Gewebeentwicklung
Forscher schauen Blutgefäßen beim Wachsen zu
Münsteraner Forscher haben ein Verfahren bei Zebrafischen entwickelt, mit dessen Hilfe sie Blutgefäßen beim Wachsen zusehen konnten. Damit erhoffen sie sich neue Erkenntnisse über Gefäßerkrankungen.
Veröffentlicht:MÜNSTER. Die Bildung der frühen embryonalen Blutgefäße erfolgt nach einem streng geordneten Muster: Die Anatomie der ersten großen Arterien und Venen ist nahezu identisch zwischen verschiedenen Individuen.
Zu späteren Zeitpunkten in der Entwicklung, aber auch während der Wundheilung, entstehen neue Arterien und Venen zumeist über einen Zwischenschritt. Hier bildet sich ein sogenannter vaskulärer Plexus.
Wie genau sich Arterien und Venen dann aus diesem Plexus bilden, war bislang weitestgehend unerforscht, da die Gewebe von Wirbeltieren meist undurchsichtig sind und deshalb Zellbewegungen nicht gefilmt werden konnten.
Blutgefäßbildung gefilmt
Dr. Arndt Siekmann und Kollegen vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin (MPI) haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sie die Blutgefäßbildung in erwachsenen Zebrafischen über mehr als einen Tag filmen konnten.
Dadurch entdeckten sie, dass der überwiegende Teil der sich neu bildenden Blutgefäße aus Venen aussprosst.
Laut der jetzt publizierten Studie (Nature Communications 2014; online 15. Dezember) schlugen einige Zellen aus diesem Verband einen Bogen und bewegten sich schließlich entgegen der allgemeinen Wachstumsrichtung. Interessanterweise bildeten diese Zellen neue Arterien.
"Zebrafische besitzen die bemerkenswerte Eigenschaft, dass sie amputierte Schwanzflossen regenerieren können. Hierbei wachsen im Zeitraum von circa drei Wochen sämtliche Gewebe und Zelltypen nach und bilden eine neue Schwanzflosse.
Da diese teilweise transparent ist, konnten wir verschiedene Gewebe mit Hilfe transgener Techniken mit fluoreszierenden Proteinen markieren und diese schließlich im Mikroskop sichtbar machen", wird Siekmann in einer Mitteilung der Universität Münster zitiert.
Die Forscher entwickelten zwei transgene Zebrafisch-Linien: In der einen leuchten die Kerne aller Blutgefäße in grün, während in der anderen Fischlinie selektiv die Arterien in rot markiert sind.
Auf Grundlage dieser transgenen Fische haben die Forscher ein bildgebendes Verfahren entwickelt, das es erlaubt, die Entstehung neuer Blutgefäße über einen Zeitraum von 24 Stunden während der Geweberegeneration zu beobachten.
Gewebeentwicklung im Zeitraffer
Hierbei wurden erwachsene Zebrafische betäubt und über ein Intubationssystem kontinuierlich mit Frischwasser versorgt.
Die Fische konnten dann mit einem konfokalen Mikroskop untersucht werden und es konnten Zeitrafferaufnahmen der Gewebeentwicklung durchgeführt werden.
Die Gefäßneubildung nach einer Schwanzflossenamputation erfolgt durch eine Art Plexus, in dem sich die zunächst unorganisiert angelegten Gefäße organisieren müssen. Der Plexus breitet sich zusammen mit dem neu gebildetem Flossengewebe aus.
In den einzigartigen Aufnahmen, die Siekmann und seine Kollegen machen konnten, zeigte sich jedoch: "Manche Zellen aus diesem Plexus kehren um und wandern entgegen der allgemeinen Wachstumsrichtung.
Durch eine molekulare Markierung konnten wir zeigen, dass gerade diese Zellen die späteren Arterien bilden", so Siekmann.
"Durch die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern von Professor Ralf Adams vom MPI konnten wir feststellen, dass dies auch in der Netzhaut von Mäuseaugen geschieht. Wir haben also wahrscheinlich ein allgemein auftretendes Phänomen der Gefäßneubildung entdeckt."
Diese "tip cells" bilden das Protein Cxcr4a. Cxcr4a ist ein Rezeptor für ein Chemokine.
Fehlt im Zebrafisch dieser Rezeptor, wie die Forscher durch eine gezielte Mutation bewirken konnten, wanderten die "tip cells" zwar aus den Venen heraus, änderten aber ihre Wanderungsrichtung nicht mehr.
Dies führte zur gestörten Morphogenese neu entstehender Arterien.
In Folgestudien möchte Siekmann untersuchen, welche genaue Wirkung der Chemokine-Rezeptor Cxcr4a in den "tip cells" hat und welche Zellen daran beteiligt sind, dass sich das Chemokine-Molekül, an das der Rezeptor bindet, im neuen Gewebe verteilen kann.
Die molekularen Prozesse, welche die Blutgefäßbildung während der Geweberegeneration in Zebrafischen kontrollieren, scheinen universal zu sein.
Die Erkenntnisse, die Siekmann und seine Mitarbeiter und Partner an der Universität Münster gewonnen haben, können daher zum besseren Verständnis von Erkrankungen des Gefäßsystems bei Menschen führen, zum Beispiel bei Shunts. (eb)