HIV-Infektion
Früher Therapiebeginn die beste Option?
Die Zeichen verdichten sich aufgrund der Ergebnisse mehrerer Studien, dass HIV-Infizierten der frühzeitige Beginn einer antiretroviralen Behandlung eher nützt, als schadet. Schon plant etwa die WHO entsprechende Anpassungen ihrer Leitlinien.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Es ist jetzt fast genau 20 Jahre her, dass der HIV-Spezialist Professor David D. Ho vom Aaron Diamond AIDS Research Center in New York konstatierte, es sei an der Zeit, HIV-Infizierte frühzeitig antiretroviral zu behandeln, nach dem Motto "Hit hard, hit early" (NEJM 1995; 333/7: 450).
Damals wurde die frühe Therapie HIV-Infizierter noch intensiv diskutiert, ohne auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Ho plädierte dafür, zu einem Zeitpunkt gegen HIV mit intensiver antiretroviraler Therapie vorzugehen, wenn das Virus sich noch nicht so stark vermehrt hat und nur wenige, möglicherweise resistente Virusvarianten existieren. Ho hatte damals bereits das sich vergrößernde Arsenal an HIV-Arzneien im Blick.
Antiretrovirale Therapie ist sicherer geworden
Doch unter anderem wegen starker unerwünschter Wirkungen der Arzneitherapie stellten viele HIV-Therapeuten in der Folge diese Strategie wieder infrage.
Zunächst wurde empfohlen, die Therapie erst dann zu beginnen, wenn das Immunsystem merklich geschwächt ist, also die CD4-Helferzellzahl unter 200/Mikroliter (µl) liegt.
Doch wurde die Behandlung mit antiretroviralen Substanzen in den vergangenen Jahren immer einfacher und sicherer, dieser Schwellenwert immer weiter erhöht und damit die Therapie asymptomatischer Patienten immer weiter nach vorne, also an einen Zeitpunkt nicht lange nach der Infektion verlegt.
Heute, mehr als 30 Jahre nach Beginn der Pandemie haben optimal behandelte HIV-Infizierte eine Lebenserwartung, die der der übrigen Bevölkerung sehr nahe kommt.
Dass eine antiretrovirale Behandlung HIV-Infizierter, die noch keine Symptome haben und deren Immunsystem mit einer CD4-Zellzahl über 500/µl noch nicht geschwächt ist, von Vorteil ist, belegen die Ergebnisse mehrerer aktueller Studien.
Darunter ist auch die vorzeitig beendete randomisierte START-Studie (Strategic Timing of Antiretroviral Treatment), die bei der 8. IAS Conference on HIV-Pathogenesis, Treatment & Prevention der Internationalen Aids-Gesellschaft in Vancouver in Kanada für Furore sorgte.
An der Studie hatten insgesamt 4685 HIV-Infizierte in 35 Ländern teilgenommen (NEJM 2015; online 20. Juli). Sie waren asymptomatisch und hatten im Blut zu Beginn noch mindestens 500 CD4-Zellen/µl.
Die in zwei fast gleich große Gruppen eingeteilten Studienteilnehmer, von denen 27 Prozent Frauen waren, erhielten die antiretrovirale Therapie als Dreifachkombi entweder sofort oder erst dann, wenn die CD4-Zellzahl unter 350/µl gesunken war oder sich Aids entwickelt hatte, im Median drei Jahre nach Studienbeginn im Jahr 2009.
Zu diesem Zeitpunkt enthielten die meisten Leitlinien, etwa die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die der Europäischen Aids-Gesellschaft, die Empfehlung für den späteren Behandlungsbeginn.
Primärer kombinierter Endpunkt der Studie waren ausgeprägte Aids-assoziierte Krankheitszeichen, nicht im Zusammenhang mit der Immunschwäche stehende Erkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen oder Tod. Behandelt wurden die HIV-Infizierten bis zu 60 Monate lang, im Durchschnitt über drei Jahre.
WHO will ihre Empfehlungen überprüfen
Wie die HIV-Therapeuten der INSIGHT-Gruppe (International Network for Strategic Initiatives in Global HIV Trials) berichten, trat der primäre Endpunkt bei 42 Patienten mit sofortigem Therapiebeginn auf, dagegen bei 96 Patienten in der Vergleichsgruppe.
Das entspricht einem Anteil von 1,8 versus 4,1 Prozent. Der Unterschied ist signifikant und bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit etwa für Aids-assoziierte Symptome um 57 Prozent verringert wird, wenn die Therapie noch während eines guten Immunstatus begonnen wird.
Einschränkend weisen die Studienärzte darauf hin, dass drei Jahre eine vergleichsweise kurze Dauer für eine Behandlung ist, die lebenslang erfolgen müsse.
Die von Professor Jens D. Lundgren von der Universitätsklinik in Kopenhagen vorgestellten Ergebnisse der START-Studie wurden euphorisch aufgenommen.
So stellte Professor Julio Montaner, ehemaliger IAS-Präsident aus Vancouver fest, dass der diesjährige Kongress eines Tages als jener Moment betrachtet werde, in dem sich die Welt auf die frühzeitige antiretrovirale Therapie einigte als beste Möglichkeit zum Erhalt der Gesundheit von HIVInfizierten und als eine der besten Optionen, um die Ausbreitung des Aids-Erregers zu bremsen.
Angesichts der Ergebnisse von START und anderer Studien will die WHO ihre Empfehlungen zur HIV-Therapie auch unter dem Aspekt, wann die Behandlung begonnen werden soll, überprüfen.
Sie kündigt eine Aktualisierung der Leitlinie zur antiretroviralen Therapie noch in diesem Jahr an.