Demenzforschung
Geistiger Abbau lässt sich bremsen
Es könnte ein Meilenstein in der Demenzprävention sein: Der geistige Abbau lässt sich dank einer Lebensstiländerung gut in Schach halten, wie eine Studie zeigt.
Veröffentlicht:STOCKHOLM/HELSINKI. Es könnte sich um einen Meilenstein in der Demenzprävention handeln: Erstmals haben Forscher einen multimodalen Ansatz zur Demenzprävention in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie erfolgreich geprüft.
Offenbar, so das Ergebnis, lässt sich der geistige Abbau im Alter deutlich bremsen, wenn es älteren Menschen gelingt, sich gesünder zu ernähren, sich mehr zu bewegen und auf ihre kardiovaskulären Risikofaktoren zu achten.
Damit nährt die Studie die Hoffnung, dass sich über Lebensstiländerungen tatsächlich auch eine Demenz verhindern lässt.
Dies ist bisher aufgrund von epidemiologischen Untersuchungen vermutet worden, kann über solche Studien jedoch nicht belegt werden. Gefordert wurden daher schon lange kontrollierte Interventionsstudien.
Davon gibt es bisher nur relativ wenige, und meist wurden dabei auch nur einzelne Faktoren wie Bewegung oder Ernährung modifiziert. Zudem waren diese Studien bisher sehr klein.
Da eine Demenz inzwischen als multifaktorieller Prozess verstanden wird, scheint es Sinn zu machen, sämtliche wichtigen Risikofaktoren gleichzeitig anzugehen.
Genau das haben Forscher aus Finnland und Schweden in der nun veröffentlichten FINGER*-Studie bei 1260 älteren Menschen getan (Ngandu T et al., Lancet 2015, epub 12.3.15).
Ältere Menschen mit leicht erhöhtem Demenzrisiko untersucht
Die Teilnehmer waren 60-77 Jahre alt und hatten ein leicht erhöhtes Demenzrisiko.
In Kognitionstests zeigten sie altersentsprechend leicht unterdurchschnittliche bis durchschnittliche Leistungen, zudem wiesen sie mindestens einen modifizierbaren Risikofaktor für Herzkreislauferkrankungen oder eine Demenz auf.
So waren zwei Drittel Hypertoniker, ebenfalls zwei Drittel hatten erhöhte Cholesterinwerte, 13 Prozent einen Diabetes und 10 Prozent kardiovaskuläre Ereignisse in der Vorgeschichte. Der MMST-Wert lag im Schnitt bei 27 Punkten - die meisten hatten also noch keine Zeichen einer Demenz.
Alle Teilnehmer erhielten Informationsmaterialien zu einer gesunden Lebensweise, zusätzlich wurden sie von einer Fachkraft beraten, wie sie Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen und eine Demenz beeinflussen können.
Die Hälfte der Teilnehmer bekam zusätzlich eine multimodale Intervention, basierend auf vier Modulen: Zum einen wurde ihnen über mehreren Gruppensitzungen eine gesunde Ernährung nahegelegt - viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, fettarme Milch- und Fleischprodukte sowie wenig Zucker.
Sie sollten ferner zweimal wöchentlich Fisch essen und statt Butter Rapsöl und Margarine verwenden.
Regelmäßiges körperliches und geistiges Training
Das Fitness-Modul bestand aus einem individuell angepassten Training zur Stärkung der Muskulatur (ein- bis dreimal wöchentlich) sowie Aerobic-Übungen (zwei- bis fünfmal pro Woche).
Die geistigen Fähigkeiten konnten die Teilnehmer unter Anleitung eines Psychologen in zehn Sitzungen trainieren. Hier standen Gedächtnisaufgaben und logisches Denken im Vordergrund.
Zusätzlich durften die Teilnehmer mit einem speziell für die Studie entwickelten Computerprogramm zuhause trainieren - möglichst dreimal die Woche für 10-15 Minuten.
Schließlich überprüften die Studienärzte auch regelmäßig kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Blutdruck, Blutzucker und BMI.
War die kardiovaskuläre Medikation unzureichend, sollten die Teilnehmer mit ihren gewohnten Ärzten darüber sprechen und eine Verbesserung vornehmen.
Im Laufe der zwei Jahre schieden in der Interventionsgruppe 82 Personen aus, fünf starben. In der Kontrollgruppe brachen 61 Teilnehmer vorzeitig ab, auch hier starben fünf.
Zu Beginn sowie nach einem und zwei Jahren wurde die kognitive Funktion mit der umfangreichen neuropsychologischen Testbatterie NTB geprüft, in jeder Gruppe erfolgte bei 95 Prozent der Teilnehmer mindestens eine kognitive Nachuntersuchung, diese wurde in der Intention-to-treat-Analyse berücksichtigt.
Deutliche Vorteile für multimodale Intervention
Die wesentlichen Ergebnisse: In beiden Gruppen verbesserte sich die kognitive Leistung im Laufe der beiden Jahre, allerdings war der Vorteil in der Gruppe mit aktiver Intervention signifikant stärker ausgeprägt: Der NTB-Summenwert über alle Tests nahm um ein Viertel mehr zu als in der Kontrollgruppe (Z-Score: plus 0,20 versus plus 0,16).
Vor allem bei Exekutivfunktionen, also strategischem Handeln, Aufmerksamkeitssteuerung und Impulskontrolle zeigten die Teilnehmer in der Interventionsgruppe ausgeprägtere Veränderungen als in der Kontrollgruppe - der Unterschied lag hier bei 83 Prozent, allerdings waren die absoluten Veränderungen in beiden Gruppen recht gering (Z-Score: plus 0,09 versus plus 0,05).
Die Verarbeitungsgeschwindigkeit verbesserte sich unter der multimodalen Intervention sogar mehr als doppelt so stark (um 150 Prozent) wie in der Kontrollgruppe, allerdings auch hier auf einem insgesamt recht niedrigen Niveau (Z-Score plus 0,10 versus plus 0,04).
Seltener kognitiver Abbau
Am stärksten waren die absoluten Auswirkungen auf das Gedächtnis. Der Z-Score nahm um etwa 0,3 zu, was einer Verbesserung der Gedächtnisleistung von etwa 10 Prozent entspricht.
Allerdings trat diese Verbesserung in beiden Gruppen fast gleichermaßen auf, die Interventionsgruppe war hier nur geringfügig und nicht signifikant besser.
Bei etwa 28 Prozent der Teilnehmer stellten die Forscher nach zwei Jahren einen kognitiven Abbau fest. In der Kontrollgruppe ließ sich ein solcher Abbau signifikant häufiger beobachten (odds ratio: 1,31).
Unterschiede fanden die Forscher um Professor Miia Kivipelto vom Nationalen Gesundheitsinstitut in Helsinki auch bei den Lebensstilfaktoren:
In der Interventionsgruppe stellten sie tatsächlich eine erhöhte körperliche Aktivität und bessere Ernährung fest, auch nahmen über 80 Prozent der Teilnehmer an den körperlichen und geistigen Übungen regelmäßig teil.
Von den Teilnehmern mit multimodaler Intervention erlitt einer einen Herzinfarkt, fünf Personen waren es in der Kontrollgruppe, in beiden Gruppen gab es jeweils vier Schlaganfälle.
Langzeit-Werte stehen noch aus
Was lässt sich nun aus diesem bisher einzigartigen Experiment schließen?
Erstaunlich ist zunächst, dass sich die kognitive Leistung in beiden Gruppen im Schnitt verbessert hat - möglicherweise haben sich die Teilnehmer in der Kontrollgruppe tatsächlich etwas an die Lebensstilempfehlungen gehalten, die auch sie bekommen haben.
Allerdings waren die absoluten Veränderungen in beiden Gruppen doch recht gering, und auch die Effektstärke der Intervention wird mit einem Cohen's-d-Wert von 0,13 als relativ niedrig angegeben - sie ist also kaum klinisch relevant.
Über die Jahre hinweg könnten jedoch auch die absoluten Unterschiede zwischen beiden Gruppen beträchtlich anwachsen und möglicherweise eine Demenz hinauszögern.
Man darf also auf die geplante erneute Auswertung der Studie nach sieben Jahren gespannt sein.
Vielleicht ist das erstaunlichste Ergebnis, dass es nach zwei Jahren überhaupt gut messbare und signifikante Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen gab.
*FINGER: Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability