Erste Gehversuche

Gelähmter steuert Exoskelett per Gedanken

Acht Freiheitsgrade eines Exoskeletts kann ein französischer Tetraplegiker sozusagen per Gedankenkraft kontrollieren. Eine Hirn-Computer-Schnittstelle macht es möglich.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Zwei epidural über dem sensomotorischen Kortex implantierte Elektroden-Rekorder nehmen die Bewegungsimpulse auf.

Zwei epidural über dem sensomotorischen Kortex implantierte Elektroden-Rekorder nehmen die Bewegungsimpulse auf.

© Fonds de dotation Clinatec

Grenoble. Ein Exoskelett hat es einem 28-jährigen Tetraplegiker aus Frankreich ermöglicht, erste Gehversuche zu unternehmen. Die Apparatur für alle vier Gliedmaßen steuert er dabei sozusagen per Gedankenkraft, denn die Bewegungsbefehle für das Exoskelett fangen zwei epidural implantierte Sensoren auf, die kabellos mit dem Exoskelett kommunizieren.

Dabei handelt es sich nach Angaben des Studienleiters Professor Alim-Louis Benabid von der Universität in Grenoble um das erste semi-invasive, kabellos zu steuernde Exoskelett für alle vier Gliedmaßen (Lancet Neurol 2019; online 3. Oktober)

Zwar sehen die Bewegungen recht ungelenk aus, auch muss das Exoskelett noch über einen Haken an der Decke verankert werden, damit der Patient bei seinen Gehversuchen nicht umfällt.

Aber immerhin kann er mit seinen Gedanken die Apparatur schon so steuern, dass sie langsam einen Schritt vor den anderen setzt. Deutlich leichter gelingt es dem Mann, über sein Implantat einen Rollstuhl durch einen Parcours zu lenken. Letztlich ist die Methode aber noch weit davon entfernt, Gelähmten wieder zu einem stabilen Gang zu verhelfen.

Sie verweist lediglich auf eine nahe Zukunft, in der dies möglich sein dürfte. Vielleicht ist es in einigen Dekaden nichts Besonderes mehr, wenn Querschnittsgelähmte an eine Art Roboter gebunden durch unsere Städte flanieren.

Option für vollständig Gelähmte

Das Exoskelett ist allerdings nur eine von vielen Lösungen, um Gelähmten wieder das Gehen beizubringen. Fast ohne auffällige Hardware kommt die epidurale elektrische Stimulation aus. Dabei werden Fasern genutzt, welche die Rückenmarksläsion überwinden, um noch vorhandene Signale aus dem Gehirn zu verstärken.

Wie zwei Publikationen aus dem vergangenen Jahr gezeigt haben, können Gelähmte dadurch mithilfe von Krücken wieder ein Stück weit selbstständig gehen. Dies funktioniert allerdings nur, wenn nicht alle Rückenmarksfasern durchtrennt sind.

Für Patienten mit vollständigen Rückenmarksläsionen wäre das Exoskelett-Verfahren eine Alternative. Die französischen Forscher implantierten dem Tetraplegiker mit einer C4–C5-Läsion dafür bilateral zwei 64-Elektroden-Rekorder, und zwar epidural über dem sensomotorischen Kortex.

Die Idee dahinter: Wenn sich der Patient entsprechende Bewegungen vorstellt, werden die jeweiligen Hirnareale aktiviert, der Rekorder zeichnet die Signale auf und sendet sie an einen Computer. Dieser dekodiert sie und steuert damit Geräte wie ein Exoskelett oder einen Rollstuhl.

Drahtloser Datentransfer noch nicht besonders effizient

In der Praxis ist das natürlich nicht ganz einfach. Immerhin gelingt es mittlerweile, die Signale recht gut epidural abzuleiten, sodass die Elektroden nicht mehr direkt auf den Kortex verpflanzt werden müssen, auch ist der Signaltransfer im Vergleich zu früheren Verfahren drahtlos möglich.

Dazu werden die Daten über eine Hochfrequenz-Antenne unter dem Temporalmuskel gesendet, die Stromversorgung erfolgt per Induktion, ebenfalls über eine Antenne unter dem Muskel. Allerdings klappt der drahtlose Datentransfer noch nicht besonders effizient, sodass die Ärzte derzeit nur die Hälfte der Elektroden nutzen können.

Der Patient ist noch in der Lage, den Bizeps etwas zu kontrahieren, hat aber keinerlei Kontrolle über die Beinmuskulatur. Die noch vorhandene Armmuskelkontrolle nutzten die Ärzte, um die epidural abgeleiteten Signale zu dechiffrieren.

So schauten sie sich bei realen Bewegungen die entsprechenden fMRT- und MEG-Signale an und verglichen sie mit den epiduralen Ableitungen. Daraus kreierten sie einen Algorithmus, um die künstlichen Arm- und Beinbewegungen eines motorisierten Exoskeletts anhand der epiduralen Ableitungen zu steuern.

Erfolgsquote von 70 Prozent

Bei ihren Gehversuchen setzten sie auf ein 65 kg schweres System mit 14 vollmotorisierten Gelenken und einem integrierten Zentralcomputer. Dieser verarbeitet die epiduralen Signale in Echtzeit und überträgt sie in entsprechende Arm- und Beinbewegungen.

Damit der Mann ein paar Schritte machen konnte, war jedoch ein zweijähriges Training nötig. Inzwischen kann er acht von 14 möglichen Freiheitsgraden des Systems gleichzeitig kontrollieren, die gewünschten Bewegungen werden mit einer Erfolgsquote von rund 70 Prozent korrekt umgesetzt.

Die Forscher um Benabid konzentrierten sich jedoch bislang auf das Gehen, nicht aufs Gleichgewicht, daher muss das Exoskelett noch an der Decke befestigt werden. Für sehr wichtig halten sie die Stabilität der Hirn-Computer-Schnittstelle: So braucht der Dekoder nicht ständig neu kalibriert zu werden, die Einstellungen lassen sich über mehr als sieben Wochen hinweg unverändert nutzen.

Das Team aus Grenoble will nun weiter an der Auflösung der Elektroden und der Datenübertragung arbeiten, um noch präzisere Bewegungen zu ermöglichen. So sollen Patienten mit dem System künftig auch Fingerbewegungen steuern, Gegenstände greifen und Rollstühle manövrieren.

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