Schizophrene Patienten
Maßregelvollzug statt Therapie
Immer mehr Patienten mit Schizophrenie landen in der Forensik, weil sie in psychotischen Phasen Straftaten begehen. Ein möglicher Grund: Wegen Kostendrucks in psychiatrischen Kliniken werden Betroffene offenbar verfrüht entlassen.
Veröffentlicht:BERLIN. Im kommenden Jahr tritt das neue Entgeltsystem für psychiatrische Kliniken in Kraft, das sich an Fallpauschalen anlehnt.
Psychiater befürchten ab dem Zeitpunkt nicht nur analog zur Chirurgie "seelisch blutige Entlassungen", wie es der künftige Präsident der DGPPN, Professor Wolfgang Maier aus Bonn, formuliert hat, sondern auch ein weiteres Problem: Gewaltbereite psychotische Patienten werden mitunter vermehrt straffällig und kommen in die Forensik, wenn sie die Allgemeinpsychiatrie nicht mehr ausreichend stabilisieren kann.
"Entwicklung besonders tragisch"
So hat Dr. Nahlah Saimeh, Direktorin am Zentrum für forensische Psychiatrie in Lippstadt, darauf hingewiesen, dass die Zahl der in der Forensik untergebrachten Schizophreniekranken in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen hat.
Parallel zum Aufbau von Plätzen in der Forensik sei die Verweildauer in allgemeinpsychiatrischen Kliniken erheblich reduziert worden, was mit dem Kostendruck durch die Krankenkassen zusammenhänge, sagte Saimeh beim DGPPN-Kongress.
"Patienten werden oft postakut entlassen und setzen dann ihre Medikamente ab, weil sie noch nicht in einem Zustand sind, in dem sie die Weiterbehandlung für sich selbst bewerten können."
Ein Teil dieser Patienten könnte dann vermehrt verhaltensauffällig oder straffällig werden. Saimeh hält diese Entwicklung für besonders tragisch, da solche Patienten oft nur in einer psychotischen Phase gewalttätig sind und dann Dinge tun, die sie in anderen Phasen niemals tun würden.
Besser im stabilen Zustand entlassen
Die meisten Gewalttaten von Psychosekranken lassen sich ihrer Auffassung nach verhindern, wenn die Patienten ausreichend behandelt und erst in stabilem Zustand entlassen werden.
"Wenn solche Patienten zu uns in die Forensik kommen, dann haben wir zumindest genug Zeit, wir werden ja nicht von den Krankenkassen bezahlt. Bei uns bleibt ein Patient zwei, drei Jahre, wird dann in der Regel gut stabilisiert entlassen und meist auch nicht mehr rückfällig. Die Sekundärprävention bei Schizophreniekranken klappt wirklich exzellent. Bei schweren Gewalttaten ist das Kind dann aber schon in den Brunnen gefallen."
Die Forensikerin beobachtet auch die Tendenz, dass bei Patienten, die in einer akuten Psychose Straftaten begehen, trotz der Schuldunfähigkeit vermehrt ein Strafrechtverfahren eröffnet wird, sodass sie in die Forensik kommen.
"Eigentlich sehe ich die Psychiatrie jedoch in der Pflicht mitzuwirken, dass weniger Patienten in die Forensik gelangen."
Häufig fehlt die Krankheitseinsicht
Als Problem sieht Saimeh auch die rechtliche Unsicherheit nach dem BGH-Urteil vom Sommer dieses Jahres, nach dem psychisch Kranke nicht mehr gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden dürfen.
Werde hier nicht rasch durch den Gesetzgeber nachgebessert, könnte dies ebenfalls dazu führen, dass die Zahl der Schizophreniekranken in forensischen Kliniken zunimmt.
"Schizophreniekranke sind diejenigen, die in der Forensik am meisten von einer langfristigen Behandlung profitieren und noch am ehesten wieder resozialisiert werden können. 40 bis 60 Prozent haben zu Beginn jedoch krankheitsbedingt eine mangelnde Krankheitseinsicht. Wenn wir sie nicht behandeln, dann versündigen wir uns an den bürgerlichen Freiheitsrechten dieser Patienten, die das Sonderopfer, schuldunfähig eingesperrt zu sein, eigentlich nur kurz erbringen müssten. Psychisch Kranke haben ein Recht auf Behandlung, auch wenn sie es selbst krankheitsbedingt nicht mehr einfordern können", sagte Saimeh.
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