Herzmedizin
Der mühsame Weg vom Zählen zum Handeln
Der aktuelle Deutsche Herzbericht belegt einmal mehr die hohen Standards bei der Versorgung von Herzpatienten in Deutschland. Doch auch die Politik muss ihre Hausaufgaben machen. Sie tut das nur teilweise.
Veröffentlicht:BERLIN. Echte Überraschungen bietet der nunmehr 26. Deutsche Herzbericht in diesem Jahr nicht.
Wie in den Vorjahren haben die drei beteiligten Fachgesellschaften, die Deutschen Gesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) gemeinsam mit der Deutschen Herzstiftung in mühsamer Kleinarbeit ein detailliertes Panorama der Versorgung von Herzpatienten in Deutschland erstellt.
Diese Mühe macht sich in diesem Umfang keine andere Disziplin.
Ein Hotspot für die technisierte Kardiologie
Deutschland bleibt, das darf man sagen, einer der globalen Hotspots für die technisierte Kardiologie. Während die Neigung zu Koronarangiografien und perkutanen Interventionen (PCI) in vielen Industrienationen etwas zurückgegangen ist, ist davon in Deutschland nach wie vor wenig zu erkennen.
Der Herzbericht spricht auf Basis der AQUA-Daten von konstanten Zahlen. Tatsächlich scheinen sowohl Angiografien als auch PCI aber eher noch zuzunehmen.
Die Hochrechnung unter Einbeziehung ambulanter und privatärztlicher Patienten geht für 2013 von 885.131 Koronarangiografien und 342.749 PCI aus. Das sind gut 3 Prozent beziehungsweise etwa 2 Prozent mehr als 2012.
Vorne liegt Deutschland auch bei den kardialen Implantaten. Laut Herzbericht wurden im Jahr 2013 rund 107.000 Schrittmacher und rund 47.000 ICD- beziehungsweise CRT-Geräte implantiert. Das ist ähnlich viel wie im Vorjahr.
Interessant ist der Vergleich mit anderen Ländern. In Deutschland werden pro eine Million Einwohner und Jahr jährlich 348 ICD-/CRT-Systeme neu implantiert. Das ist knapp dreimal so viel wie in Schweden oder in der Schweiz.
Bei den Herzschrittmachern sind es 947 in Deutschland, 708 in Schweden und 566 in der Schweiz. Diese Unterschiede lassen sich nicht durch unterschiedliche Demografie oder unterschiedliches ökonomisches Leistungsvermögen erklären.
Es liegt aber auch nicht zwangsläufig eine Überversorgung vor. So liegt die Quote leitliniengerecht implantierter Schrittmachern seit Jahren über 96 Prozent. Bei den ICD-/CRT-Systemen stieg der Anteil von 77,6 Prozent im Jahr 2010 auf zuletzt 93,6 Prozent.
Es wird in Deutschland also zumindest nicht an den Leitlinien vorbei implantiert.
TAVI ein großes Thema
Der Deutsche Herzbericht gibt traditionell immer auch Anlass, über Versorgungsstrukturen und politische Handlungsdefizite zu diskutieren und damit über die Frage, ob nicht nur die Fachgesellschaften, sondern auch die Gesundheitspolitiker ihre Hausaufgaben machen.
In diesem Jahr betrifft das vor allem zwei Themen: die Versorgung von Kindern beziehungsweise Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und die transvaskuläre Aortenklappenimplantation (TAVI).
In Sachen TAVI hat die Politik insofern gehandelt, als wenige Tage vor der Veröffentlichung des Herzberichts 2014 der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) seinen lange erwarteten TAVI-Beschluss gefasst hat. Ab Juni 2016 soll eine TAVI nur noch in Einrichtungen erstattet werden, die über eine bettenführende Herzchirurgie verfügen.
International ist das so üblich, insofern ist zumindest die DGTHG mit der GBA-Entscheidung zufrieden. DGTHG-Präsident Professor Jochen Cremer betonte, dass derzeit lediglich etwa 5 Prozent aller TAVI-Prozeduren in Einrichtungen ohne bettenführende Herzchirurgie erfolgen: "Für eine flächendeckende Versorgung ist das nicht nötig."
Für die DGK äußerte sich DGK-Präsident Professor Christian Hamm dagegen "ein bisschen enttäuscht". Eine bettenführende Herzchirurgie als alleiniges Qualitätskriterium hält die Gesellschaft für zu kurz gesprungen.
Sie hat kürzlich selbst Qualitätskriterien formuliert, die in Teilen strenger sind als der GBA-Beschluss, allerdings nicht zwingend eine bettenführende Herzchirurgie verlangen.
Anders als bei der TAVI herrscht beim Thema angeborene Herzfehler politische Apathie. Die Versorgung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern ist eine große Erfolgsgeschichte: Die Sterbeziffer ist laut Herzbericht seit den 80er Jahren von etwa 2 auf 0,6 pro 100.000 Bevölkerung gesunken.
Die erfreuliche Folge: Es gibt mittlerweile (geschätzt) rund 200.000 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). Für diese Patienten wurden in den letzten Jahren 15 überregionale EMAH-Zentren aufgebaut, und 268 Ärzte wurden in gemeinsamer Anstrengung von Kardiologen und Kinderkardiologen für die Versorgung dieser Patienten zertifiziert.
Diskussionen um die Kardio-MRT
Auch politisch gab es dafür Beifall. Das war es dann aber auch. Während Erwachsenenkardiologen auch ohne EMAH-Kenntnisse die Behandlung abrechnen dürfen, müssen Kinderkardiologen, die die Mehrheit der zertifizierten EMAH-Ärzte stellen, auf den guten Willen einzelner KVen und Krankenkassen hoffen oder sich vor Gericht streiten.
"Von 191 zertifizierten Kinderkardiologen können derzeit höchstens 30 bis 40 liquidieren", so DGPK-Präsidentin Professor Brigitte Stiller.
Die EMAH-Versorgung ist nicht das einzige Thema, bei dem eine bessere Versorgung von Herzpatienten nur gegen Widerstände möglich ist. Im Erwachsenenbereich gibt es um die kardiale MRT seit Jahren ähnliche Diskussionen.
Die Kardio-MRT kann dazu beitragen, die Zahl der diagnostischen Linksherzkatheter zu reduzieren. Doch Geld gibt es nur für "mehr Herzkatheter", nicht für "weniger".
Es ist deswegen nachvollziehbar, wenn bei einigen Kardiologen und Kinderkardiologen der Eindruck herrscht, dass sich Engagement für Qualität im deutschen Gesundheitswesen nicht immer lohnt.
Das ist nicht gut, und der Herzbericht ist eine gute Gelegenheit, daran zu erinnern.