Gedanken schieben Rollstuhl an

Vollständig gelähmt, aber doch imstande, Alltagstätigkeiten zu meistern - mit der Kraft der Gedanken und ausgefeilter Computertechnik. So soll sogar Rollstuhlfahren bald möglich sein.

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Bald braucht keiner mehr zu schieben - der Gelähmte rollt selbst.

Bald braucht keiner mehr zu schieben - der Gelähmte rollt selbst.

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KÖLN (eb). Damit Gelähmte allein mit ihren Gedanken Geräte befehligen können, sind Mensch-Maschine-Schnittstellen nötig, auch Brain-Computer Interfaces (BCI) genannt.

Was die neuen BCI alles zu leisten vermögen, haben Experten auf der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) in Köln erläutert.

Mit den sehr frühen Varianten von Mensch-Maschine-Schnittstellen mussten die Patienten in wochenlangen, intensiven Training etwa die Bedienung eines Textprogramms erlernen. Zwar haben Neurophysiologen und Computerwissenschaftler diesen zeitaufwändigen Lernprozess im Lauf der Zeit schon deutlich verkürzt.

Doch schnelle Reaktionen von Zehntelsekunden, wie sie etwa zur Steuerung eines Rollstuhls nötig sind, waren bis vor kurzem nicht möglich. Heute erlauben es technische Fortschritte, Hirnsignale von gelähmten Patienten in Echtzeit zu entschlüsseln und in Aktionen umzusetzen.

Mit der klassischen BCI-Anwendung können gelähmte Patienten aktive Prothesen oder Textprogramme steuern. Erste Erfolge wurden in den 1990-er Jahren mit Methoden erzielt, bei denen die Anwender allmählich lernten, ihre Hirnströme zu ändern.

Nicht mehr der Mensch, sondern die Maschine übt

"Allerdings mussten sie zum Teil wochenlang trainieren, um ein Textprogramm zu bedienen", erläutert Professor Gabriel Curio in einer Mitteilung der DGKN. Curio ist leitender Oberarzt in der Abteilung für Neurologie und klinische Neurophysiologie an der Charité Berlin.

Um das zeitaufwändige Lernen der Nutzer zu verkürzen, schlugen die Neurophysiologen der Charité zusammen mit Computerwissenschaftlern der TU Berlin unter dem Motto "Let the machines learn" den umgekehrten Weg ein: Beim Berliner BCI lernt nicht mehr der Nutzer Hirnsignale für den Computer zu erzeugen, sondern das Gerät lernt, typische Elektroenzephalografie (EEG)-Muster der Nutzer zu entschlüsseln.

Nach einer Kalibrationsphase von weniger als 20 Minuten sind die ersten rein Gedanken-gesteuerten Aktionen möglich.

Erfahrene Nutzer erzielen heute in Studien eine Treffergenauigkeit von 90 Prozent: "Mit einer ‚mentalen Schreibmaschine' können sie in 30 Minuten mehrere Sätze mit bis zu 210 Buchstaben verfassen", wird Curio in der Mitteilung zitiert.

Jüngste Weiterentwicklungen der EEG-gestützten BCI-Technik ermöglichen auch Anwendungen, die sehr rasche Reaktionen erfordern, wie das Steuern eines Rollstuhls. Denn anhand des EEGs lassen sich motorische Absichten des Patienten in Echtzeit erfassen.

Auch Menschen, die in einem Locked-in-Syndrom gefangen sind, können BCI nutzen. Diese Patienten sind vollständig gelähmt, können auch nicht sprechen, sind aber bei Bewusstsein.

Bald wohl überflüssig: Haube mit vielen Kabeln

"Brain-Computer Interfaces bieten ihnen eine Möglichkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren", so Curio. Die Technik wird aktuell in klinischen Studien erprobt, um sie künftig auch in der Praxis verfügbar zu machen.

Derzeit arbeiten die Neurologen am Problem des BCI-Analphabetismus. Unabhängig davon, ob der Computer vom Menschen lernt oder umgekehrt, können bis zu 30 Prozent der Probanden die BCI-Technik nicht zuverlässig anwenden.

Neue Computerprogramme nutzen gleichzeitig mehrere EEG-Signalarten und haben die Rate dieses BCI-Analphabetismus gesenkt. "Viele zuvor erfolglose BCI-Nutzer schaffen es jetzt, das System innerhalb von nur einer Stunde zu steuern", berichtet Curio.

Heute tragen Probanden bei wissenschaftlichen Experimenten außerdem noch eine auffällige Haube mit vielen Kabeln.

"Künftige BCIs werden für andere Menschen aber unsichtbar sein", prophezeit Professor Gereon Fink, Kongresspräsident der DGKN-Jahrestagung.

Allerdings könnte die BCI-Technik nicht nur in der Medizin zum Einsatz kommen. "Auch Industrie und Militär möchten sie nutzen", so Fink. Es sei daher an der Zeit, in der Öffentlichkeit die ethischen Auswirkungen dieser Technik zu diskutieren.

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