Gefährliche Bildungslücke
Lehrer wissen zu wenig über Epilepsie
Die meisten Lehrer haben epilepsiekranke Schüler. Aber kaum einer weiß, was bei einem Anfall zu tun ist - dieses Unwissen kann Leben kosten, warnen Pharmakologen.
Veröffentlicht:LEIPZIG. Etwa fünf pro 1000 Kinder haben Epilepsie. Jeder Lehrer hat daher zwangsläufig irgendwann einmal Epilepsiepatienten als Schüler.
Kaum ein Lehrer weiß jedoch, was bei einem Anfall zu tun ist oder welche Vorsichtsmaßnahmen bei Kindern mit Epilepsie zu treffen sind.
Darauf deutet eine Umfrage bei über 1200 Schul- und Vorschullehrern in Leipzig und Blankenburg im Harz (Arch Dis Child 2015: online 25. Juni).
Pharmakologen und Pädiater um Henriette Dumeier von der Universität Leipzig haben Fragebögen von rund 300 Schullehrern, 880 Vorschullehrern sowie einigen Lehramtsstudenten ausgewertet.
Das Alter lag im Median bei 44 Jahren, die Berufserfahrung bei 21 Jahren (Vorschullehrer) und 25 Jahren (Schullehrer), 87 Prozent der Befragten waren Frauen.
Angst, etwas falsch zu machen
Etwa ein Drittel gab an, derzeit Epilepsiekranke als Schüler zu haben, ebenfalls ein Drittel der Befragten mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung war der Auffassung, noch nie ein epilepsiekrankes Kind unterrichtet zu haben, was rein statistisch betrachtet sehr unwahrscheinlich ist.
Immerhin 12 Prozent hatten schon einmal einen epileptischen Anfall bei einem Schüler miterlebt, ganze 6 Prozent hatten in einer solchen Situation auch schon Notfallmedikamente verabreicht.
Nur 15 Prozent der Lehrer würden in jedem Fall ein Notfallmedikament geben, ebenso viele würden das unter keinen Umständen tun, zum Teil, weil sie nicht wissen, wie, zum Teil, weil ihnen dies niemand explizit erlaubt hat oder weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen.
Ein deutlich größerer Anteil hält es dagegen für eine gute Idee, dem krampfenden Kind etwas Hartes in den Mund zu stecken oder es im Anfall zu fixieren (33 Prozent der Schullehrer und 18 Prozent der Vorschullehrer).
Auch einfach abzuwarten, bis der Anfall vorbei ist, scheint für 15 Prozent ein adäquates Verhalten zu sein. Immerhin 85 Prozent kommen aber auf die Idee, einen Notarzt zu rufen.
Die Forscher um Dumeier fragten die Pädagogen auch, unter welchen Umständen sie bereit wären, bei einem Anfall Medikamente zu verabreichen.
Die meisten würden es dann tun, falls es ihnen Eltern, Ärzte oder die Schulleitung explizit genehmigen und wenn sie bei Fehlern nicht mit juristischen Konsequenzen rechnen müssen.
Immerhin die Hälfte nannte dies als Voraussetzung für eine Notfallbehandlung. Genau hier ist nach Auffassung der Leipziger Forscher auch von Seiten des Gesetzgebers mehr Klarheit zu schaffen.
Denn die Befürchtungen der Pädagogen seien nicht ganz unbegründet. So gebe es zahlreiche Rechtsanwälte, die Lehrern dringend davon abraten, Kindern überhaupt irgendwelche Medikamente zu geben, egal unter welchen Umständen, weil sie mit ernsten Konsequenzen rechnen müssten, falls etwas dabei schief gehe.
Keine Vorsichtsmaßnahmen
Defizite stellten die Forscher aber nicht nur beim Verhalten im Notfall fest, insgesamt seien die Kenntnisse über Epilepsie bei Pädagogen recht dürftig.
"Über die Krankheitssymptome und die medikamentöse Behandlung weiß nur eine Minderheit ausreichend Bescheid", schreiben sie.
Zwar konnten die Lehrer die meisten Anfallssymptome aus einer Liste erkennen, alle genannten identifizierten jedoch nur 6 Prozent richtig.
Nur knapp zwei von drei Lehrern ist nach dieser Umfrage auch klar, dass ein Anfall tödlich enden kann, und weniger als 5 Prozent nannten die Hauptursachen für einen tödlichen Ausgang: ein anhaltender Status epilepticus und das Ertrinken beim Schwimmen.
53 Prozent der Lehrer, die epilepsiekranke Kinder beaufsichtigten, hatten keinerlei Vorsichtsmaßnahmen ergriffen - nötig wäre etwa eine besondere Aufsicht im Schwimmunterricht.
Immerhin: 86 Prozent der Befragten würden gerne mehr über Epilepsie erfahren - hier wäre also ein Ansatzpunkt, das Wissen im Umgang mit epilepsiekranken Kindern zu verbessern.
Da die Umfrage jedoch freiwillig war, haben vielleicht bevorzugt Pädagogen teilgenommen, die sich für das Thema interessieren.
Zu befürchten ist also, dass der Kenntnisstand zu Anfallsleiden unter den Lehrkräften noch schlechter ist, als es die Umfrage nahelegt.