Lebersche kongenitale Amaurose
Drei Zentren bieten Gentherapie bei erblicher Netzhautdystrophie
Viele Erblindungen gehen auf seltene Netzhautleiden zurück, auch bei Kindern und Jugendlichen. Gegen Lebersche kongenitale Amaurose hilft inzwischen eine wirksame Gentherapie.
Veröffentlicht:
Kleiner Junge beim Augenarzt: Bei erblichen Netzhauterkrankungen können schon Kleinkinder erhebliche Seheinbußen haben.
© jyleken / stock.adobe.com
München. Moderne Gentherapien lassen hoffen, Menschen mit erblichen Augenerkrankungen künftig vor dem Erblinden bewahren zu können. Bei Leberscher kongenitaler Amaurose (LCA), einer Sonderform der Retinitis pigmentosa (RP), bei der schon Kleinkinder erhebliche Seheinbußen erleiden, ist seit 2018 eine solche Therapie verfügbar.
Professor Frank Holz, Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn, nennt das einen „Durchbruch“. Denn die LCA, eine autosomal-rezessiv vererbte Netzhautdystrophie, war „bis vor Kurzem absolut unheilbar.“
Mikrochirurgischer Eingriff in Vollnarkose
Um den Wirkstoff Voretigene neparvovec zum Zielort zu bringen, erfolgt einmal ein mikrochirurgischer Eingriff, in der Regel in Vollnarkose. „Man geht durch winzigste Öffnungen am Rande der Hornhaut in das Augeninnere hinein“, erläuterte Holz bei einer Pressekonferenz der Stiftung Auge.
Nach Glaskörperentfernung werden 300 μl des Medikaments durch Feinpunktion unter die Netzhaut gespritzt. Das alles dauert rund 30 Minuten. Eine perioperative Glukokortikoidgabe soll Entzündungsphänomenen vorbeugen, wie sie in den Zulassungsstudien bei wenigen Patienten auftraten. Holz hat solche Immunreaktionen bei seinen zwölf Patienten – den meisten der bisher in Deutschland operierten – unter der Prophylaxe nicht beobachtet, auch keine unerwünschten Wirkungen oder Komplikationen.
In Deutschland bieten die Universitäts-Augenkliniken in Bonn, München und Tübingen den Eingriff an. „Die jüngsten Kinder sind im Moment etwa drei bis vier Jahre alt.“ Der ideale Op-Zeitpunkt sei unklar. „Auf keinen Fall wäre abzuwarten, bis die gesamte Netzhaut degeneriert ist.“ Das ergebe keinen Sinn mehr. Postoperativ könnten sich die meisten Patienten vor allem in schlechten Lichtverhältnissen wieder wesentlich besser orientieren. Das zeigte sich auch in den Zulassungsstudien auf einem Parcours mit unterschiedlicher Beleuchtung.
Wenige hundert LCA-Patienten in Deutschland
Präoperativ ist eine gründliche klinische und molekulargenetische Diagnostik nötig. Die Ursache der seltenen LCA – in Deutschland wird von wenigen hundert Patienten ausgegangen – ist ein Defekt im Gen RPE65. Sein Genprodukt wird für die Regeneration des Sehpigments im Pigmentepithel der Netzhaut benötigt.
Die funktionelle Störung schränkt Sehschärfe und Farbensehen oft schon ab Geburt stark ein. „Ganz typisch fällt bei den Kindern auf, dass sie bei schlechtem Licht, in Dunkelheit, extrem schlecht zurechtkommen“, so Holz. Eltern bemerkten, dass dann etwa das Greifen nach Objekten nicht funktioniert. Mögliche Begleitsymptome sind Schielen, Nystagmus und Katarakt.
Durch die Gentherapie – der Wirkstoff enthält intakte RPE65-Genkopien, die über einen Virusvektor eingebracht werden – können die defekten Netzhautzellen ihre Funktion wiedererlangen. Mindestens vier Jahre hält der Effekt an – solange wurden Patienten bisher nachbeobachtet. Die Zulassung ist an ein Follow-up über 15 Jahre gebunden. „Die Hoffnung ist, dass mit diesem einmaligen Eingriff für immer das neue, richtige Gen abgelesen wird, und es mit der Zeit in der Wirksamkeit nicht nachlässt.“
Die allein mit 600.000 Euro Medikamentenkosten für beide Augen sehr teure Behandlung übernehmen die Krankenkassen.
Ansatz bei anderen Indikationen?
Holz sieht jetzt die Tür offen für andere Indikationen: „Dieser Ansatz funktioniert.“ Klinische Studien mit Gentherapien laufen auch für andere Netzhauterkrankungen und weitere RP-Formen. Insgesamt seien bei Netzhautdegenerationen über 250 Gene und Gendefekte bekannt, die zur Erblindung führen können. Für Patienten mit Interesse an einer Studienteilnahme sei die Patientenvereinigung „Pro Retina“ eine gute Informationsquelle.
Potenzial sieht der Ophthalmologe auch bei der altersabhängigen Maculadegeneration (AMD), der häufigsten Netzhauterkrankung weltweit. „Tatsächlich finden sich schon sieben klinische Studien dahingehend in der Durchführung.“ Gegenwärtige AMD-Therapeutika müssen noch über Jahre regelmäßig intraokulär injiziert werden.