Mehnert-Kolumne
Diabetes-Halbwahrheiten, die Dritte
Viele Vorurteile bei Diabetes halten sich hartnäckig. Weitere dieser falschen Vorstellungen werden hier in einem dritten und letzten Teil einer kleinen Serie richtiggestellt.
"Insulin fördert kardiovaskuläre Komplikationen."
Das ist falsch: In der ORIGIN- sowie der ORIGINALEFolgestudie gab es bei Therapie mit Insulin glargin keine vermehrten Herzinfarkte, Schlaganfälle oder andere kardiovaskulären Ereignisse.
Prof. Hellmut Mehnert
Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.
Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.
Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.
"Bei Normalinsulin braucht man keinen Insulin-Eßabstand einzuhalten."
Das ist nicht richtig. Kurz wirkende Analoga sind die einzigen Insuline, die wirklich keinen Spritz-Eßabstand benötigen und die sogar nach dem Essen gespritzt werden können. Insulin glulisin ist am kürzesten wirksam, weil es kein Zink enthält, das die Wirkung verzögert.
"Beim diabetischen Koma mit seinem absoluten Insulinmangel benötigt man sofort höchste Dosen Insulin."
Das ist falsch: Es hat sich gezeigt, dass kleine "verzettelte" Dosen Insulin, vor allem aber eine reichliche und sofortige Ergänzung des Flüssigkeitsdefizits entscheidend bei diabetischem Koma sind. Kleine Dosen Insulin führen nämlich seltener zur Hypokaliämie als die übergroßen Mengen des Hormons, die früher gespritzt wurden.
"Eine Retinopathie tritt ausschließlich oder bevorzugt bei Patienten mit Typ-1-Diabetes auf."
Diabetes-Experten sind sich einig darin, dass bei gleicher Laufzeit der Zuckerkrankheit und bei ähnlich guter oder schlechter Einstellung des Stoffwechsels die Häufigkeit der Retinopathie bei Typ-1- und bei Typ-2-Diabetikern annähernd gleich ist.
Es kommt lediglich zu graduellen Unterschieden: Die proliferierende Retinopathie tritt im Vergleich wesentlich häufiger bei Typ-1-Diabetes auf und die Makulopathie dominiert bei Patienten mit Typ-2-Diabetes.
"Insulin-spritzende Diabetiker dürfen wegen der Hypoglykämiegefahr kein Auto fahren."
Auch die neuesten Richtlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft betonen, dass alle Diabetiker einen Pkw führen können, wenn eine gute Einstellung garantiert ist. Die vorangehenden Schulungsmaßnahmen sollte man sich von den Patienten aber schriftlich bestätigen lassen.
Studien haben gezeigt, dass Diabetiker seltener oder kaum mehr Unfälle verursachen als Nicht-Diabetiker. Dies mag der besonderen Vorsicht der Patienten zuzuschreiben sein, die natürlich um das Risiko der Hypoglykämie wissen, eine Situation, die sie aber durch entsprechende Maßnahmen (Mitführen von Kohlenhydraten, rechtzeitige wiederholte Blutzuckerselbstkontrollen) verhindern können.
"Diabetiker sollen keine Berufe ergreifen, die wie Bäcker, Konditor, Koch oder Metzger mit einer vermehrten Nahrungszufuhr einhergehen können."
Normalgewichtige Bäcker und Metzger beweisen das Gegenteil: Bei entsprechender Essdisziplin ist es natürlich möglich, auch diese Berufe bei Diabetes-Erkrankung auszuüben. Sollte man aber eine solche Berufswahl empfehlen, wenn der Diabetes bereits in der Jugend auftritt? Nach Rücksprache mit einem Betroffenen hängt ein Rat dafür von der bisher gezeigten Kooperationsbereitschaft ab.
"Die Grippe-Impfung ist bei Diabetes wenig wirksam und lohnt sich nicht."
Infektionen verlaufen bei Diabetikern häufig schwerer als bei Nicht-Diabetikern. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt daher allen Zuckerkranken die jährliche Impfung gegen Influenza.
Der günstigste Zeitraum dafür ist Oktober bis November. Ebenfalls sollten alle Diabetiker gegen Pneumokokken-Infektionen geimpft werden. Beide Impfungen sind bei einem Termin möglich. Die Impfungen wirken bei Diabetikern ähnlich gut wie bei Nicht-Diabetikern.
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