COPD-Therapie
"Ein großer Schritt nach vorne"
Die COPD-Therapie ist heute viel besser, als sie vor 20 Jahren war, sagt Professor Claus Vogelmeier, Marburg, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Für die bronchodilatierende Therapie bei COPD stehen heute gleich mehrere LAMA und LABA zur Verfügung. Gibt es Gründe, die Behandlung mit der einen oder anderen Substanzklasse anzufangen?
Professor Claus Vogelmeier: Aus meiner Sicht gibt es eine gewisse Präferenz für die lang wirksamen Anticholinergika, die sogenannten LAMA. In zwei großen randomisierten Studien war jeweils das LAMA dem LABA, also dem lang wirksamen Betamimetikum, bezüglich der Prävention von Exazerbationen überlegen.
Professor Claus Vogelmeier
Aktuelle Position: Direktor der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg
Werdegang: 1982 Approbation; 1984 Promotion; Weiterbildung zum Internisten an der LMU München; 1998-2001: Leiter des Schwerpunkts Pneumologie an der LMU München
Engagement: 2009-2011 Präsident der DGP, im Vorstand der Atemwegsliga, im wissenschaftlichen Komitee von GOLD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease)
Da diese Studien mit zwei verschiedenen Wirkstoffen durchgeführt wurden, ist anzunehmen, dass es sich nicht um einen substanzspezifischen Effekt handelt. Damit hat man ein Argument, primär ein LAMA einzusetzen.
Wann ist eine Therapieeskalation von einer Mono- zu einer dualen Therapie angezeigt?
Vogelmeier: Bei therapienaiven, neu diagnostizierten Patienten, die keine hochgradige Symptomatik und keine besondere Exazerbationsanamnese haben, kann man die Behandlung nach meiner Meinung mit einer Einzelsubstanz beginnen. Ich würde dann eskalieren, wenn die Patienten darunter nicht stabil genug werden.
Bei Patienten, die deutliche Symptome zeigen oder eine signifikante Exazerbationshistorie aufweisen, würde ich gleich mit einer Kombination anfangen. Das sind Patienten, wie sie an den Studien mit dualen Bronchodilatatoren teilgenommen haben.
Welcher Zusatznutzen ist für die zweifache Bronchodilatation dokumentiert?
Vogelmeier: Bei der Lungenfunktion war sie in allen Studien den jeweiligen Monotherapien überlegen. Bei den patientenzentrierten Outcomes war die duale Therapie dann eindeutig im Vorteil, wenn es sich um primäre Studienendpunkte handelte; hier wurde ein Zusatznutzen zum Beispiel bezüglich Atemnot und Exazerbationen belegt.
Wenn patientenzentrierte Parameter als sekundäre Endpunkte untersucht wurden, war das Ergebnis nicht so klar. Die Effekte waren auch nicht in allen Studien gleich ausgeprägt. Aber cum grano salis ist die Überlegenheit gezeigt.
Erhöht die duale Therapie das Risiko für Nebenwirkungen?
Vogelmeier: Das ist die gute Nachricht: Es gab in keiner Studie ein Sicherheitssignal, insbesondere keine Zunahme von kardiovaskulären Ereignissen oder Rhythmusstörungen. Man muss also keine höhergradigen Probleme befürchten.
Wonach kann die Auswahl eines bestimmten LAMA oder LABA ausgerichtet werden?
Vogelmeier: Der wesentliche Unterschied zwischen den Substanzen ist die Pharmakokinetik. Es gibt solche, die 24 Stunden wirken und nur einmal täglich angewendet werden, und solche mit zwölfstündiger Wirkung und zweimal täglicher Inhalation.
Ich mache die Auswahl primär von zwei Dingen abhängig: Zum einen, wenn der Patient mir erzählt, dass er in den Abendstunden immer wieder Symptome hat, dann gebe ich gerne ein zweimal täglich zu inhalierendes Medikament. Bei den anderen würde ich typischerweise eine Einmal-täglich-Substanz wählen.
Der zweite wichtige Punkt ist: Wie kommt der Patient mit bestimmten Devices zurecht? Das ist im Zusammenhang mit der COPD ein ganz entscheidendes Problem. Wir brauchen eine Interaktion zwischen Patient und System, die so gut ist, dass das Medikament verlässlich in adäquater Dosis appliziert wird.
Über den Nutzen von inhalativen Kortikosteroiden (ICS) wird spätestens seit der FLAME-Studie heftig diskutiert. Wie ist heute ihr Stellenwert in der COPD-Therapie?
Vogelmeier: Man muss sich überlegen, wo die inhalierbaren Steroide herkommen. Über 10 bis 15 Jahre hinweg hat sich aus Studien die Einsicht entwickelt, dass ICS in Kombination mit LABA in einer Reihe von Endpunkten den Einzelsubstanzen überlegen sind.
Bis vor relativ kurzer Zeit galt daher das Dogma: Bei höhergradiger Exazerbationsanamnese setzt man Therapieregime ein, die ein inhalierbares Kortikosteroid enthalten. Und dann kam die FLAME-Studie.
An der Studie haben genau solche Patienten teilgenommen, mit schlechter Lungenfunktion, deutlicher Symptomatik und mindestens einer Exazerbation im Vorjahr. Sie erhielten entweder eine steroidhaltige Therapie oder eine steroidfreie Therapie, und die steroidfreie hat sich in der Exazerbationsprophylaxe als überlegen erwiesen.
Das heißt für mich, dass ich beim typischen COPD-Patienten primär eine reine Bronchodilatatorentherapie mache. Erst wenn eine LAMA/ LABA-Therapie zur Exazerbationsprophylaxe nicht ausreicht, wäre für mich der nächste Schritt die Hinzunahme eines ICS.
Es gibt für mich aber Ausnahmen: Das sind Patienten mit deutlicher Eosinophilie, Symptomen vor dem 40. Lebensjahr und begleitendem Asthma. Diese Patienten wurden alle in FLAME nicht untersucht. Bei denen kann es sinnvoll sein, primär mit einem ICS zu beginnen.
Wir gut gesichert ist die Eosinophilie als Kriterium für die ICS-Therapie?
Vogelmeier: Nahezu alle Daten dazu stammen aus Post-hoc-Analysen mit unterschiedlichen Substanzen und unterschiedlichen Grenzwerten. Eine faire Aussage ist: Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen einer Eosinophilie und der Wahrscheinlichkeit, dass ein ICS wirkt. Aber wir haben noch keine belastbaren Grenzwerte.
Wie groß schätzen Sie den Anteil der COPD-Patienten, der ICS erhalten sollte?
Vogelmeier: Das ist die Gretchenfrage. Wenn man davon ausgeht, dass eine klassische COPD primär mit Bronchodilatatoren behandelt wird und ICS nur dann hinzukommen, wenn die Patienten damit nicht exazerbationsfrei sind oder wenn die Patienten keine reine COPD-Diagnose haben, dann sind das nach meiner Einschätzung 10 bis maximal 20 Prozent. Aber nicht wie jetzt die Hälfte der COPD-Patienten.
Wie kommt es zu der Übertherapie?
Vogelmeier: Es hat vermutlich damit zu tun, dass nur ein Teil der Patienten von Spezialisten behandelt wird, was dazu führt, dass die Diagnose oft nicht so klar ist. Wenn die Kollegen unsicher sind, ob es sich um eine COPD oder ein Asthma handelt, so meine Vermutung, entscheiden sie sich in dubio für ein Medikament, das in beiden Fällen Wirkung zeigt.
Was spricht dagegen?
Vogelmeier: Dagegen spricht in erster Linie, dass die Therapie mit inhalierbaren Steroiden potenziell mit Nebenwirkungen verbunden ist. Besonders zu nennen ist die Möglichkeit der Entwicklung einer Pneumonie. Weiter spricht die FLAME-Studie dafür, dass eine LABA/LAMA-Kombination wirksamer sein kann als eine LABA/ICS-Kombination.
Kann man ein nicht indiziertes ICS einfach absetzen?
Vogelmeier: Dazu gibt es eine Reihe von Studien. In der WISDOM-Studie mit Patienten unter einer Tripletherapie hat man bei der Hälfte das ICS abgesetzt und hat in der Gesamtgruppe keine Steigerung der Exazerbationsrate gesehen.
Ich empfehle aber, die Patienten danach weiter zu beobachten, weil es sicher einzelne gibt, bei denen eine Exazerbation zu befürchten ist. Da sollte man möglichst nah dran sein, um nichts zu übersehen.
Gibt es außer der ICS-Übertherapie noch Verbesserungsbedarf bei der Pharmakotherapie von COPD-Patienten?
Vogelmeier: Die Therapie ist heute viel besser, als sie vor 20 Jahren war. Nach Tiotropium, dem ersten COPD-spezifischen Medikament, ist eine ganze Kaskade von Substanzen gefolgt. Jetzt haben wir die Fixkombination LABA/LAMA, die ersten Triplekombinationen werden im vierten Quartal 2017 in Deutschland verfügbar sein.
Wir haben heute ein großes Armamentarium, mit dem wir uns auf die Situation der Patienten einstellen können, im Hinblick auf Pharmakokinetik, Substanzen und Devices. Das ist ein großer Schritt nach vorne. Aber es gibt immer noch eine Menge sogenannter "unmet needs".
Welche sind das?
Vogelmeier: Wir müssen deutliche Fortschritte erzielen bei der nicht pharmakologischen Therapie: Erstens müssen wir die Patienten dazu bringen, dass sie ihre körperliche Aktivität steigern. Zu wenige Patienten kommen in adäquate Reha-Einrichtungen. Dazu brauchen wir mehr Lungensport, oder auch Apps für jüngere Patienten. Das halte ich für sehr wichtig.
Der zweite Punkt ist die Raucherentwöhnung: Die Raten sind nach wie vor schlecht, hier gibt es noch viel zu tun. In der medikamentösen Therapie gibt es noch eine Lücke bei der Entzündung in der Lunge, von der wir denken, dass sie im Krankheitsprozess eine entscheidende Rolle spielt. Die Entzündung können wir noch nicht so behandeln, wie wir möchten, hier brauchen wir noch spezifischere Medikamente.
Was können Hausärzte tun, damit die Pharmakotherapie für COPD-Patienten einen maximalen Nutzen hat?
Vogelmeier: Was Hausärzte besser können als Spezialisten ist, dass sie die Patienten früh diagnostizieren. Sie haben damit auch bessere Chancen, auf den Krankheitsverlauf Einfluss zu nehmen, indem sie frühzeitig an Prävention denken und eine Pharmakotherapie einleiten. Das ist zwar nicht bewiesen, aber die Hoffnung ist berechtigt.
Außerdem können Hausärzte von Anfang an auf eine Veränderung des Lebensstils hinwirken. Die Kombination von früher Diagnose, früher Prävention und Therapie und frühen Allgemeinmaßnahmen könnte sehr viel verbessern.