Alzheimer

Jede dritte Demenz lässt sich verhindern

Kein Übergewicht, kein Tabak, kein Diabetes - dies reduziert das Alzheimerrisiko beträchtlich. Am wichtigsten ist jedoch mehr Bewegung.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Jeder dritte Europäer bewegt sich zu wenig – Laufen könnte vor Demenz schützen.

Jeder dritte Europäer bewegt sich zu wenig – Laufen könnte vor Demenz schützen.

© Marcel Mooij / Fotolia.com

LONDON. Inzwischen spricht vieles dafür, dass einige wenige Lebensstilfaktoren das Alzheimerrisiko maßgeblich beeinflussen.

In großen Kohortenstudien entwickelten Teilnehmer mit Adipositas, Hypertonie oder Diabetes, aber auch Coachpotatoes, Depressive, Raucher und Menschen mit geringer Bildung überdurchschnittlich häufig eine Alzheimerdemenz.

Nach Schätzungen sind solche vermeidbaren Risiken die Ursache für jede zweite Demenzerkrankung.

Solche Angaben sind aber oft recht ungenau, da die einzelnen Lebensstilfaktoren in der Regel nicht unabhängig auftreten: Wer dick ist, erkrankt auch häufiger an einer Hypertonie oder einem Diabetes und wird seltener bei einem Marathon anzutreffen sein als jemand mit normalem Gewicht.

Viele Risikofaktoren treten also zusammen auf, ihre Auswirkungen lassen sich daher nicht klar voneinander trennen.

Dies haben nun britische und US-amerikanische Forscher um Dr. Sam Norton bei einer aktuellen Hochrechnung zum Demenzrisiko berücksichtigt. Dazu extrahierten sie aus sämtlichen Metaanalysen der vergangenen Jahre das Alzheimerrisiko mit Blick auf die sieben wichtigsten Lebensstilfaktoren (The Lancet Neurology 2014, 13(8): 788-794).

Anschließend schauten sie, wie viele Alzheimererkrankungen sich theoretisch verhindern ließen, wenn in der Bevölkerung niemand mehr adipös, körperlich inaktiv, depressiv, hyperton, nikotinsüchtig oder ungebildet wäre.

Bildung hat den größten Einfluss

Global betrachtet, so fanden sie heraus, hat Bildung den stärksten Einfluss: 19 Prozent der Alzheimerfälle könnten verhindert werden, wenn die gesamte Bevölkerung mindestens eine dem Abitur entsprechende Schulausbildung erreichen würde.

Zwar erhöht eine mangelhafte Bildung das Risiko für den Einzelnen weniger, als es viele anderen Faktoren tun, da aber in Entwicklungs- und Schwellenländern nur wenige Menschen einen höheren Schulabschluss haben, fällt dieser Faktor global betrachtet am stärksten ins Gewicht.

Auf Platz zwei folgt das Rauchen: Damit lassen sich knapp 14 Prozent aller Alzheimererkrankungen erklären, mit körperlicher Inaktivität sind es knapp 13 Prozent, gefolgt von Depression mit 8 Prozent.

Deutlich weniger ins Gewicht fallen eine Hypertonie (5 Prozent), ein Diabetes (3 Prozent) oder eine Adipositas im mittleren Lebensalter (2 Prozent).

Addiert man alle diese Faktoren zusammen, ergeben sich 50 Prozent - jede zweite Alzheimerkrankheit ließe sich also durch einen gesunden Lebensstil vermeiden, vorausgesetzt, es gibt tatsächlich eine kausale Beziehung zwischen diesen Faktoren und einer Alzheimerdemenz.

Diese lässt sich aus epidemiologischen Studien jedoch nicht immer klar eruieren.

Abgeschwächt wird der Zusammenhang nun dadurch, dass Faktoren wie Diabetes, Hypertonie und Adipositas zusammenhängen. Wird dies berücksichtigt, erklären sämtliche sieben Risikofaktoren nur noch 28 Prozent aller Alzheimererkrankungen.

Danach wäre also nur etwas mehr als jede vierte Alzheimerdemenz durch eine gute Bildung und Lebensführung vermeidbar.

Inaktivität ist entscheidender Faktor

Allerdings ergeben sich je nach Region große Unterschiede: In Europa liegt der Einfluss der wichtigsten Lebensstilfaktoren nach den Berechnungen von Norton und Mitarbeitern bereits bei knapp 32 Prozent.

Der Grund ist die hohe Prävalenz vieler Risikofaktoren, vor allem der körperlichen Inaktivität: Jeder Dritte bewegt sich zu wenig, das erklärt isoliert betrachtet bereits jede fünfte Demenz.

Deutlich abgeschlagen folgen Rauchen und niedrige Bildung mit einem Anteil an den Alzheimererkrankungen von jeweils 14 Prozent sowie die Depression (11 Prozent).

Im einstelligen Bereich liegen die Anteile von Diabetes, Hypertonie und Adipositas. Mehr Bewegung wäre in unseren Breiten also die wirksamste Lebensstilmodifikation, um die Alzheimerprävalenz in der Bevölkerung zu senken.

Rein rechnerisch hätten allein dadurch im Jahr 2010 etwa 1,5 Millionen Alzheimererkrankungen in Europa verhindert werden können.Nun ist es natürlich utopisch, die Welt von Demenzrisikofaktoren zu befreien.

Doch geht man davon aus, dass die Zahl der Alzheimerkranken global von etwa 31 Millionen im Jahr 2010 auf über 100 Millionen im Jahr 2050 steigen wird, dann würde schon ein Rückgang der Prävalenz um 10 oder 20 Prozent bei den vermeidbaren Risikofaktoren die Zahl der Demenzkranken in 40 Jahren um 9 oder 16 Millionen senken.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 24.09.201410:23 Uhr

"Lirum, Larum, Löffelstiel" - Alzheimer verhindern braucht nicht viel???

Diese Publikation lässt mich verzweifeln! Zugleich bin ich dem geschätzten ÄZ-Autor Thomas Müller äußerst dankbar, dass er so neutral wie medizin-journalistisch eben möglich referiert. Denn mein persönlicher Kommentar ist schlimmer als ein einfacher Verriss:

Es entspricht einem naiven "K i n d e r g a r t e n-Glauben", wenn Forscher aus GB und den USA um Dr. Sam Norton mit virtueller Hochrechnung zum Demenzrisiko belegen wollen, wie viele Alzheimer-Erkrankungen sich theoretisch verhindern ließen, sollte in der Bevölkerung n i e m a n d mehr adipös, körperlich inaktiv, depressiv, hyperton, nikotinsüchtig oder ungebildet sein. Ebenso ist es sicher nicht zielführend, den Morbus Alzheimer einzig und allein auf eine erhöhte Konzentration des Beta-Amyloid-42-Peptids (Aß42) im Gehirn herunterbrechen zu wollen. Dafür ist die Alzheimer-Demenz ein viel zu komplexes und multifaktorielles Krankheitsgeschehen.

An den inhaltlich "seichten" und schwammigen Hypothesen zur Alzheimer-Prävention ist zu erkennen, dass Norton, S. et al. mit einer empirisch gar nicht belegbaren Bevölkerungs-basierten retrospektiven Analyse ein völlig unlogisches, mögliches "Potenzial zur Primärprävention" detektiert zu haben glauben. "Potential for primary prevention of Alzheimer''s disease: an analysis of population-based data." heißt es mit blumigen Worten in The Lancet Neurology 2014, 13(8):788-794. "Kein Übergewicht, kein Tabak, kein Diabetes" – dies solle das Alzheimer-Risiko beträchtlich reduzieren, wird vorgebetet. Und am wichtigsten sei mehr Bewegung - dadurch ließe sich gar jede fünfte Demenz vermeiden?

Ganz offensichtlich verwechselt die Norton-Arbeitsgruppe ihren M. Alzheimer mit den verschiedenen a n d e r e n Formen der Demenz und schmeißt Alles in einen Topf. Außerdem entlarvt sich das Ganze als populär-wissenschaftliche Tautologie: Denn gerade weitgehende Normgewichtigkeit, Nichtrauchen u n d mehr Bewegung wirken nachweislich D i a b e t e s- und eben n i c h t nur Demenz-präventiv; sonst müsste M. Alzheimer bei normgewichtigen Nichtrauchern und bewegungsaktiven Nicht-Diabetikern eine absolute Rarität sein. Und dass Klugheit, Bildungsgrad, Intelligenz, geistige Aktivität etc. Entwicklung und Progression des M. Alzheimer behindern könne, ist so wenig belegbar wie Rückenmarksschwund auf Grund fortgesetzter Selbstbefriedigung.

Dass Norton et al. die aktuelle Literatur gar nicht kennen, wird durch die f e h l e n d e Erwähnung einer Empfehlung zu ausreichendem Schlaf deutlich: Zuletzt haben dies Ooms, S. et al.: "Effect of 1 Night of Total Sleep Deprivation on Cerebrospinal Fluid ß-Amyloid 42 in Healthy Middle-Aged Men. A Randomized Clinical Trial" in JAMA Neurol. 2014;71(8):971-977 publiziert. Empirische Daten von einer e i n z i g e n Nacht mit Schlafentzug mit einer vorsichtigen Interpretation wurden mit der gebotenen Zurückhaltung vorgestellt, weil sich Alzheimer-Demenz oder auch andere Demenzformen nicht über e i n e durchwachte Nacht, sondern über Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte hin entwickeln.

Den Zusammenhang zwischen morgendlichen Aß42-Werten und der Schlafdauer nach dem Motto, je länger jemand schläft, desto stärker sinken seine Aß42-Werte, wertete die Arbeitsgruppe um Ooms et al. folgendermaßen: Da es k e i n e n Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gesamtproteingehalt des Liquors, Tau-Protein- oder Aß40-Konzentration in der 24-h-Beobachtung gab und n u r die Aß42-Werte verändert waren, ließen sie die Frage offen, ob chronischer Schlafmangel deswegen tatsächlich zu einem erhöhten Demenzrisiko führen könne.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund.

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