Lebensmittelskandale
Gau oder Peanuts?
Der Fipronil-Skandal scheint tief an der deutschen Seele zu rühren. Doch etwa einem Viertel der Bevölkerung sind Lebensmittelskandale grundsätzlich egal.
Veröffentlicht:BERLIN. Pferdefleisch in der Lasagne, Mäusekot im Brotteig, Darmkeime an Sprossen: die Liste der Lebensmittelskandale liest sich schauerlich. Wo Verunreinigungen bekanntwerden –wie aktuell das Insektengift Fipronil in Eiern – ist die Aufregung groß: Verbraucher lassen sich von Ärzten untersuchen, Hersteller und Händler vernichten riesige Mengen belasteter Lebensmittel. Und Kontrolleure in Gruppen mit militärisch klingenden Namen suchen Fehler in immer unübersichtlicheren, globalen Produktionsketten.
Lebensmittelspezialisten treten heute als "Task Forces" in Erscheinung, nicht mehr als Individualexperten mit sperrigen Namen wie "Ökotrophologe". "Task Force", das klingt nach Sturmhauben und nächtlichen Hubschraubereinsätzen, nach einer Art SEK der Lebensmittelsicherheit.
Martialische Namensgebung
Die martialische Namensgebung passt in eine Zeit, in der schon kleinste Verunreinigungen ein weltweites Echo hervorrufen: In einem Land, wo sich der Wert einer Suppe noch vor Jahren an der Größe der Fettaugen bemaß, sorgen heute selbst kleinste private Laster für öffentliche Ächtung. Wer keinen Sport treibt, raucht, trinkt oder sich schlecht ernährt, hat in der Selbstoptimierungsgesellschaft einen schlechten Leumund.
Dahinter steht ein Kulturwandel: verunreinigte Lebensmittel sind umso skandalöser, je höher die Hygienestandards einer Gesellschaft liegen und je mehr die Frage der Ernährung und des Lebenswandels vom Privatthema zum öffentlichen Statusnachweis wird: Du bist, was Du isst. Das wusste schon der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872).
Die erste bundesweite "Task Force" gab es 2011. Die Expertengruppe mit Sitz im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sollte den Ehec-Skandal entschärfen.
Beim aktuellen Fipronil-Skandal wiegt mit Blick auf die öffentliche Aufmerksamkeit besonders schwer, dass mit dem Ei eine Art nationales Kulturgut betroffen ist: In seiner Zubereitung als Frühstücksei ist es so deutsch wie Tennissocken in Sandalen, das Bundeskleingartengesetz oder die Nationalhymne.
Eierlöffel und Teelöffel
Das belegt auch der Blick in den Kanon der jüngeren Kulturgeschichte. Sogar ein Spezialbesteck hat man sich im Land von Goethe und Schiller ausgedacht: den Eierlöffel, der für kulturell unsensible Betrachter wie ein Teelöffel aussieht. Auf den Kalkschalen eines jeden Eis findet sich zudem eine Art Personalausweis: ein Barcode, der Auskunft über das Herkunftsland, die Haltungsform und den exakten Betrieb, aus dem das Ei stammt, gibt.
In der Berichterstattung zum Fipronil-Skandal finden sich in Deutschland folgerichtig nicht nur jene Fälle, in denen Betriebe das Mittel unerlaubterweise eingesetzt haben oder in denen kontaminierte Lebensmittel gefunden wurden: Selbst zu Funden einzelner verdächtiger Eier tauchen Meldungen auf. Auch wo noch kein Fipronil entdeckt wurde, wird zum Teil berichtet.
Aus Sicht des Bundesinstituts für Risikobewertung steckt dahinter aber keine hysterische Öffentlichkeit. Etwa einem Viertel der Bevölkerung sind Lebensmittelskandale demnach sogar grundsätzlich egal. Gesundheitlicher Verbraucherschutz habe für diese Gruppe "erkennbar keine lebensrelevante Bedeutung", teilt das Institut mit, das seit 2014 jährlich abfragt, wie Menschen die Sicherheit von Lebensmitteln einstufen.
Aus Sicht des BfR ist es vor allem die Unsicherheit, die die öffentliche Erregung anschwellen lässt: Angst entsteht, wo Verwirrung herrscht, wo Experten unterschiedliche Angaben machen oder Medien bei unklarer Faktenlage Interpretationsspielräume nutzen.
Wo alles zusammenkommt, ändern Menschen ihr Kaufverhalten teils drastisch. Doch nicht für lange. Zeitgeistig lässt die Empörung bald nach oder weicht anderen Themen: "Das Ausmaß konkreter und erst recht langfristiger Verhaltensänderungen fällt sehr gering aus", so das BfR. (dpa)