Stiftung Kindergesundheit fordert

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz

Die Stiftung Kindergesundheit sieht Mängel in der Umsetzung der UN-Charta für Kinderrechte. Doch gibt es auch gute Nachrichten: Das Gesundheitsministerium fördert zwei neue Projekte zum medizinischen Schutz von Kindern.

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Begleitung, Geduld und Engagement werden als wichtige Leistungen des Pädiaters genannt.

Begleitung, Geduld und Engagement werden als wichtige Leistungen des Pädiaters genannt.

© C. Metzler

MÜNCHEN. "Unser Grundgesetz kennt keine Kinder. Es schützt zwar seit 2002 auch Tiere und Natur, Kindern bleibt aber dieser besondere Schutz verwehrt".

Das muss anders werden, mahnte der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko bei einer Tagung des Freundeskreises der Stiftung Kindergesundheit in München.

Armut macht Kinder krank

In Deutschland leben 18 Prozent der Kinder in relativer Armut, das heißt, das Familieneinkommen liegt unter 60 Prozent des Durchschnittseinkommens, wird Privatdozentin Freia de Bock von der Universität Heidelberg in einer Mitteilung der Stiftung Kindergesundheit zitiert.

Kinder in schwieriger sozialer Lage haben häufiger Bewegungsmangel, Übergewicht, Entwicklungs- und frühkindliche Regulationsstörungen, Depressionen, ADHS, psychosomatische Beschwerden und Suchtprobleme, sind öfter durch Unfälle und von Karies betroffen.

 Somit sei Armut das größte Gesundheitsrisiko für Kinder in Deutschland, so die Kinderärztin.

Je länger ein Kind in relativer Armut verbringt, umso niedriger ist seine Lebenszufriedenheit im Alter von 17 Jahren.

Die bisherigen Bemühungen, um die Situation der Kinder zu verbessern, haben leider noch nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Mit Aufklärung zu gesundem Lebensstil erreiche man vor allem die ressourcenreichen sozialen Schichten.

Kinder brauchen stabiles Umfeld

Die finanziellen Anreize des Staates betrachtet De Bock eher als Fehlinvestitionen: "Das Kindergeld mit 41 Millionen pro Jahr ist eine teure Leistung des Sozialstaates, während für alle Schulen in Deutschland im Vergleich nur 55 Millionen aufgebracht werden.

Es bringt damit keine Chancengleichheit, sondern begünstigt Familien mit einem Jahreseinkommen von über 60.000 Euro."

Die Public-Health-Expertin fordert eine Änderung der Umgebung: "Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder aus armen Verhältnissen weniger chronischen Stress erleben.

Sozialpolitische Maßnahmen wie finanzielle Transferleistungen, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, zeigen, dass die Armutsrate und die damit verbundenen negativen Erlebnisse für Kinder reduziert werden können.

Nötig seien auch gute Beziehungen zu den Eltern, vor allem zu den Vätern, gute Beziehungen in Nachbarschaften, intensivere Beziehungen zwischen den Betreuern in den Kitas und den Kindern. Statt Kindergeld wäre eine Verbesserung außerhäuslicher Betreuung wichtig.

Wie wirken sich die zunehmenden wirtschaftlichen Zwänge im Gesundheitssystem auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus? Das erforscht der Medizinethiker Professor Giovanni Maio von der Uni Freiburg, wird in der Mitteilung berichtet.

Die wichtigsten Leistungen des Pädiaters seien Begleitung, Geduld und persönlicher Einsatz. Sie kämen aber in der modernen Medizin nicht vor oder sie würden nicht honoriert.

Maio beklagt das zunehmende Zweckmäßigkeitsdenken im Gesundheitssystem, das ausschließliche Streben nach Effizienz und Rentabilität, nach dem Erwirtschaften von Erlösen.

Ähnlich beurteilt Professor Christoph Klein, Direktor des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der Universität München, die Situation.

"Die Ärzte in einer Kinderklinik werden gedrängt, nicht mehr zu fragen: ‚Welchen Patienten können wir am besten helfen?' sondern unter den heutigen Umständen zu fragen: ‚Welche Patienten können uns am besten helfen?'."

Anzeichen von Misshandlung erkennen

Für dringend nötig gehalten werden Schutz von Würde und Rechte kranker Kinder, altersgerechte Information und Partizipation, die Finanzierung einer patientenzentrierten Kindermedizin, die Sicherung der Weiterbildung von spezialisierten Kinder- und Jugendärzten und ausreichende Räume für Innovation, Forschung und Kreativität.

Koletzko: "Nur wenn diese Rechte der Kinder im Grundgesetz verankert würden, könnten sie vor den höchsten Gerichten auch eingefordert werden."

Wie das Bundesgesundheitsministerium jetzt mitgeteilt hat, werden zwei neue Gesundheitsprojekte für Kinder gefördert.

Im ersten Projekt geht es darum, erste Anzeichen von Misshandlung oder Vernachlässigung zu erkennen, Verdachtsmomenten nachzugehen und weitere Schritte einzuleiten.

Dazu wird gemeinsam mit der Uniklinik Bonn und der Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin eine Leitlinie erarbeitet, die Ende 2017 vorliegen soll.

Im zweiten Projekt wird eine Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse zur Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher über zwei Jahre gefördert.

Dabei sollen Versorgungssituation, Verzahnung der Leistungen, Zugänglichkeit, Zielgruppen und Behandlungsergebnisse geklärt werden. Im Fokus stehen ambulante und stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung und Rehabilitation. (eb)

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