Ketamin

Ein Anästhetikum zur Behandlung bei schweren Depressionen?

Ketamin – einst als Anästhetikum entwickelt – hat sich in mehreren Studien bei Patienten mit therapieresistenten Depressionen bewährt. Doch: Für Euphorie ist es noch zu früh.

Anne BäurleVon Anne Bäurle Veröffentlicht:
Das erstmals 1962 synthetisierte Ketamin wird als Anästhetikum eingesetzt.

Das erstmals 1962 synthetisierte Ketamin wird als Anästhetikum eingesetzt.

© PYMCA/Photoshot/dpa

Eigentlich war der US-amerikanische Chemiker Calvin Stevens im Jahr 1962 auf der Suche nach einem Ersatz für das Anästhetikum Phencyclidin, das wegen starker unerwünschter Wirkungen in der Praxis nicht eingesetzt werden konnte. Und tatsächlich synthetisierte er mit Ketamin auch ein solches Derivat, das bis heute als Narkosemittel verwendet wird.

Allerdings erfreut sich Ketamin wegen seiner dissoziativen Wirkung inzwischen auch bei Feierfreudigen als Partydroge ("Special K") großer Beliebtheit.

Doch nicht nur das: Mittlerweile scheint sich für die Substanz ein ganz neues Anwendungsfeld aufzutun. Seit einigen Jahren gehen Forscher der Frage nach, ob sich Ketamin wegen seiner sedierenden Wirkung zur Behandlung von Patienten mit Depressionen eignet.

Überraschende Entdeckung als Antidepressivum

Der antidepressiven Wirkung des Ketamins kam dabei als Erster Professor John Krystal auf die Spur. Eigentlich untersuchte er in den 1990er Jahren am Connecticut Mental Health Center in New Haven die Ursachen einer Schizophrenie und hatte dabei den Neurotransmitter Glutamat im Blick.

In seinen Untersuchungen setzte er auch Ketamin ein, das – nach der damals gängigen Meinung – den NMDA-Rezeptor (einer von drei Typen ionotroper Glutamat-Rezeptoren) blockieren sollte.

Dabei stellte er zu seiner Überraschung fest, dass sich bei vielen seiner Patienten dadurch depressive Stimmungen besserten – der Beginn der Erforschung des Ketamins als Antidepressivum. Bis heute belegen mehrere Studien den antidepressiven Effekt.

So reduzierten sich in einer US-Studie mit 16 bipolaren Patienten mit schweren Depressionen die Symptome bei neun von ihnen nach intravenöser Gabe von Ketamin-Hydrochlorid (0,5 mg/kg) schon nach 40 Minuten. Zwei berichteten sogar von einem beinahe vollständigen Verschwinden der Symptome.

Lange Wirkung in mehreren Studien erkannt

Im Durchschnitt hatten bei den Studienteilnehmern zuvor ganze sieben Antidepressiva keine Wirkung erreicht (Arch Gen Psych 2010; 67(8):793-802). Die Wirkung hielt dabei durchschnittlich eine Woche an. Bei keinem der Patienten, die Placebo erhalten hatten, hätten sich die Symptome in ähnlicher Weise gebessert wie bei den Patienten, die Ketamin erhalten hatten, schreiben die Studienautoren.

Eine etwas aktuellere, über 28 Tage laufende Studie aus dem Jahr 2013 bestätigt die Daten (J Palliat Med 2013; 16(8):958-65). Nachdem die Patienten einmal täglich – diesmal allerdings oral – 0,5 mg/kg Ketamin-Hydrochlorid erhalten hatten, besserten sich nach der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) die Depressionssymptome ab dem dritten Tag, wobei der Effekt erst ab Tag 14 signifikant war.

Bereits ab Tag 3 besserten sich dagegen die Angstsymptome signifikant. Dies blieb bis zum Ende der Studie an Tag 28 so. Allerdings hat auch diese Studie mit nur acht Patienten, die die Studie beendeten, eine recht geringe Zahl von Teilnehmern. Dennoch sprechen die Ergebnisse für die Wirkung von Ketamin als Antidepressivum.

Die Wirkweise war lange unbekannt

Worauf diese Wirkung genau beruht, darüber war bisher nicht allzu viel bekannt. Bis vor Kurzem glaubten Wissenschaftler, wie bereits erwähnt, Ketamin blockiere im Gehirn den NMDA-Rezeptor, dem eine Funktion bei der Bildung von Gedächtnisinhalten zugeschrieben wurde.

Wie das allerdings Depressionen lindern kann, blieb ein Rätsel. Hinzu kam die Tatsache, dass eine Reihe anderer NMDA-Rezeptor-Hemmer keine antidepressive Wirkung haben.

Einen Erklärungsansatz lieferte 2016 eine Studie von Panos Zanos von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore (Nature 2016; 533:481–486). Zanos und sein Team stellten fest, dass nicht das Ketamin selbst für die antidepressive Wirkung verantwortlich ist, sondern ein Metabolit des Ketamins – das (2R,6R)-Hydroxynorketamin.

Die Wirkung dieses Metaboliten wiederum basiert nicht auf einer Blockade des NMDA-Rezeptors, sondern vielmehr in einer schnellen Aktivierung des AMPA-Rezeptors, einer zweiten Gruppe der ionotropen Glutamat-Rezeptoren.

Als die Forscher den AMPA-Rezeptor mit bestimmten Molekülen blockierten, besserten sich bei den Versuchstieren trotz Gabe von (2R,6R)-Hydroxynorketamin die depressiven Symptome nicht.

Ein weiter Weg vor den Forschern

Könnte Ketamin also tatsächlich eine neue Behandlungsoption bei Depressionen sein? Einem Therapiefeld, in dem die bislang wirksamste Behandlung bei schweren, therapieresistenten Depressionen in einer Elektrokrampftherapie oder einer Vagusnerv-Stimulation besteht?

Zwar sehen die Forschungsergebnisse bis dato gut aus, allerdings liegt vor den Forschern noch ein weiter Weg. Zum Beispiel haben sich bisher nur wenige Studien mit den unerwünschten Wirkungen befasst.

So fanden Dr. Colleen Loo und ihre Kollegen vom Black Dog Institute an der University of New South Wales, Australien, in den letzten 20 Jahre nur wenige Studien, die sich mit den Nebenwirkungen beschäftigten – und insgesamt ganze 15 beschriebene Fälle, bei denen ein mögliches Suchtpotenzial von Ketamin bei mehrmaligem Konsum analysiert wurde (Lancet Psych 2017; online 27. Juli).

Die häufigsten Langzeitfolgen waren dabei Blasenentzündungen, Leberschäden, Gedächtnisverlust, heftiges Verlangen bis hin zur Sucht. "Da bei schwer Depressiven eine Ketamin-Therapie ja wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum läuft und eine mehrfache Gabe impliziert, ist es unerlässlich, herauszufinden, ob die potenziell unerwünschten Wirkungen die positive Wirkung überwiegen", schreiben die Autoren um Loo.

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