Hoffnung für Diabetiker
Große Fortschritte bei Insulinen
Weniger Hypoglykämien und interessante Wirkstoff-Kombinationen: Auf dem Markt der Insulin-Präparate für Diabetiker tut sich derzeit einiges. Experte Professor Hellmut Mehnert hat einige der Neuerungen genau unter die Lupe genommen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Für Insulin glargin, dem Marktführer unter den Basalinsulinen, ist eine Weiterentwicklung in Sicht: Glargin 300 ist höher konzentriert als das herkömmliche Glargin 100.
Das neue Basalinsulin minimiert die bereits unter dem bisherigen Präparat reduzierten nächtlichen Hypoglykämien weiter.
Flexiblere Spritzzeiten
Prof. Hellmut Mehnert
Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.
Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.
Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.
Überdies bringt die im Vergleich längere Wirkdauer den Vorteil, dass flexiblere Spritzzeiten bei gleicher Wirkung wie beim Original möglich sind.
Auch bei den wenigen (Typ-1-) Patienten, bei denen eine Injektion mit Glargin 100 nicht ausreicht, könnte Glargin 300 künftig von Vorteil sein.
Eine ebenfalls besonders lange Wirksamkeit liegt für das in Deutschland bereits im Handel befindliche Insulin degludec vor.
Dieses neue Insulinanalogon hat im Vergleich zu Glargin eine noch längere Wirkdauer (zu lange?) und ist deutlich teurer.
Interessant ist die Kombination von Insulin degludec (50 E) mit dem GLP1-Rezeptor-Agonisten Liraglutide (1,8 mg) in einem Pen.
Die Fixkombination ist im September in Europa zugelassen worden und soll in diesem Frühjahr auf den Markt kommen.
Das Präparat ermöglicht eine einfache ISI-Therapie ("incretin supported insulin therapy" oder "insulin supported incretin therapy").
Der Vorteil: Bei der ISI-Therapie wird in der Regel die der Insulintherapie eigene Gewichtszunahme durch Kombination mit dem GLP1-Rezeptor-Agonisten völlig aufgehoben.
Das neue Kombipräparat wäre besonders für Patienten zu erwägen, deren Therapie mit Basalinsulin intensiviert werden muss und die Gewichtsprobleme haben. Auch Patienten mit häufigen Hypoglykämien könnten von der Fixkombination profitieren.
Besonders schneller Wirkeintritt
Bei den ultrakurz wirkenden Analoga bringt ein Verzicht auf Zink im Molekül eine Verbesserung mit sich, denn Zink verzögert den Wirkungseintritt. Davon ist bei dem im Handel befindlichen Insulin glulisin Gebrauch gemacht worden.
Die aktuell in Studien geprüfte Beeinflussung der Insulinwirkung durch Änderung der Nadellänge und damit der Spritztiefe (5 mm oder 8 mm im Pen) hat keine neuen Erkenntnisse gebracht, zumal die Haut bei Patienten mit Normalgewicht und Adipositas gleich dick ist.
Goldstandard Insulin glargin
Wegen seiner guten Wirksamkeit und der langen Erfahrung mit dem Präparat ist Insulin glargin der Goldstandard unter den Basalinsulinen.
Glargin 100 ist seit fast 15 Jahren bei inzwischen weltweit mehr als acht Millionen Diabetikern im Gebrauch. Es gibt mehr als 1500 Publikationen zu diesem 24 Stunden wirksamen Insulinanalogon.
Zu Glargin 100 existieren zudem prospektive Outcome-Studien. So wurde gezeigt, dass es unter Insulin Glargin zu keiner überdurchschnittlichen Zunahme der Retinopathie kommt.
Die ORIGIN- und die ORIGINALE-Studie zur Fortsetzung ergaben über acht Jahre keine Nachteile hinsichtlich kardiovaskulärer Schäden und Krebshäufigkeit in den beiden Glargin-Gruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen (ohne Insulin).
Die Mikroangiopathie-Rate wurde sogar verbessert. Auch gibt es Hinweise auf Betazell-protektive Effekte von Glargin bei Prädiabetikern. Das Präparat wird von den Kassen erstattet.
Übrigens: Bei den Insulinen werden in den nächsten Jahren immer wieder Biosimilar-Präparate auf den Markt kommen. So gibt es zum Beispiel ein Insulin glargin vom Unternehmen Lilly, das unter Vorbehalt in den USA zugelassen worden ist.
Anders als die chemisch identischen Generika unterscheiden sich solche Biosimilars vom Originalprodukt zum Beispiel in der Faltung des Proteins. Für solche Präparate sind daher Wirksamkeits- und Sicherheitsstudien nötig.
Der einzig erkennbare Vorteil gegenüber dem Originalpräparat dürfte in dem womöglich etwas geringeren Preis des Präparates liegen.