Schlaganfall
Lösungen jenseits des Lysezeitfensters
Die mechanische Thrombektomie hat das Behandlungsspektrum beim ischämischen Schlaganfall erweitert. Bildgebende Verfahren könnten Ärzten den Weg zum besten Therapieverfahren weisen. Doch es fehlen noch Daten.
Veröffentlicht:BERLIN. In der Akuttherapie beim ischämischen Schlaganfall hat sich einiges getan. Stand früher nur die Lysetherapie zur Verfügung, die nach einem Blutungsausschluss per CT oder MRT innerhalb von drei Stunden appliziert werden musste, gelten heute andere Regeln.
Nicht nur beträgt das Zeitfenster, in dem die Lyse einen evidenzbasierten Nutzen hat, mittlerweile 4,5 Stunden.
Auch die Versorgung ist besser geworden: Dank viel Fortbildung und auch dank telemedizinischer Netzwerke bekommen in immer mehr Regionen heute jene 15 bis 20 Prozent der Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die von einer Lysetherapie potenziell profitieren, auch tatsächlich eine solche Behandlung.
Mehr noch: Neben der Lyse stehen in vielen Schlaganfallzentren auch interventionelle Therapien zur Verfügung. Die waren allerdings in mehreren randomisierten Studien der alleinigen Lyse nicht überlegen.
Das mag sich in Zukunft ändern. Solange keine neuen Studien vorliegen, stellen sich für den Akutneurologen im Wesentlichen zwei Fragen: Bei welchen Patienten sollte angesichts des derzeitigen Studienpatts eine mechanische Thrombektomie erfolgen?
Und welche Patienten profitieren eventuell auch jenseits des 4,5-Stunden-Fensters von einer Rekanalisation, ob nun per i.v.-Lyse oder per Katheter?
Mehr als nur Hoffnungen?
Für die Beantwortung dieser Fragen werden große Hoffnungen in die Bildgebung gesetzt, konkret in die kraniale CT, die kraniale MRT und die CT-, MRT- oder auch katheterbasierte Angiografie.
Nun waren allerdings beim Schlaganfall bisherige Versuche, die Bildgebung zur Stratifizierung von Therapien zu nutzen, nicht durchweg von Erfolg gekrönt.
Vor einigen Jahren hatte man beispielsweise die Hoffnung, mit Hilfe der Diffusions- und Perfusionsbildgebung per MRT Hirnareale sicher zu identifizieren, die von einer Lyse auch jenseits des Lysezeitfensters noch profitieren.
Dabei wurden Diffusion und Perfusion eines vom Schlaganfall betroffenen Hirnareals zueinander in Beziehung gesetzt.
War das perfusionsgestörte Areal deutlich größer als das diffusionsgestörte Areal, wurde davon ausgegangen, dass es sich um sogenanntes Penumbra-Gewebe handelte, das durch eine Rekanalisierung noch zu retten war.
Konzept als Grundlage für Studie
Das Konzept bildete sogar die Grundlage einiger klinischer Studien zur Lyse. "Es hat sich aber leider nicht bewahrheitet", betonte Dr. Christoph Leithner von der Klinik für Neurologie der Charité Berlin, Campus Virchow-Klinikum.
"Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass es uns irgendwann gelingt, anhand der Bildgebung zu sagen, welche Zellen im Gehirn untergehen werden, wenn keine Rekanalisierung stattfindet."
Einer der "Kandidatenparameter", die eine solche Wegweiserfunktion haben könnten, ist die Kollateralisierung des ischämischen Gewebes.
"Das ist im Moment allerdings etwas kontrovers", so Leithner bei einer Veranstaltung im Vorfeld der Medica Education Conference, eine in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) durchgeführte medizinische Fortbildung im Rahmen der Medizinmesse Medica in Düsseldorf.
Die Idee ist, dass bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall per Bildgebung nach Kollateralen gesucht wird. Liegen sie vor, könnten Rekanalisierungsmaßnahmen eventuell auch jenseits des "offiziellen" Lysezeitfensters noch Sinn machen.
Darstellen lassen sich solche Kollateralen sowohl mittels CT-Angiografie als auch per MRT und per konventioneller Angiografie. Ob das Konzept klinisch aufgeht, sollen Studien zeigen, die teils schon laufen, teils in Planung sind.
Leithner rät vorerst zu Geduld. "Da sitzen viele dran, um diesen Ansatz weiterzuentwickeln. Wir müssen abwarten, was da rauskommt."
Neben der Kollateralisierung gibt es noch einige andere Parameter, die helfen könnten, Sinn oder Unsinn einer Rekanalisierung abzuschätzen. Die Thrombuslänge gehört dazu.
Sehr lange Thromben lassen sich mit einer i.v.-Lyse deutlich schlechter auflösen als kurze Thromben. Bei Patienten mit langen Thromben könnten demnach die Katheterverfahren ins Spiel kommen.
Ansatz bei komplexen Parametern
Ein anderer Ansatz ist, bei der Bewertung der Hirndurchblutung nicht nur die Standard-Perfusionsmessungen heranzuziehen, sondern auch komplexere Parameter wie das zerebrale Blutvolumen, den zerebralen Blutfluss oder die mittlere Transitzeit des Blutes.
Solche Bestimmungen gelingen mit CT oder MRT. Es könnte aber auch mit modernen Angiografiesystemen funktionieren, die mittlerweile sehr detaillierte CT-Datensätze mitliefern können.
Ein Szenario, das sich hier andeutet, ist das "Modell Herzkatheter" in der Akutneurologie: Ein Angiografiesystem für Schlaganfallpatienten steht in der Notaufnahme.
Dort wird zunächst per dynamischer CT eine Blutung ausgeschlossen. Dann erfolgt auf demselben Tisch ohne Umlagerung des Patienten eine Angiografie, anhand derer entschieden werden kann, ob der Thrombus - erneut ohne Umlagerung - intraarteriell ausgeräumt werden oder eine i.v.-Lyse erfolgen sollte.
Das ist freilich Zukunftsmusik. Daten dazu gibt es nicht. Aber das könnte sich in den nächsten Jahren ändern.