Grippewelle

Influenza-Todesfälle bei Kindern kommen oft aus heiterem Himmel

Nur wenige Kinder sterben an Influenza und Todesfälle sind oft mit chronischen Erkrankungen assoziiert. In einer US-Analyse war aber jedes zweite an Grippe gestorbene Kind vorher gesund. Experten sprechen sich für bessere Impfraten aus.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Babys haben das höchste Sterberisiko bei Grippe.

Babys haben das höchste Sterberisiko bei Grippe.

© BSIP SA / Alamy / mauritius images

Bei jeder Grippewelle fallen in Deutschland auch Kinder den Folgen einer Influenza zum Opfer. Obwohl solche Todesfälle bei jungen Menschen im Vergleich zu alten Menschen sehr selten sind, dürfen Ausbrüche in Krippen, Kindergärten oder Schulen auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.

Besonders bedroht sind natürlich Heranwachsende mit chronischen Krankheiten. Ein Fall aus dem vergangenen Winter in Baden-Württemberg zeigt jedoch, dass auch bisher gesunde und normal entwickelte Kinder in kürzester Zeit an Influenza-Komplikationen sterben können.

Assoziiert mit dem aktuellen Todesfall im Januar war ein Ausbruch in einem Kindergarten, wie ein Team um Dr. Monika Spannenkrebs vom Gesundheitsamt Biberach berichtet (Epi Bull 2018; 22: 205). Dabei waren 24 von 27 Kindern und 3 von 7 Mitarbeitern erkrankt.

Unterschiedliche Symptome

Die Betroffenen zeigten dabei sehr verschiedene Symptome, die von leichtem Husten ohne große Beeinträchtigungen bis zu schweren Verläufen mit hohem Fieber reichten. Ein Geschwisterkind eines Patienten, das selbst noch nicht in der Kita betreut worden war, starb in dieser Zeit.

Das Opfer hatte am Vorabend seines Todes unspezifische Symptome eines beginnenden Infekts gezeigt und war mit einem Antipyretikum behandelt worden.

Die Obduktion ergab später eine hämorrhagische Pneumonie mit respiratorischem Versagen als Todesursache. Zudem wurden in Abstrichen von dem toten Kind sowie von Kindern und Personal der Kita und Familienangehörigen Influenza-A(H1N1)pdm09Viren nachgewiesen.

Dieser Virussubtyp hatte 2009 die Schweingrippe-Pandemie verursacht und zirkuliert seither weltweit bei den Grippewellen. Im vergangenen Winter hatte er in Deutschland einen Anteil von 28 Prozent an den isolierten Virustypen gehabt.

Nach Studiendaten kommt es besonders bei diesem Erreger auch bei jungen Erwachsenen und Kindern zu schweren Erkrankungen und Todesfällen. Die meisten Sterbefälle im Kindesalter treten bei Säuglingen im ersten Lebensjahr auf, wie eine Analyse der Todesfälle bei der Schweingerippe in Deutschland ergeben hat (Euro Surveill. 2010;15(49):pii= 19741).

Trivalenter Impfstoff hat Subtyp gut abgedeckt

Weitere Analysen im aktuellen Fall zeigten, dass der Subtyp sehr gut von dem trivalenten Impfstamm der vergangenen Saison abgedeckt wurde. Die Effektivität der Grippe-Impfung ist zudem bei jungen Menschen deutlich höher als bei Senioren.

Im vergangenen Winter war eine Schutzwirkung von 61 Prozent bei Kindern im Alter bis 14 Jahre ermittelt worden (Epi Bull 2018; 6: 69). Allerdings war die Mehrheit der am Ausbruch beteiligten Personen, und zwar sowohl Kinder als auch Kita-Mitarbeiter und Angehörige, nicht geimpft worden.

Außer der Analyse von Infektionsketten mit den infektiologischen Untersuchungen musste das zuständige Gesundheitsamt die Beteiligten beraten und Ärzte im Kreis sowie die Öffentlichkeit informieren.

Die Kita war während der Ereignisse nicht geschlossen worden. Allerdings wurden Eltern gebeten, kranke Kinder zu Hause zu lassen. Auf Hygienemaßnahmen und die Impfung wurde hingewiesen.

Insgesamt waren in Baden-Württemberg im vergangenen Winter zwei laborbestätigte Grippetodesfälle bei Kindern registriert worden. Dies ist aber wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Belastbare Zahlen zu Todesfällen bei Kindern mit Grippe in Deutschland gibt es nicht.

Anders in den USA: Dort wurden in den Wintern von 2010/11 bis 2015/16 pro Jahr im Schnitt 113 an Influenza gestorbene Kinder und Jugendliche im Alter unter 18 Jahren gemeldet, dies entspricht einer Rate von 0,15 Todesfällen pro 100.000 Kinder und Jugendliche.

Jedes achte Kind starb schon am ersten Tag

Jedes dritte der an Grippe gestorbenen Kinder in den USA war höchstens sechs Monate alt, berichten Forscher um Mei Chang von den Centers for Disease Control and Prevention (Pediatrics 2018; 141: e20172918).

Insgesamt 65 Prozent der Betroffenen starben binnen sieben Tagen nach Einsetzen der Symptome, 13 Prozent sogar am ersten Tag. Ursache waren Pneumonie, Sepsis oder akutes Atemnotsyndrom (ARDS).

Die Erkrankungen verliefen völlig unberechenbar: Die Hälfte der Kinder hatte vor der tödlichen Krankheit keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen gehabt. Die andere Hälfte hatte vor allem neurologische Krankheiten wie Entwicklungsstörungen, Krampfleiden, Chromosomen-Verteilungsstörungen oder Zerebralparesen.

Außerdem häufig waren Lungenleiden wie Asthma und Herzerkrankungen. Nur jedes dritte Kind im Alter über sechs Monate war gegen Grippe geimpft worden, was in den USA empfohlen wird.

Was ist zu tun? Die US-Experten sprechen sich für Maßnahmen zur Verbesserung der Impfraten bei Kindern aus. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) bisher nur chronisch kranken Kindern den Grippeschutz, über eine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder wird seit Jahren diskutiert. In Risikogruppen und vor allem auch bei Kita-Personal und Eltern ließen sich die Impfraten außerdem noch deutlich verbessern.

Besteht bei Kleinkindern und chronisch kranken Kindern ein Verdacht auf Influenza, ist zudem unverzüglich eine Therapie mit Neuraminidase-Hemmern zu beginnen; ebenso bei anderen Kindern mit schweren Verläufen. Untersuchungen bei dem toten Kind in Baden-Württemberg haben gezeigt, dass Oseltamivir und Zanamivir gegen den assoziierten Virustyp wirksam sind.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 09.06.201814:55 Uhr

Es fehlt eine nationale Strategie gegen Influenza!

Was für ein Chaos:

- Nicht nur, dass die STIKO eine seit 2013 bestehende und jährlich fortgeschriebene WHO-Empfehlung auch für die tetravalente Influenza-Impfung ignoriert hatte bzw. ihre trivalente Sparversion der letzten Jahre erst kürzlich revidieren musste. Denn Tatsache ist, dass die WHO bereits seit 21.2.2013 jährlich aktualisiert neben dem 3-fach-Impfstoff unter anderem auch eine 4-fach-Vakzine empfohlen hat:
"Recommended composition of influenza virus vaccines for use in the 2013-14 northern hemisphere influenza season 21 February 2013
It is recommended that trivalent vaccines for use in the 2013-14 influenza season (northern hemisphere winter) contain the following:
an A/California/7/2009 (H1N1)pdm09-like virusa;
an A(H3N2) virus antigenically like the cell-propagated prototype virus A/Victoria/361/2011b*;
a B/Massachusetts/2/2012-like virus.
It is recommended that quadrivalent vaccines containing two influenza B viruses contain the above three viruses and a B/Brisbane/60/2008-like virusc.
a A/Christchurch/16/2010 is an A/California/7/2009-like virus;
b A/Texas/50/2012 is an A(H3N2) virus antigenically like the cell-propagated prototype virus A/Victoria/361/2011;
c B/Brisbane/33/2008 is a B/Brisbane/60/2008-like virus."
http://www.who.int/influenza/vaccines/virus/recommendations/2013_14_north/en/

- Sondern auch, dass "in Deutschland ... die Ständige Impfkommission (STIKO) bisher nur chronisch kranken Kindern den Grippeschutz [empfiehlt], über eine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder wird seit Jahren diskutiert." Auch die Standard-Influenza-Impfempfehlungen bleiben viel zu vage und unverbindlich.

Hinzu kommt noch eine bemerkenswerte Schwellen- und Budget-Angst bei niedergelassenen Haus- und Fach-Vertragsärztinnen und -ärzten gegenüber dem frühzeitigen Einsatz von Neuraminidase-Hemmern bei konkreten, klinischen Influenza-Verdachtsfällen, obwohl die aktuelle Literatur im Gegensatz zu veralteten CHOCHRANE-Negativ-Empfehlungen positiv positioniert ist:

- http://m.aerzteblatt.de/print/183909.htm
Antivirale Arzneimittel bei saisonaler und pandemischer Influenza
Dtsch Arztebl Int 2016; 113(47): 799-807; DOI: 10.3238/arztebl.2016.0799
MEDIZIN: ORIGINALARBEIT von Lehnert, Regine; Pletz, Mathias; Reuss, Annicka; Schaberg, Tom

- http://m.aerzteblatt.de/news/61642.htm
Meta-Analyse: Tamiflu verkürzt Grippe und vermeidet Komplikationen
Freitag, 30. Januar 2015

- http://m.aerzteblatt.de/news/77625.htm
Tamiflu: ECDC-Gutachten bewertet Neuraminidase-Hemmer weiter positiv
Dienstag, 15. August 2017

In meiner Praxis lagen die Influenza-Verdachtsfälle um den Faktor 10 über der letzten Influenza-Saison, ebenso die Verordnungszahlen von Oseltamivir (Tamiflu®), was trotz hoher Durchimpfungsraten überwiegend auf saisonale primäre Impf-Versager und atypisch Betroffene zurückzuführen war.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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