Ernst oder harmlos? Daten zu Schweinegrippe lassen beide Schlüsse zu
225 828 Infizierte durch das neue Schweinegrippe-Virus in Deutschland und 241 Tote scheinen auf eine relativ harmlose Erkrankung zu deuten. Der Blick sollte jedoch auch auf das Alter der Erkrankten und Gestorbenen gerichtet werden. Denn die sind weit jünger als bei üblichen saisonalen Influenzawellen. Endgültige Daten wird es jedoch erst im Herbst geben.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Im Frühjahr 2009 begann das neue H1N1-Virus um die Welt zu reisen und erreichte Anfang Mai auch Deutschland. Bis Mitte Oktober köchelte die Schweinegrippe auf niedrigem Niveau. Die Mehrzahl der Erkrankungen war bis dahin importiert.
Ab der 43. Kalenderwoche schoss die Inzidenz jedoch rapide nach oben und erreichte in der 47. Woche (Mitte November) mit über 45 000 gemeldeten Neuerkrankungen ihren nationalen Höhepunkt, so Professor Tom Schaberg vom Diakoniekrankenhaus Rotenburg zu H1N1-Daten vom Robert Koch-Institut (RKI). Zu diesem Zeitpunkt waren fast alle Infektionen autochthon.
Genauso schnell wie die Infektionsrate in Deutschland angeflutet war, ebbte sie auch wieder ab. Bereits in der 53. Kalenderwoche (28. Dezember bis 3. Januar) war wieder das Niveau der 42. Woche erreicht. Ob es im Frühjahr noch eine zweite autochthone Welle gibt, sei im Moment nicht zu sagen, so Schaberg bei einer Veranstaltung von GSK in München.
Insgesamt sind in Deutschland bisher 225 828 an Schweinegrippe Erkrankte registriert worden. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher sein, so der Pneumologe, zumal die Meldepflicht für Schweinegrippe ab Mitte November gelockert worden war und zudem von einer Vielzahl klinisch inapparenter Verläufe auszugehen ist.
Wie hoch die tatsächliche Durchseuchung ist, wäre aber auch in Hinblick auf die erworbene natürliche Herdenimmunität gegen H1N1 höchst wissenswert, sagte Professor Frank von Sonnenburg von der Uni München. Der Infektions- und Tropenmediziner mahnte dazu epidemiologische Untersuchungen an.
In Deutschland 241 Tote durch H1N1 nachgewiesen
In Deutschland sind bisher 241 Menschen infolge der Neuen Grippe gestorben. Die WHO nennt weltweit fast 16 000 Todesopfer, wobei in vielen Regionen der Erde von weit höheren Todeszahlen auszugehen ist. Im Vergleich zu Todesfallstatistiken saisonaler Grippeepidemien mutet die Mortalität der neuen Grippe als sehr gering an.
Dabei sei allerdings im Auge zu behalten, dass in die H1N1-Todesstatistik bislang nur nachgewiesene Infektionen eingehen, während die Todesraten saisonaler Grippewellen lediglich anhand der Exzessmortalität errechnet werden, so Schaberg. Zahlen zur H1N1-Exzessmortalität - also der Übersterblichkeit im Zeitraum der Viruszirkulation - wird es erst in der zweiten Jahreshälfte 2010 geben. Die Schweinegrippe könnte sich dann deutlich tödlicher darstellen als zurzeit angenommen, sagte Schaberg.
Wichtig zu berücksichtigen sei auch, dass infolge einer üblichen saisonalen Grippe überwiegend alte, multimorbide Menschen sterben. Die neue Grippe fordere dagegen überproportional bei jüngeren Menschen tödlichen Tribut, betonte Schaberg und verwies dazu auf Zahlen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) aus den USA: Demnach entfielen von landesweit 9820 Schweinegrippe-Toten des vergangenen Jahres 1090 auf die Altersgruppe der 0- bis 17-Jährigen, 7450 auf die 18 bis 64-Jährigen und nur 1280 auf 65-Jährige und Ältere.
H1N1 trifft Jüngere eher als saisonale Influenza-Erreger
In Deutschland weisen 35- bis 59-Jährige und unter Einjährige die höchsten H1N1-Sterberaten auf. Wie in den USA war auch in Deutschland ein Großteil der infolge der Schweinegrippe Verstorbenen mit Risikofaktoren vorbelastet. Viele dieser Risikofaktoren, etwa ein gut eingestelltes Asthma bronchiale, muten aber für sich betrachtet wenig bedrohlich an. Bemerkenswert sei, dass im Schatten der Schweinegrippe bislang praktisch keine übliche saisonale Influenza aufkeimte.
Wer bei uns seit Frühjahr 2009 eine echte Grippe hatte, hatte Schweinegrippe. Ob das ein zufälliges Ausbleiben der saisonalen Influenza ist oder ob und wie H1N1 andere Viren verdrängt hat, sind Fragen, auf die die Wissenschaft bislang keine Antworten hat.
Bisher unklar: Wie wirkten Impfungen auf Pandemie?
Und auch inwieweit die bisherigen Impfanstrengungen den Verlauf der Pandemie innerhalb einzelner Länder beeinflussen konnten, ist vorerst offen. Möglicherweise könnte hier ein künftiger Vergleich der H1N1-Infektionsraten, der Altersverteilung und der Mortalität zwischen Ländern mit sehr guter und eher schlechter Impfdisziplin einen Aufschluss geben, sagte Dr. Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen. In Schweden etwa ist weit über die Hälfte der Bevölkerung gegen Schweinegrippe geimpft, in Deutschland nur etwa jeder Zehnte.
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