Aktualisierte Leitlinien
Immuntherapie gewinnt an Stellenwert in der MS-Therapie
Die Therapieoptionen bei Multipler Sklerose (MS) haben sich erweitert. Neue Substanzen werden daher auch in die aktualisierten Leitlinien Einzug halten.
Veröffentlicht:LEIPZIG. Schwerpunkt der Leitlinien-Überarbeitung zu MS sind die neuen MS-Diagnosekriterien sowie die Immuntherapie, so die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung. Erstmals werden auch Patientenvertreter an der Erstellung der Leitlinie mitarbeiten – das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS). Die Fertigstellung der Leitlinie, die sich an der europäischen orientiert, wird für 2018 erwartet.
"Wir erwarten noch in diesem Jahr die Zulassung des ersten Medikaments, das die Progression der schleichenden MS verzögern kann. Außerdem stehen neue Alternativen zu den bereits verfügbaren Medikamenten zur Verfügung", berichtet dazu Professor Bernhard Hemmer, Neurologe aus München.
Neuzulassungen erweitern das therapeutische Spektrum
Zu den neuen Therapeutika gehört das im Sommer dieses Jahres zugelassene Präparat Mavenclad® (Wirkstoff Cladribin, Hersteller Merck) zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose. Cladribin, ein oral verabreichtes Medikament mit Langzeitwirkung, zeigte hinsichtlich der Schubaktivität und Behinderungsprogression eine Überlegenheit gegenüber Placebo, wie Hemmer berichtet. "In Anbetracht des inzwischen als gut eingestuften Risiko-Nutzen-Verhältnisses stellt die Substanz eine Alternative zu den aktuell verfügbaren Medikamenten dar", kommentiert der Neurologe.
Voraussichtlich ebenfalls noch 2017 soll laut DGN das Präparat Ocrevus® (Wirkstoff Ocrelizumab, Firma Roche) in Deutschland auf den Markt kommen. Ocrelizumab ist ein gegen B-Lymphozyten gerichteter monoklonaler Antikörper (Anti-CD20) und eine Variante des Krebs- und Rheumamedikaments Rituximab. In den USA wurde die Substanz bereits zur Behandlung der schubförmigen und primär progredienten MS zugelassen.
Bei der schubförmigen MS habe sich Ocrelizumab in den Zulassungsstudien einer Therapie mit Interferon-beta überlegen gezeigt, so die DGB. Außerdem habe die Substanz als erstes Medikament eine Wirksamkeit bei jüngeren Patienten mit primär progredienter MS nachweisen können. Die Wirksamkeit dieser auf B-Zellen gerichteten Therapiestrategie spiegle sich auch in Phase-II-Studien und der Off-Label-Alltagserfahrung mit der Vorgängersubstanz Rituximab wider.
Immuntherapeutika – zwischen Nutzen und Risiko
Mit der Entwicklung neuer Immuntherapeutika stehen MS-Patienten somit weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Eindämmung von Entzündungsreaktionen im ZNS zur Verfügung. Der Fortschritt für die Behandlung werde jedoch mit einem Risiko schwerer Nebenwirkungen, wie schweren Infektionen, erkauft, räumt Hemmer ein. In jüngster Vergangenheit sei von mehreren Fällen im Zusammenhang mit Immuntherapeutika wie Alemtuzumab, Natalizumab oder zuletzt Daclizumab berichtet worden. Durch ein sorgfältiges Sicherheitsmonitoring seien jedoch viele dieser Nebenwirkungen vermeidbar oder können frühzeitig erfolgreich behandelt werden.
Das KKNMS weist daher in einer aktuellen Stellungnahme erneut auf die Wichtigkeit einer sorgfältigen Indikationsstellung, engmaschiger Überwachung und der konsequenten Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen während der Behandlung sowie bei Therapieumstellung hin. (run)
Neuauflage "Qualitätshandbuch MS"
Um behandelnde Ärzte umfassend über mögliche Risiken von MS-Therapeutika und erforderliche Monitoring- und Sicherheitsmaßnahmen zu informieren, veröffentlicht das KKNMS jährlich zusammen mit der DGN, dem Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN), dem Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) und dem Ärztlichen Beirat der Patientenorganisation Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) das "Qualitätshandbuch Multiple Sklerose" mit unabhängigen Therapieempfehlungen.