle wurden im vergangenen Jahr typisiert.

Nur bei rund einem Drittel von insgesamt 218 Masernausbrüchen im Jahr 2013 gab es für mindestens einen Fall einen Virusnachweis (PCR und/oder Genotypisierung) - gefordert sind aber 80 Prozent.

Auch fehlt das Wissen über die Einstellung von Ärzten und anderen im Gesundheitsdienst Tätigen zu den Risiken der Erkrankung, zum Eliminationsziel und zu den MMR-Impfungen bei sich selbst und bei ihren Patientinnen. Diese Daten sollten nach Einschätzung der Kommission möglichst zeitnah erhoben werden.

Insgesamt stellt die NAVKO den Akteuren im Gesundheitswesen ein verheerendes Zeugnis für das vergangene Jahr aus.

Das Fazit der Kommissionsmitglieder: "Aufgrund der vorliegenden Daten ließ sich nicht feststellen, dass das bestehende nationale gesundheitspolitische Bekenntnis zur Elimination der Masern und Röteln allgemein zu konzertierten Maßnahmen geführt hätte, die nachweislich auf Bundesebene zu einer Verbesserung der epidemiologischen Lage führen." Dem ist nichts hinzuzufügen.

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