Leitartikel
Mit Erfolg kommt die Rheumatologie aus der Nische
Medizinisch muss sich die Rheumatologie in Deutschland nicht verstecken. Sie hat viel erreicht. Beim Kongress in Mannheim soll eine Bilanz gezogen werden. Aber es gilt auch, politische Baustellen zu beackern, die (zu) lange brach gelegen haben.
Veröffentlicht:Wer sich vergegenwärtigen will, was sich in der Rheumatologie getan hat, der muss nur einen kurzen Blick in den neuen Arzneiverordnungs-Report werfen, der in diesen Tagen vorgelegt wurde.
Dort findet sich eine Rangliste der umsatzstärksten Medikamente in Deutschland. Ganz vorne stehen, wie in den Vorjahren, Adalimumab und Etanercept.
Dass zwei gentechnisch hergestellte Rheuma-Medikamente einmal ein Abonnement auf die Top-Positionen in den Arzneimittelrankings haben würden, hätte sich exakt niemand vorstellen können, als vor zwei Jahrzehnten die ersten Studiendaten zu Biologika vorgelegt wurden. Die einst in einer beschaulichen Nische agierenden Rheumatologen staunen da heute noch ein bisschen.
Daher ist es nur konsequent, dass die DGRh, Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) und die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) bei ihrem gemeinsamen Kongress in Mannheim die Bilanz nach zwanzig Jahren Biologika zu einem Schwerpunktthema gemacht haben.
Biologika sind aus der Rheumatologie nicht mehr wegzudenken
Klinisch darf man sich auf die Schulter klopfen: Die Therapie mit Biologika in der Rheumatologie ist keine Terra incognita mehr.
Das Fach kennt die Stärken und Grenzen dieser Medikamente. Ärzte, die Biologika einsetzen, wissen mit deren von niemandem bestrittenen Risiken umzugehen.
Und dank der vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin koordinierten rheumatologischen Kerndokumentation, die in diesem Jahr ebenfalls zwanzig wird, ist die deutsche Rheumatologie auch in Sachen Versorgungsforschung um Längen besser aufgestellt als viele andere Disziplinen.
Ausruhen sollte und will sich darauf freilich niemand: Die drei anderen Schwerpunktthemen des Mannheimer Kongresses weisen klar in Richtung Zukunft.
Da ist zum einen der Off-Label-Use, der die Biologika betrifft, aber keineswegs nur sie.
DGRh-Tagungspräsident Professor Hanns-Martin Lorenz schätzt, dass noch immer mehr als die Hälfte der rheumatologischen Patienten in Deutschland im strikteren Sinne off-label therapiert wird. In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen, die auf dem Kongress diskutiert werden.
Klinik hui, Forschung pfui?
Das dritte Schwerpunktthema, das Synovium, steht stellvertretend für Grundlagenforschung und translationale Forschung in der Rheumatologie.
Hier ist noch viel zu tun: Zwar ist bekannt, dass der Tumornekrosefaktor weder mit Tumor noch mit Nekrose besonders viel zu tun hat.
Was im Detail bei den Entzündungen des Gelenks passiert, ist allerdings weiterhin ziemlich unklar. Warum genau entzündet sich bei der Rheumatoiden Arthritis als erstes die Synovia? Das weiß kein Mensch.
Nun stellt sich anlässlich eines deutschen Rheuma-Kongresses natürlich die Frage, wie es hierzulande mit der präklinischen rheumatologischen Forschung, der "Entzündungsforschung", so aussieht. Und da fällt Deutschland deutlich ab.
Das dürfte auch mit dem geringen Stellenwert zusammenhängen, den die Rheumatologie in Deutschland trotz aller Blockbuster-Medikamente hat.
Bestes Beispiel: Es gibt lediglich sechs Lehrstühle für Rheumatologie. Das erklärt problemlos, warum die Erforschung der Gelenkentzündung an den deutschen Universitäten lahmt.
Und da muss sich dann auch niemand wundern, wenn das Bundesforschungsministerium bei den zur Erforschung der "Volkskrankheiten" konzipierten Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung an alles Mögliche denkt, nicht aber an 20 Millionen Menschen mit entzündlichen Gelenkerkrankungen, Arthrose eingeschlossen.
Begeisterung wecken, Gemeinsamkeiten suchen
Das Problem der kleinen Zahlen haben auch die niedergelassenen Rheumatologen. Und hier erreicht der Kongress seinen vierten Schwerpunkt, die Gesundheitspolitik.
600 Rheumatologen in Praxen und Klinikambulanzen stemmen derzeit in Deutschland den internistischen Teil der rheumatologischen Versorgung. Doppelt so viele wären nötig, so die DGRh.
Der Kongress in Mannheim kann dieses Problem nicht lösen. Einige der Schlüssel halten die ausrichtenden Fachgesellschaften aber in der Hand. Innerhalb der Inneren Medizin müssen sie den Nachwuchs stärker für die Rheumatologie begeistern.
Und innerhalb der Ärzteschaft müssen rheumatische Erkrankungen endlich den hohen Stellenwert bekommen, den sie in der Bevölkerung haben.
Dass sich in Deutschland und (fast) nur in Deutschland mit der Inneren Medizin und der Orthopädie gleich zwei Fachrichtungen um das Thema Rheuma kümmern, macht die innerärztliche Positionierung der Erkrankung schwieriger.
Vielfalt kann aber auch eine Stärke sein, sofern sich die Gemeinsamkeiten nicht auf einen gemeinsamen Kongress beschränken.