Gehirndoping wird auch in Deutschland immer beliebter

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NEU-ISENBURG. Betablocker gegen die Prüfungsangst, Methylphenidat für eine erhöhte Aufmerksamkeit, Modafinil, um auf den Punkt fit zu sein: Offenbar konsumieren immer mehr Menschen Medikamente zur kognitiven Leistungssteigerung. Von Pete Smith

Gehirndoping wird immer beliebter - und manch ein Experte hat damit keine Probleme.

Gehirndoping wird immer beliebter - und manch ein Experte hat damit keine Probleme.

© Foto: julien tromeurwww.fotolia.de

Während in den USA mehrere Studien den Trend zur Selbstoptimierung per Gehirndoping bestätigen, ist die Datenlage in Deutschland noch schmal. Aufhorchen ließ aber eine Erhebung der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. Die Kasse hatte 3000 Arbeitnehmer zwischen 20 und 50 Jahren befragen lassen. Etwa fünf Prozent von ihnen gaben an, schon einmal Medikamente ohne medizinische Indikation zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit oder Verbesserung ihres Wohlbefindens eingenommen zu haben, zwei Prozent regelmäßig. Männer tendierten dabei zu Aufputschmitteln, Frauen bevorzugten Sedativa. Rechnet man die Ergebnisse der Umfrage auf die erwerbsfähigen Bundesbürger hoch, so haben schon zwei Millionen erwachsene Deutsche Erfahrungen mit stimulierenden Präparaten gemacht, etwa 800 000 konsumieren solche Präparate regelmäßig. Laut DAK gaben 14 Prozent der Befragten an, die Mittel von ihrem Arzt verschrieben bekommen zu haben, andere Bezugsquellen waren Apotheken, Freunde, Verwandte und der Versandhandel. Jeder Fünfte war der Umfrage nach überzeugt, dass die Risiken der Medikamente im Vergleich zum Nutzen vertretbar seien.

Gerade Forscher nehmen gerne Neuro-Enhancer

Einer Online-Umfrage der Fachzeitschrift "Nature" (452, 2008, 674) zufolge ist das auch als Neuro-Enhancement bezeichnete Gehirndoping gerade unter Wissenschaftlern beliebt. Von den etwa 1400 Forschern aus 60 Ländern, die sich an der Umfrage beteiligten, gab ein Fünftel zu, leistungssteigernde Medikamente zu konsumieren. Am häufigsten griffen die betreffenden Wissenschaftler auf Methylphenidat zurück (62 Prozent) zurück, auch Modafinil, Amphetamine und Betablocker sind unter Forschern beliebt. Als Hauptmotiv nannten die meisten Befragten eine verbesserte Aufmerksamkeit. Etwa die Hälfte der Teilnehmer gab an, unter Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Angstzuständen und Schlaflosigkeit gelitten zu haben. Besonders beliebt waren fünf Gruppen von Arzneien:

  • Methylphenidat wird außer zur ADHS-Therapie auch bei Narkolepsie und zur Steigerung der Wirksamkeit von Antidepressiva bei therapieresistenten Depressionen verwendet. Schüler und Studenten, aber auch Wissenschaftler und Manager konsumieren Methylphenidat zur Steigerung ihrer Konzentration. Hochdosiert wirkt das Präparat sogar euphorisierend.
  • Modafinil, indiziert etwa bei Narkolepsie und Schichtarbeiter-Syndrom, ist auch bei Geschäftsreisenden mit Jetlag beliebt. Studenten und Manager machen sich den Wirkstoff zunutze, um auf den Punkt fit zu sein - etwa bei Prüfungen oder Präsentationen.
  • Betablocker wie Metoprolol helfen Patienten mit Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz und werden auch zur Migräneprophylaxe verwendet. Gesunde Menschen nehmen das Präparat gegen ihre Prüfungsangst ein.
  • Spezifische Antidementiva werden offenbar nicht nur zur Demenztherapie verwendet. Seit bekannt ist, dass einige der Mittel in klinischen Tests an Piloten deren kognitive Leistung steigerten, erfreuen sich diese Präparate auch unter gesunden Zeitgenossen zunehmender Beliebtheit.
  • Amphetamine und amphetaminähnlicheillegale Drogen wie Ecstasy und Speed werden auch gerne zur Steigerung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz eingenommen.
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Kommentare
Gabriele Franke 05.01.201010:32 Uhr

Gehirndoping kann Vertrauen und Projekte zerstören

Die hier zitierte Philosophengruppe um Dr. Galert hat offensichtlich keine Ahnung davon, wie in Wirtschaft und Industrie gearbeitet wird. Es wäre sicher ethisch akzeptierbar, wenn ein Philosoph in seiner Kammer entsprechende Mittel nimmt und für sich alleine bleibt. Auch wenn Mediziner unter Druck zu Hilfsmitteln greifen ist das verständlich, wenngleich hier doch eher die Arbeitsbedingungen verbessert werden sollten. Nur, wenn eine unkritische oder gar postitive Einstellung zu psychoaktiven Substanzen zur Leistungssteigerung auf das Arbeitsleben ausserhalb der Klinik übertragen wird, kann das schwerwiegende Folgen haben.

1.) Entscheidungen in der Wirtschaft werden oft "aus dem Bauch heraus " getroffen - d.h.der Entscheider verläßt sich auf seine Zuarbeiter, die "überzeugend" wirken müssen, ohne sich selber bis ind Detail mit den Fakten auseinanderzusetzen und ohne zu analysieren, worauf sein "Vertrauen" beruht. Bestehehnde reale Risiken (Finanzrisiken / Projektrisiken) können bei einer "gedopten" Präsentation überspielt werden. Mit bösen Folgen für alle Beteiligten: Scheitern von Projekten usw. - Verlust von Arbeitsplätzen wenn die Illusion platzt und sich das Unternehmen in der Euphorie übernommen hat. Vielleicht auch mal mit einem Börsencrasch - wie oft sind den Finanzprodukte von Verkäufern "ehrlich, engagiert und überzeugend" angepriensen worden - wie viele haben dabei Amphetamine zu Hilfe genommen um "Vertrauen" zu gewinnen und ihre Leistungskennzahlen zu erhöhen? Und wer einmal erlebt hat, wiel viel bei Projekten davon abhängt, dass eine Stimmung "wir schaffen das alles, wir haben alles im Griff" entsteht - dass in einer solchen Stimmung ggf. Risiken übersehen werden, der hält Aufputschmittel nicht mehr für harmlose Privatsache. Man darf sich das ähnlich vorstellen, wie auf einer Party, in der sich alle in einem leichten Rausch befinden - wenn da noch ein Wárner dabei ist, ist es schnell ein "Spielverderber".

2.) Wer dopt ist Leistungsschwankungen und Stimmungsschwankungen ausgesetzt, es sei denn er nimmt die Substanzen jeden Tag ein. Angenommen, er dopt immer zu besonderen Anlässen - aber nicht während der übrigen Woche: Seine Mitarbeiter wissen nie, woran sie mit ihm sind. Es ist für die Mitarbeiter psychisch belastend , sozusagen "zu verrücktwerden", einen Vorgesetzten mit überdurchschnittlichen Stimmungsschwankungen zu haben. Im Privatleben wirkt es auf die Beziehung destabilisierend, weil nicht klar wird, was nun eigentlich zur Persönlichkeit des Partners gehört.

3.) Durch Gehirndoping können Leistungsstandards in einem Unternehmen heraufgesetzt werden. Es heißt dann vom Kollegen "der leiste ja übermenschliches". Alle anderen müssen nachziehen, oder sie sind zweite Wahl. Ausserdem bekommen sie unter Umständen einen schwierigen Chef (siehe 2.), der sich die Karriereleiter hochdedopt hat (Fairnmess?)

4.) Durch "Gehirndoping" werden ggf. Sympathie und Zuneigung vorgetäuscht - Pech wer darauf reinfällt, und nicht rechzeitig erkennt, dass er getäuscht wurde.

5.) Bitte auch daran denken: Nichtmediziner sind ggf. nicht so gut in der Lage, es zu erkennen, wenn ein Kollege/Chef/Projektpartner unter Drogen steht. Sie haben weniger Chancen sich davor zu schützen.

Doping im Unternehmen ist nicht fairer als Doping im Sport. In beiden Fällen wird eine Leistungsfähigkeit und eine Vertrauenswürdigkeit vorgetäuscht, die langfristig nicht besteht.




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